„Kein Magengrummeln?“ARD-Journalist schreibt lobend über Pistorius – und wird dann sein Sprecher

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Boris Pistorius (SPD) ist neuer Verteidigungsminister in Deutschland, er blickt ernst in die Kamera, er trägt Anzug.

Boris Pistorius (SPD) ist neuer Verteidigungsminister in Deutschland. Er folgte auf Sozialdemokratin Christine Lambrecht.

Der frühere ARD-Journalist Michael Stempfle hat seinen Wechsel ins Verteidigungsministerium mittlerweile erklärt. Auch die Vorwürfe kommentierte er.

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) holt sich einen anderen Sprecher ins Haus: ARD-Journalist Michael Stempfle werde Leiter Stab Informationsarbeit, teilte das Ministerium am Montag in Berlin mit.

Stempfle löst damit den früheren ARD-Journalisten Christian Thiels ab, der sowohl für Ministerin Christine Lambrecht (SPD) als auch ihre Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) als Sprecher tätig war.

Soweit ein normaler Vorgang: Ein früherer Journalist wird Pressesprecher für ein Unternehmen oder eine Partei. In sozialen Netzwerken brodelt allerdings die Debatte, ob der Wechsel vernünftig und tragbar ist. Denn kurz vor dem Wechsel ins Verteidigungsministerium schrieb Stempfle noch einen lobenden Artikel auf seinen neuen Chef, Boris Pistorius.

Stempfle und Pistorius: Kritiker verweisen auf lobenden Tagesschau-Bericht

„Neuer Verteidigungsminister Pistorius – Ein Vollblutpolitiker, der anpackt“ lautet der Titel des Tagesschau-Berichts, den Stempfle über den Nachfolger von Christine Lambrecht (SPD) verfasste. Am 17. Januar wurde der Text veröffentlichte, sechs Tage später – am Montag – wird bekannt, dass Stempfle neuer Pistorius-Sprecher wird.

Ehemaliger Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio und jetzt Sprecher im Bundesverteidigungsministerium: Michael Stempfle

Ehemaliger Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio und jetzt Sprecher im Bundesverteidigungsministerium: Michael Stempfle

Und damit kommen unweigerlich Fragen auf: War der Journalist befangen, als er den Bericht verfasste? Wie viel Zeit sollten Journalistinnen und Journalisten vergehen lassen, bevor sie „auf die andere Seite“ wechseln? Fakt ist, dass Wechsel dieser Art üblich sind. Stempfles Vorgänger war ebenfalls zuvor ARD-Journalist und für Lambrecht und Kramp-Karrenbauer tätig. Ob sie auch richtig sind, ist eine andere Frage.

Besonders viel Wirbel gab es in dem Fall von Stempfle wegen des zuvor lobreichen Berichts in der Tagesschau: Als „bitter“ kommentierte Medienjournalist Marvin Schade den Vorgang, ein anderer User richtete die Frage an die Tagesschau: „Wenn ein ARD-Journalist erst ein gefälliges Stück über den designierten Verteidigungsminister schreibt und dann dessen Sprecher wird, habt Ihr da kein Magengrummeln?“

Eine Art Magengrummeln gab es in der Tagesschau-Redaktion offenbar, denn sie fügte dem kritisierten Bericht einen Hinweis der Transparenz hinzu: „Anmerkung der Redaktion: Michael Stempfle war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes (17. Januar 2023) Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Seit dem 23. Januar 2023 ist bekannt, dass er als Sprecher in das Verteidigungsministerium wechselt“, ist unter dem lobreichen Pistorius-Bericht zu lesen.

Wirbel um Sprecher-Posten: Stempfle traf Pistorius zwei Tage nach Veröffentlichung des Berichts 

Mittlerweile hat der jetzige Pistorius-Sprecher Stempfle sich zu den Vorwürfen und dem Wechsel ins Verteidigungsministerium geäußert. Demnach habe sich Stempfle am vergangenen Donnerstag, also nur zwei Tage nach Veröffentlichung des lobreichen Tagesschau-Berichts, mit Verteidigungsminister Pistorius getroffen, die Entscheidung sei laut Stempfle „am Samstag gefallen“, sagte er dem Medienmagazin DWDL. Er betonte, dass die Gespräche über einen „Seitenwechsel“ erst nach dem Bericht geführt wurden.

Gleichzeitig räumte er gegenüber DWDL aber ein, dass der Zeitraum „natürlich sehr knapp“ sei. Warum die zeitliche Lücke so gering war, erklärte Stempfle ebenfalls aus seiner Perspektive. Es sei üblich, dass mit einem neuen Minister auch ein neuer Sprecher ins Amt käme. Deswegen hätte er keine weiteren drei Monate warten können, um für Pistorius zu arbeiten.

Ob diese Erklärung die Kritiker ruhiger stimmen wird, bleibt offen. Der Fall macht aber die Bedeutung der Transparenz im Journalismus deutlich. Das weiß vermutlich Stempfle – und das sollte auch Pistorius wissen. (mab)

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