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Monheim-TriennaleWird die zweite Ausgabe schon die letzte gewesen sein?

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Der Vibraphonist und Posaunist Selendis S.A. Johnson in Monheim

Der Vibraphonist und Posaunist Selendis S.A. Johnson in Monheim

Die zweite Ausgabe der Monheim-Triennale „The Festival“ bietet Herausragendes. Doch um die Stadtfinanzen steht es nicht mehr gut. 

Von Mittag bis Mitternacht gibt es drei Tage lang Konzerte von lokalen und regionalen Kräften sowie internationalen Größen. Solche Vielfalt und Qualität gibt es sonst nur in den Konzertsälen der Metropolen, aber auch wenige Kilometer nördlich von Leverkusen in Monheim am Rhein. Schauplätze sind dort Altstadt-Kirche, Kapelle, Kino, Soziokulturelles Zentrum und ein Schiff der KD-Flotte. Die zwei Stockwerke hohe Eventlocation im Bauch der MS Rhein-Fantasie mit Umlaufgalerie und Bühne bietet Sitzplätze für dreihundert Besucher sowie eine hochprofessionelle Sound- und Lichttechnik für krachende Partys oder Konzerte.

Im Maschinenraum des Konzertdampfers hätte es nicht kraftvoller zugehen können

Nach dem Klangkunstfestival „The Sound“ 2023 und dem „Prequel“ 2024 mit Kennenlernen, Experiment, Vernetzung und Veranstaltungen gastieren in der kleinen Stadt am Rhein gegenwärtig erneut rund 100 Musikerinnen und Musiker aus vielen Ländern. Zur „Monheim Triennale II The Festival“ eingeladen hat sie dank eines Festivalbudgets von 1,5 Millionen Euro der künstlerische Leiter Reiner Michalke, vormals Intendant des Stadtgartens Köln und Moers-Festivals. Den Abend des ersten Tags eröffnete die Band „Hubris“ um den australischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Oren Ambarchi, einer der sechzehn Monheimer „Signature Artists“. Gleich fünf E-Gitarristen entfalteten als Zupfgruppe der anderen Art mit harten Schlag- und Tonwiederholungen ohrenbetäubende Beats samt sirrender Obertöne. Dazu fauchte die Flöte, kreischte das Saxophon und quiekte die Bassklarinette ekstatisch bis zur Erschöpfung. Im Maschinenraum direkt neben dem bei voller Fahrt stampfenden Schiffsdiesel hätte es nicht kraftvoller zugehen können.

Julia Ulehla schaut in die Kamera.

Julia Ulehla

Verschnaufpausen boten Bars, Catering und das große Freiluftdeck ganz oben auf dem Schiff mit Blick über den glitzernden Fluss. Weiter im verdunkelten Saal ging es mit den an slowakischer Folklore orientierten „Understories“ der Sängerin Julia Úlehla. Von Geige, Cello und Gitarre begleitet erzählte sie in traurigen Balladen von einem Mädchen, das von seiner Mutter verstoßen wurde, einsam durch die Welt irrt, eine himmelwärts fliegende Schwalbe, einen wieder grünenden Baum und einen freigelassenen Falken trifft, schließlich zum Bergahorn verzaubert wird und gefällt werden soll. Ähnlich bedeutungsvoll gaben sich die „Reflections on the German Revolution (1918/19 and more)“ des queeren Vibraphonisten und Posaunisten Selendis S.A. Johnson. Weit ausholend knallte der Bandleader seine Schlägel auf die Platten und lieferte sich mit Posaunist Moritz Wesp ein hitzig schnatterndes, brüllendes, schnurrendes Duo. Mit Kollegen aus New York, Düsseldorf, Köln, Italien und Mexiko gestaltete er harte Marschtritte, auskomponierte Passagen, freie und dirigierte Improvisationen, alles verschiedene Kommunikations- und Interaktionspraktiken, die man gesellschaftspolitisch verstehen konnte.

Die „Smart City Monheim 4.0“ hat das sagenhafte Defizit von einer Milliarde Euro angehäuft

„Atelic Halo“ sorgte im Club Sojus 7 für sirrende Drones, wummernde Subwoover und psychedelische Klangwellen. Sampler verwandelten vertrautes Küchenscheppern wahlweise zu Geschützfeuer, Naturlauten oder dem technoiden Soundtrack eines futuristischen Holodecks. Dazu verlas Yves B. Golden mit weicher Stimme unverständliche Traumvisionen. Stil- und Genregrenzen von Jazz, Improvisation, Elektronik, Neuer und Globaler Musik verfließen.

Noch bis Sonntag kann man in Monheim tolle Künstler erleben: den fantastischen Trompeter Peter Evans aus den USA, die australische Posaunistin Shannon Barnett mit dem Kölner EOS-Kammerorchester, die iranische Klangkünstlerin Rojin Sharafi, den Multimedia-Künstler Ludwig Wandinger, den Theatermacher und Komponisten Heiner Goebbels sowie Yuniya Edi Kwon aus New York mit einem Reenactment buddhistischer Riten und schamanischer Heilpraktiken. Der finnische Filmemacher Mika Kaurismäki drehte beim „Prequel“ 2024 den Film „Every Note You Play“. Gezeigt wird er nun im Emotion Kino sowie anschließend in diversen Kinos und von Arte. Kostenlose Shuttlebusse ab Köln Hbf fahren direkt zum Festivalschiff Monheim.

Dort sah man vom Oberdeck aus auch die Baustelle der „Kulturraffinerie K714“. Die historische Industrieanlage des Mineralölkonzerns Shell direkt am Rheinufer wird zum multifunktionalen Kultur-, Konzert- und Kongresszentrum ausgebaut. Vorgesehen sind ein kleiner und großer Saal mit Orchestergraben, modernster Bühnentechnik sowie weitläufigen Foyers, Gastronomie, Dachterrasse, Parkhaus. Unter Bürgermeister Daniel Zimmermann wurde Monheim seit 2009 zum Steuerparadies und zeitweise schuldenfrei. Die „Smart City Monheim 4.0“ hat viel gebaut, fehlinvestiert und inzwischen das sagenhafte Defizit von einer Milliarde Euro angehäuft. Der Vertrag des künstlerischen Leiters Michalke umfasst noch eine dritte Monheim Triennale 2026 bis 2028. Doch die zweite Ausgabe von „The Festival“ könnte die letzte gewesen sein, wenn nach einem Politikwechsel bei den Kommunalwahlen im September womöglich nicht mehr der Zauberstab sprudelnder Steuereinnahmen den Takt angibt, sondern der Rotstift.