Interview mit Marion Cotillard„Die Verschwendung hat niemanden interessiert.“

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Marion Cotillard beim Filmscreening von „Der kleine Prinz“ beim 68. Cannes Film Festival

Die französische Schauspielerin Mario Cotillard produzierte die Doku „Bigger than Us“

Marion Cotillard produzierte die Doku „Bigger than Us“ über junge Aktivisten. Im Interview verrät sie, ob sie sich für das Klima auf die Straße kleben würde.

Würden Sie sich auf der Straße festkleben, Marion Cotillard? So leger ist Schauspielerin Marion Cotillard selten zu sehen: Im Flauschpulli sitzt die Oscarpreisträgerin zu Hause auf einem Sofa voller kunterbunter Kissen. Im Videogespräch erzählt sie Stefan Stosch von ihrem Weg in den Umweltschutz, jungen Klimaaktivisten und der Schönheit der Antarktis.

Frau Cotillard, Sie engagieren sich seit mehr als 20 Jahren für den Naturschutz. Warum hat Sie gerade dieses Thema gepackt?

Marion Cotillard: Die Erziehung meiner Eltern spielte sicher eine wichtige Rolle: Der Respekt gegenüber anderen Menschen und gegenüber der Umwelt war ihnen wichtig. Ich habe auch viel bei meinen Großeltern gelernt, die beide Weltkriege erlebt hatten. In ihrem Garten bauten sie Gemüse an, legten Wert darauf, nichts zu verschwenden, und hatten ein genaues Gefühl für die Jahreszeiten. Das habe ich gewissermaßen geerbt. Dann kam ich Anfang der 1990er-Jahre nach Paris. Auch damals wurde viel gestreikt. Es gab keine Transportmöglichkeiten, die Müllwerker hatten ihre Arbeit eingestellt. Das alles brachte die Menschen zusammen. Wir spürten, dass in unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung war. Das galt besonders für mich, weil ich vom Land in die Stadt gekommen war.

Wie haben Sie Paris erlebt?

Ich war schockiert über die Art und Weise, wie wir in den großen Städten lebten, über den Abfall und darüber, dass wir überhaupt nicht recycelten. Die Verschwendung hat niemanden interessiert. Ich war damals noch nicht einmal 20 und besorgt über all die Schäden, für die wir verantwortlich waren.

Marion Cotillard fand bei Greenpeace Gleichgesinnte

Wie sahen das Ihre Freunde?

Sie teilten nicht dieselben Ängste. Sie machten sich sogar über mich lustig – ohne dass ich sie deshalb verurteilen will. Meine Fragen zu unserem Lebensstil wurden aber immer dringlicher. Ich wollte Antworten haben von Leuten, die sich besser auskannten.

Was haben Sie getan?

Zu dieser Zeit gab es noch so etwas Altmodisches wie Telefonbücher. Also nahm ich eines zur Hand und rief bei der einzigen Organisation an, die ich damals kannte. Das war Greenpeace. Ich sagte: Ich brauche Hilfe bei dem, was mich beunruhigt und was andere Leute nicht verstehen. So lernte ich Menschen kennen, die genauso dachten wie ich. Immer klarer wurde mir, dass die Alarmglocken längst läuteten und dass wir uns in die falsche Richtung bewegten. Wir schadeten der Erde, der Natur und allen Lebensformen, einschließlich uns selbst.

Was macht Sie wütender: Politiker, die nicht schnell genug handeln zum Wohle des Planeten, oder Menschen, die gedankenlos einen enormen ökologischen Fußabdruck produzieren?

Damals ging es mir nicht um Politik. Ich wollte, dass sich die Menschen bewusst werden, was um sie herum passiert. Die UN-Umweltkonferenz in Rio hatte schon stattgefunden. Man konnte also viel wissen über den Zustand der Erde. Meine Wut begann aber zu wachsen, als die Leute nicht sehen wollten, welche Auswirkungen ihr Tun hatte. Ich war jung, also kämpfte ich für diese Erkenntnis. Damals habe ich auch aufgehört, Fleisch zu essen.

Produzentin hat selbst in der Antarktis Plastik gefunden

Sie sind viel gereist in Sachen Umweltschutz: Gab es einen Moment, in dem Sie besonders beeindruckt waren von der Schönheit dieser Welt?

Die Antarktis war einer der wundervollsten Orte, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ich war mit Greenpeace dort. Wissenschaftler untersuchten das Wasser, die Pinguine, die Wale, die Eisberge. Es war paradox: Ich hatte das Glück, diese Schönheit zu sehen. Aber gleichzeitig konnte ich nicht wollen, dass die ganze Welt in die Antarktis fährt, um diese unberührte Natur zu erleben. Obwohl: So unberührt war sie schon gar nicht mehr. Wir haben auch furchtbare Dinge wie Plastik gefunden.

Welche Reise hat Sie besonders traurig gemacht?

Als ich im Kongo war, habe ich gesehen, wie der Wald mit einer beängstigenden Geschwindigkeit abgeholzt wird. Gleichzeitig war die Art und Weise unsinnig, wie neuer Wald gepflanzt wurde. Wir müssen bei solchen Dingen auf die Menschen hören, die den Wald kennen und dort leben. Das gilt überall, genauso in Südamerika. Die Indigenen haben das nötige Wissen: Wald besteht nicht nur aus Holz, er muss auch biologische Vielfalt bieten.

Sind Sie seit der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal im vorigen Dezember optimistischer, dass die Kenntnisse der Menschen vor Ort künftig besser genutzt werden?

Ich versuche, optimistisch zu sein. Ich würde mir wünschen, dass Frankreich als gutes Beispiel vorangeht. Dieses Land hat genau wie Deutschland alles, was es dafür braucht. Wir leben in einem privilegierten Umfeld. Und immer mehr Menschen suchen nach einem Sinn im Leben. Sie wollen nicht nur Geld verdienen und Geld ausgeben. Sie wollen nicht nur die Maschine des Kapitalismus füttern und immer mehr konsumieren. Sie entdecken eine neue Idee für ihr Leben, und sie suchen die Verbindung zu anderen Menschen. Das stimmt mich wirklich optimistisch. Allerdings: Bei all diesen Gipfeltreffen ist auch eine Menge „Bla, bla, bla“ zu hören, wie Greta Thunberg das genannt hat. Bislang haben wir noch nie die vereinbarten Ziele erreicht, um die Erdtemperatur auf einem bestimmten Niveau zu halten. Gesetze lassen sich leicht schreiben, aber man muss sie dann auch befolgen.

Cotillard wurde durch die eigenen Kinder für „Bigger than Us“ motiviert

Sie sind Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Haben Ihre Kinder Sie motiviert, den Dokumentarfilm „Bigger Than Us“ über junge Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten rund um den Globus zu produzieren?

Auf jeden Fall. Wenn man mit künftigen Generationen zu tun hat, ist es ganz natürlich, dass man die Umwelt schützen will. Die nachfolgenden Generationen sollen in einer friedlichen Welt leben. Als ich die Regisseurin Flore Vasseur kennenlernte, spürten wir beide, dass die Jugend gerade dabei ist, aktiv zu werden. Das war acht Monate, bevor Greta Thunberg Freitagsstreiks fürs Klima begann.

Haben die Aktionen der schwedischen Schülerin Sie beeinflusst?

Ihr Handeln ist so echt und ihre Wut so stark. Als sie an vorderster Front im Klimakampf auftauchte, dachten wir: Ja, wir machen etwas richtig. Unser Wunsch, diesen Film zu machen, wurde durch sie bestärkt. Wir hatten bereits unsere jungen Aktivisten rund um den Globus gefunden – Memory, die in Malawi gegen die institutionalisierte Vergewaltigung von Mädchen kämpft, Mohamad, der syrischer Flüchtling ist und im Libanon eine Schule für noch jüngere Flüchtlingskinder aufgebaut hat, Xiuhtezcati, der sich für Umweltgerechtigkeit im US-Staat Colorado starkmacht, Rene, der in Rio de Janeiro in seiner Zeitung über Armut und Rassismus berichtet. Und dann war da Melati, die seit ihrem zwölften Lebensjahr erfolgreich gegen die Plastikverschmutzung in Indonesien eintritt und die nun Gleichgesinnte überall auf der Welt trifft.

Ahnten Sie vor der Beschäftigung mit diesem Film, dass es eine so große Bewegung unter jungen Menschen gibt?

Recherchiert hat das alles die Regisseurin Flore. Sie hat zwei Kinder, die haben sie gefragt: Was macht ihr, um all diese Ungerechtigkeiten zu stoppen? Ihr müsst aufwachen. Ihr müsst das in Ordnung bringen.

Ihre eigene Tochter ist noch zu klein: Aber will Ihr Sohn auch schon von Ihnen wissen, wie es auf diesem Planeten weitergeht?

Mein Sohn Marcel ist elf. Wir sprechen viel über solche Dinge. Meine Generation und auch noch die Generation nach mir ist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass alles immer besser wird in der Zukunft. Junge Erwachsene haben diese Perspektive heute nicht mehr. Sie sehen, dass wir die Umwelt immer schlimmer behandeln. Ich versuche also, die positiven Dinge in die Waagschale zu werfen und meinem Sohn zu sagen, dass es noch nicht zu spät ist. Aber wir müssen schnell handeln. Und da kommt dann doch die Politik ins Spiel.

Die Schauspielerin würde es begrüßen, wenn ihre Kinder sich auf die Straße kleben

Was meinen Sie damit?

Politiker müssen den richtigen Weg wählen. Warum treffen sie Entscheidungen? Wollen sie dieses Gesellschaftssystem immer weiter bestärken, das darauf abzielt, dass wir mehr und mehr konsumieren? Oder konzentrieren sie sich auf die Hilfe für Menschen, die heute schon vertrieben werden und sterben, weil wir uns nicht um unsere Umwelt kümmern?

Würden Sie es begrüßen, wenn Ihre Kinder sich unter Klimaaktivisten begeben und sich an eine Straße oder an ein berühmtes Gemälde festkleben, um auf die Dringlichkeit der Situation aufmerksam zu machen?

Ja, das würde ich. Ich verurteile das Handeln der Aktivisten nicht. Wir müssen darauf hören, wie verzweifelt die jungen Leute sind. Wir können die Aktionen als lächerlich bezeichnen, klar, aber wir können auch sehen, dass sie Menschen bewusst machen, was wirklich vor sich geht. Wissenschaftler, die sich laut und deutlich äußern, werden nicht gehört. Ich denke, dass diese Bewusstseinsschärfung durch die Aktivisten notwendig ist.

Klimaaktivismus ist keine Frage des Alters: Könnten Sie sich vorstellen, selbst mit Sekundenkleber auf dem Asphalt Platz zu nehmen?

Ich sehe mich nicht als Aktivistin, aber ich unterstütze Aktivisten. Ich tue andere Dinge. Ich versuche, meinen Kindern ein Vorbild zu sein – mit all meinen Widersprüchen. Ich bin Schauspielerin, ich arbeite in verschiedenen Ländern, ich fliege mit dem Flugzeug. Es gab aber mal eine Zeit, in der ich gedacht habe, ich würde mein Leben ganz diesem Kampf für die Erde widmen. Heute weiß ich, dass das nicht mein Platz ist. Mir geht es ums Kreativsein. Ich würde aber gerne stärker an Filmen arbeiten, die eine andere Sicht auf die Welt vermitteln, und tue das auch schon zusammen mit Cyril Dion, einem erstaunlichen französischen Aktivisten. Unser Ziel ist es, die Welt so zu zeigen, wie sie sein könnte.

Besonders die jungen Frauen fallen in Ihrem Film „Bigger Than Us“ auf. Werden sie es sein, die diesen Planeten retten?

Frauen sind überall auf dem Planeten so stark. Sie leisten Erstaunliches. Aber wir brauchen genauso die Männer, um eine Entwicklung anzuschubsen, die für alle Arten von Lebewesen positiv ist. Ich bin auch nicht damit einverstanden, wenn es heißt: Oh, die Planetenrettung ist die Aufgabe der jungen Leute, sie werden das schon machen. Es geht für die Älteren darum, zusammen mit den Jüngeren aktiv zu werden.

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