„Maischberger“Schock nach Jo-Cox-Attentat wird zu Brexit-Ablehnung führen

Die Runde bei Sandra Maischberger
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- „Sprengstoff Brexit: Fliegt Europa auseinander?“ lautete das Thema bei „Maischberger“.
- Die Diskussion fand am Vorabend des Referendums in Großbritannien statt.
Francis Fulton-Smith, bezeichnet sich selbst als „bayerischer Brite“, besitzt die britische Staatsbürgerschaft und sieht in den Referendum die Suche nach Identität. Die Briten wollen das Prestige aus alten Zeiten zurück.
Wolf von Lojewski, ehemaliger ARD-Korrespondent in London, kennt die Briten und ihre Eigenarten. Für ihn ist das Referendum Ausdruck des Rückbesinnens auf die lange Tradition der Demokratie.
Anna Firth, konservative Politikerin und Brexit-Befürworterin, will erhöhten Wohlstand für den Durchschnittsbriten. An die angekündigten negativen Folgen für die englische Wirtschaft glaubt sie nicht.
Anja Kohl, ARD-Börsen-Expertin, prangert das allgemeine Glaubwürdigkeitsproblem der Europäischen Union an. Die Bürger hätten kein Vertrauen mehr, und so ist ein Abwenden von der EU nachvollziehbar, aber mit schwerwiegenden Folgen für die brititische Wirtschaft verbunden.
Jean Asselborn, luxemburgischer und dienstältester Außenminister, betont, wie wichtig die Solidarität in der EU ist. Er sieht mehr Vor- als Nachteile in der Mitgliedschaft und stellt das Ziel eines Europas als geeintem Staat in Aussicht.
Roland Tichy, Journalist, zweifelt an dem demokratischen Gehalt der EU und wirft den Brexit-Gegnern auf dem Festland rücksichtsloses Verhalten im Kampf gegen den Brexit vor.

Sandra Maischberger und Wolf von Lojewski
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Wie demokratisch ist Europa? Diese Frage stellte Roland Tichy am Anfang der Sendung. Und auf diese Frage kamen die Gäste auch immer wieder zurück, egal ob es um Gesetze, Handelsabkommen oder die Einführung des Euros ging. „Die Engländer haben eine lange Tradition der Demokratie“, sind sich Wolf von Lojewski und die zugeschaltete Anna Smith einig. Die sehen die Engländer in der EU aber nicht verwirklicht, kritisierte Tichy. EU-Politik sei unabhängig vom Wahlverhalten der Bürger der Mitgliedsländer, aber habe dafür einen zu großen Einfluss auf die nationale Politik. „Berliner Zirkus“ nannte Tichy die deutsche Regierung angesichts der Machtlosigkeit gegenüber der Gesetzgebung der EU.
Lojeswki sieht bei den Briten ein weiteres Problem: „Die Menschen dort lassen sich nicht gerne von Fremden in ihre Angelegenheiten reinreden.“ Die Briten wollen endlich wieder ihre eigenen Entscheidungen treffen, zeigte sich der ehemalige ARD-Korrespondent verständnisvoll. Auch Francis Fulton-Smith sieht in dem Referendum eher eine Identitätskrise. „Die einzelnen Nationen gehen in dem großen Konstrukt Europa unter“, beklagte er. „Die Briten suchen ihre Identität.“
EU hat Glaubwürdigkeitsproblem

Schauspieler Francis Fulton-Smith
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Das sah Anja Kohl anders. Sie gestand den Briten wesentlich mehr Verstand bei der Frage nach dem Brexit zu. Die EU habe ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem, gerade in der Flüchtlingskrise habe sich gezeigt, dass ein geeintes Europa praktisch nicht existiert. „Die Menschen erwarten von der EU Antworten auf Problemfragen und sie erwarten vor allem Wohlstand“, erklärte die Finanzexpertin. Die EU sei „reformunfähig und -unwillig“, zudem sei die britische Wirtschaft zuletzt zwar um vier Prozent gewachsen, doch die wirtschaftliche Lage Europas mache das für den einzelnen Briten zunichte, hieß es wiederholt von allen Beteiligten der Runde.
„Daraus ziehen die Menschen Konsequenzen und deswegen wollen sie den Brexit“, fasst Kohl schließlich zusammen. Sie sieht, sollten die Briten tatsächlich für den Brexit stimmen, Unruhe in allen Lebensbereichen ausbrechen: „Alles wird rechtlich neu geregelt werden müssen. Das bedeutet Unsicherheit zum Beispiel für den Deutschen, der als EU-Bürger momentan noch legal in England lebt, aber eben auch für die Finanzmärkte.“ Die Balance, die momentan durch EU-Regelungen in Großbritanien herrscht, würde nicht gehalten werden können. Unternehmen überall und auch der Finanzmarkt in London würden abwandern, in rechtliche Stabilität.

Journalist Roland Tichy und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn
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Anna Smith spielte die vorausgesagten Konsequenzen als Schwarzmalerei herunter. „Genau dasselbe haben sie damals beim Euro gesagt. Es würde England so viel schlechter gehen, wenn wir da nicht mitmachten. All die vorhergesagten Katastrophen sind aber nie eingetreten“, kommentierte die Konservative die möglichen Folgen des Brexit. Auch Tichy nannte das Vorgehen „europäische Schwindelei und Aggression“. Er beglückwünschte die Engländer zu der Möglichkeit der Wahl, doch auf die Frage Maischbergers, was er glaube, wie sich die Engländer heute entscheiden werden, meinte er, an den Brexit glaube er eigentlich nicht.
Dem stimmten auch die anderen Teilnehmer zu. Kohl verwies noch einmal auf das tödliche Attentat auf die Labour-Abgeordnete Jo Cox. Das werde wohl viele Briten, geschockt von der Gewalt der Opponenten, zur Abstimmung gegen den Brexit bewegen.