Little Richard ist totDer Mann, der Rock'n'Roll war

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Little Richard

  • Little Richard brauchte nur wenige Hits, von „Tutti Frutti“ bis „Long Tall Sally“, um die Geschichte der Musik zu verändern.
  • Mit seinem aufreizenden Auftreten beeinflusste er unter anderem die Beatles, Bob Dylan, James Brown und David Bowie.
  • Ein Nachruf auf den außergewöhnlichsten Performer der Rockgeschichte.

Köln – Aufgabe: Beschreiben Sie die Geschichte des Rock’n’Roll in einem Wort. Lösung: „A whop bop b-luma b-lop bam bom“. Oder, um den Titel von Nik Cohns stilbildender Pop-Chronologie von 1969 zu zitieren: „Awopbopaloobop Alopbamboom“.

Wie genau Little Richards heiserer Aufschrei zum Auftakt seiner ersten Hitsingle „Tutti Frutti“ zu verschriftlichen ist, wird wohl nie geklärt werden. Man muss ihn hören, um ihn wirklich zu begreifen. Physiker mögen bis heute nicht vollständig verstehen, nach welchen physikalischen Gesetzmäßigkeiten Blitze entstehen. Aber jeder Laie, der vom Blitz getroffen wird, weiß exakt, wie sich das anfühlt, wenn die Hochspannung durch den Körper fährt.

Richard Penniman alias Little Richard hat den Rock’n’Roll nicht erfunden. Manche votieren für Louis Jordans „Saturday Night Fish Fry“ von 1950 als erste echte Rock’n’Roll-Aufnahme, andere für Ike Turners „Rocket 88“ von 1951, oder Bill Haleys 1953er Song „Crazy Man, Crazy“. Noch so eine Frage, die nie geklärt werden wird. Auch Chuck Berrys „Maybellene“ und Elvis Presleys „That’s All Right, Mama“ sind vor „Tutti Frutti“ erschienen.

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Doch wer wissen will, worum es geht im Rock’n’Roll und warum Mitte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine völlig neue, aufregende Ära der populären Musik begann, der muss „Tutti Frutti“ hören, der muss Little Richard performen sehen, wie er seine Zeilen kreischt, als habe er gerade in eine Steckdose gefasst, wie er auf die Tasten seines Klaviers einschlägt, als wolle er dem Instrument, das er zum Höhepunkt dann noch besteigt, in einem rücksichtslosen sexuellen Akt jegliche Romantik austreiben. Tatsächlich bestand der ursprüngliche Refrain von „Tutti Frutti“ aus einer rüden Anleitung zum Analsex. Das konnte so freilich nicht veröffentlicht werden. Wie lasziv und gegen jeden guten Geschmack verstoßend das Lied war, verstanden seine jugendlichen Ersthörer trotzdem.

Es war ein Weckruf. Sein Berufsziel sei es, schrieb Bob Dylan im Jahrbuch seiner Schule, der Band von Little Richard beizutreten. James Brown, auch er ein eifriger Adept, rekrutierte Mitglieder dieser Band, kaum dass deren Frontmann sich von der Bühne verabschiedet hatte. Paul McCartney sang Richards „Long Tall Sally“ bei seinem ersten öffentlichen Auftritt und holte sich später, als er mit den Beatles im Vorprogramm des grellen Mannes aus Macon, Georgia spielte, Tipps, wie man sich gleichzeitig heiser schreien und die richtige Tonhöhe halten kann. Mick Jagger nutzte eine gemeinsame Tour, um sich Richards Tanzstil anzueignen. Und Elton John kam nach einem Konzert seiner Band Bluesology mit Little Richard als Headliner die Idee, wie man es als Pianist zum Rockstar bringen könne.

Richard Penniman aber musste sich selbst erfinden, einzig das Spannungsfeld, das sein ganzes Leben bestimmen würde, stand bereit. Seine Familie war tiefreligiös und der kleine Richard unternahm seine ersten Gesangsversuche in evangelikalen Kirchen. Zugleich schmuggelte sein Vater selbstgebrannten Schnaps, betrieb einen Nachtclub und schalt den Drittgeborenen, weil ihm der Junge zu effeminiert erschien. Noch minderjährig schloss sich Richards einer fahrenden Minstrel Show an, in der er auch in Frauenkleidern auftrat, als „Princess LaVonne“.

Diese Erfahrung übersetzte er bald darauf in eine 15 Zentimeter aufragende Pompadour-Frisur, ein Bleistift-Bärtchen und eine für einen Mann unerhört großzügige Applikation von Make-up. Rock’n’Roll, bevor ihn weiße Hetero-Jungs auf breitbeiniges Testosteron-Gepose reduzierten, war purer Drag. Und natürlich waren die dicken Schminkschichten auch eine Tarnung, um ihm segregierten Süden als schwarzer Mann ungefährdet weiße Mädchen  in Verzückung zu versetzen. 

Ein siebenjähriger David Bowie ließ sich per Post ein Fotoporträt von Little Richard zuschicken und war damit schon auf dem besten Weg, Ziggy Stardust zu werden. War für Bowie das Weltall einen Metapher für das gottverlassene Innenleben seiner Generation, so sah der 15 Jahre ältere Little Richard hier noch Zeichen. Am Ende eines Auftritts in Sydney im Oktober 1957 erschütterte ihn der Anblick eines rotglühenden Feuerballs am Himmel. Es handelte sich um den ersten Satelliten, Sputnik. Doch Little Richard nahm es als alttestamentarische Mahnung, von der aufreizenden Musik und dem ausuferenden Lebensstil zu lassen und sich Gott zuzuwenden.

Für den Rest seines Lebens sollte er zwischen religiösen Wirrungen und irdischen Irrungen, zwischen dem Wort des Herrn und den Einflüsterungen von Sex, Drogen und Rock’n’Roll oszillieren. Ein großer Hit gelang ihm nie wieder. Seine Revolution hatte nur zwei Jahre gedauert, aber – Awopbopaloobop Alopbamboom – sie hat alles verändert.

Am Samstag ist Little Richard im Alter von 87 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

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