Das Stück „#Motherfuckinghood“ am Kölner Schauspiel ist ein wütender Aufschrei gegen ein System, das Mütter benachteiligt.
Antibabypille in Theaterform

Wütend: Claude De Demo
Copyright: Schauspiel Köln/Anna Sorgalla
„Überlegt euch das gut. Mit dem Kinderkriegen. Jetzt, wo ihr die ganze Scheiße hier wisst“ – das soll Schauspielerin Claude De Demo in einer Probenpause zu den jungen Frauen im Team gesagt haben. Und tatsächlich könnte man den Abend als eine Art Antibabypille in Theaterform sehen. Doch „#Motherfuckinghood“ ist viel mehr: Ein wütender Aufschrei gegen ein System, das darauf aufgebaut ist, Mütter zu benachteiligen.
Und wenn man bedenkt, dass Generationen von Frauen schon gegen dieses System gekämpft haben, ist es erschreckend, dass das Bild der perfekten Mutter sich gar nicht so sehr von dem der 50er Jahre unterscheidet. Nur dass die top gestylten Frauen, die auf Instagram fröhlich Sauerteigbrot für ihre Liebsten backen, anders frisiert und gekleidet sind als damals. Und dann gehen sie heute eben auch noch nebenbei arbeiten – wenn sie nicht gerade die Brotdosen des Nachwuchses kreativ befüllen oder das Yoga-Training für den perfekten Körper nach der Schwangerschaft durchziehen.
„Beim Thema Mutterschaft ist man sehr schnell bei so einer Heile-Welt-Erzählung“, sagte Regisseurin Jorinde Dröse in der kurzen Einführung zur Kölner Premiere. „Ich bin in den 80er Jahren zum Beispiel mit der Persil-Werbung aufgewachsen, wo so eine perfekte Trad-Wife hereinschwebt. Das sind so glorifizierende oder selbstaufopfernde Bilder von Mutterschaft. Und uns war von Anfang an wichtig, ein Panoptikum an Gefühlen und auch an Perspektiven zu dem Thema aufzumachen.“
One-Woman-Show mit beeindruckender Präsenz
Jorinde Dröse hat das Stück zusammen mit Claude De Demo entwickelt, die es als One-Woman-Show mit beeindruckender Präsenz und Vielseitigkeit auf die Bühne bringt: Eine Collage aus Texten von Antonia Baum, Mareike Fallwickl und Emilia Roig – vermischt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, Studien und eigenen Erfahrungen. „#Motherfuckinghood“ lief zuerst am Berliner Ensemble, wo Intendant Kay Voges es gesehen hat. Er erzählt, dass er zweimal dabei geweint hat und selbst Vater zweier Söhne ist. Und betont, wie froh er ist, dass Claude De Demo jetzt zum Kölner Ensemble gehört.
Um die Daten, Fakten und Zahlen zum Thema zu verpacken, schlüpft die Schauspielerin immer wieder in die Rolle einer krawalligen Quizmasterin. Ein Zuschauer aus der ersten Reihe namens Norbert muss antworten, bekommt allerdings eindeutige Tipps. Ganz anders als die Kandidatin („Du bist eine Frau, Du musst Dich doppelt anstrengen“) – so ist das Leben. Auf diese Weise erfahren wir zum Beispiel, dass ein Mensch mit einer Vollzeitstelle in Deutschland im Jahr knapp 1700 Stunden durchschnittlich arbeitet. Eine Mutter stillt ihr Kind wiederum durchschnittlich 1800 Stunden im ersten Jahr. Ohne Nachtzuschläge. Ohne überhaupt dafür bezahlt zu werden. Dazu kommt übernächtigt zu Krabbelgruppen fahren, Windeln wechseln, Brei kochen, waschen, einkaufen, Schrei-Attacken... Doch als „Arbeit“ gilt das, was Mütter tun nicht: Diese Stunden sind unsichtbar und unbezahlt.
Immerhin gibt es einen schönen Anglizismus dafür, dass die unbezahlte Care-Arbeit mehrheitlich von Frauen erledigt wird: „Gender-Care-Gap “ – 12 Milliarden Stunden sind das weltweit täglich. Norbert rät das richtig, mit tatkräftiger Unterstützung der Quizmasterin. Außerdem wird er noch nach der männlichen Bezeichnung von „Rabenmutter“ gefragt und der Bedeutung von „mental load“ – der niemals enden wollenden To-Do-Liste, die im Hirn von Müttern ständig rauf und runter rattert: Muffins fürs Schulfest backen, die Frist der Bibliotheksbücher läuft ab und die Kita macht am Montag schon um 12 Uhr zu, weil gerade zu viele Erzieherinnen fehlen. „Dann hätten die halt keine Kinder kriegen sollen!“ ätzt Claude De Demo stellvertretend für die ältere „Da-musst-Du-halt-durch“-Generation.
Müssen Mütter da tatsächlich durch? Es sind die nachdenklichen Momente des Stücks, die am stärksten sind. Denn die Daten, Fakten, Zahlen, Theorien – die werden zumindest die meisten Mütter kennen, die sich irgendwann verzweifelt gefragt haben, wie sie eigentlich in diese missliche Lage geraten sind. Und sie werden auch die Erzählungen von den schrecklichen Geburten kennen, bei denen die Frauen hilflos einem gnadenlosen Krankenhausapparat ausgeliefert waren. Wenn sie nicht sogar selbst so eine Geburt erlebt haben.
Jede Menge „Willkommen in meinem Leben“-Momente
Die Mütter im Publikum erleben an diesem Abend im Schauspiel also jede Menge „Willkommen in meinem Leben“-Momente – traurige, wütende, verzweifelte, lustige. Es bestärkt ganz sicher, wenn Claude De Demo den ganzen Frust auf der Bühne stellvertretend herausbrüllt. Aber etwas wirklich Neues fördert die Statistik für sie nicht zutage. Es mangelt nicht an Wissen, sondern am Handeln – möge ein solcher Theaterabend also dafür sorgen, die Mütterlobby zu stärken!
Sehr berührend ist der Text der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl, die sich darin mit einem Klassiker auseinandersetzt: „Männer, Männlichkeit und Liebe“ der Amerikanerin Bell Hooks. Sie erzählt aus der Perspektive der Mutter eines Jungen. Und fragt sich flehentlich, ob ihr Kind dazu verurteilt ist, die alten gesellschaftlichen Rollenbilder zu leben. Und somit weiter ein System zu zementieren, in dem nicht nur die Mütter leiden. Sondern auch die Männer, denen Persönlichkeitsanteile abtrainiert werden, die als „weiblich“ gelten: Mitgefühl, Sensibilität, Wärme. Auch von Müttern. „Die größte patriarchale Kraft sind Mütter“ – ein Satz wie ein Hammer.
Tatsächlich werden Mütter an diesem Abend nicht nur als Opfer gezeichnet. Denn sie stützen bisweilen ein System, das nicht nur sie selbst, sondern oft genug auch andere ausbeutet: Schlecht bezahlte Nannys oder Putzfrauen beispielsweise. Eine Stunde und 45 Minuten dauert „#Motherfuckinghood“ in denen Claude De Demo eine beeindruckende Bandbreite ihres Könnens zeigt, innerhalb von Sekunden die Rollen, Stimmungen und Kostüme wechselt. Bestens investierte Zeit, gerade jetzt, wo junge Menschen in den sozialen Medien und eine Partei wie die AfD wieder traditionelle Rollenbilder feiern. Vor allem für Väter, Opas und alle, die kinderlos sind – es danach vielleicht auch bleiben wollen.
#Motherfuckinghood, nächste Termine: 15. Oktober, 19 Uhr, 19., 24., 31. Oktober, 20 Uhr.