MusikAufbruch in die Moderne
- Vor 100 Jahren ist der französische Komponist Claude Debussy gestorben
Paris, Jahresbeginn 1918. Der Erste Weltkrieg geht auch für Frankreich in seine Schlussrunde, aber das Ende samt der deutschen Niederlage ist noch nicht abzusehen. Vielmehr rüstet das kaiserliche Heer zu einer neuen großangelegten Offensive an der Westfront. In der Seine-Metropole schlägt die Erbitterung gegen die "Boches" hohe Wellen - mittendrin jemand, dessen sensibler Natur man solche archaischen Eruptionen gar nicht zutrauen würde.
Die Rede ist vom Komponisten Claude Debussy, der zwar selbst nicht ins Feld ziehen kann, seine Partituren aber seit Jahren konsequent als "musicien français" unterschreibt, sich darüber freut, dass Paris "von diesen lästigen Ausländern gesäubert" wurde, der in einem Klavierwerk ("En blanc et noir") einen Luther-Choral in die Zange genommen hat und aktuell eine "Ode an Frankreich" plant.
Dazu kommt es dann nicht mehr, und mit dem Komponieren ist es eh vorbei, denn Debussy ist nicht nur kriegsbegeistert, sondern auch schwerkrank: Sein bereits vor Jahren diagnostizierter Darmkrebs ist ins finale Stadium getreten. Am 25. März 1918, heute vor hundert Jahren, ist er gestorben.
Der erwähnten Sonate hört man übrigens nicht an, dass sie das Werk eines Sterbenden ist. Das ist keine subjektive Bekenntnismusik - die hat Debussy indes nie geschrieben -, die Rückschlüsse auf einen individuellen Lebenshintergrund zuließe. Das Klangbild ist von gläserner Transparenz und Anmut, paart sich mit Spielfreude und der Lust am Ornamentalen.
Dezidiert nicht orientiert er sich - und damit wären wir wieder bei den äußeren Entstehungsumständen - an der deutschen Tradition, als deren Bewunderer er sich einst, um die Jahrhundertwende, demonstrativ geoutet hatte mit der Antwort auf die Frage nach seinen Lieblingskomponisten: "Den ganzen Wagner, Schumann, gewisse Stücke von Bach und Offenbach." "Der ganze Wagner" - damit ist derjenige genannt, dem, wie vielen französischen Musikern seiner und der Generation vor ihm, seit den Studienjahren am Pariser Conservatoire Debussys innige Hassliebe gegolten hatte und von dessen Einfluss er sich erst in seinen späten Werken endgültig befreite.
Zeitgenössische Kritiker sahen diesen Einfluss sogar in einem Werk, wo man ihn auf Anhieb nicht wahrnimmt, sondern in dem vielmehr in Klanglichkeit und Atmosphäre ein exquisit französisches Flair herrscht. Und das dank seiner innovativen Gestalt nicht nur den Durchbruch des 32-jährigen zu Ruhm und Anerkennung, sondern eben auch signalhaft den Aufbruch der französischen Musik in die Moderne darstellt.
Es geht selbstredend um die Orchesterkomposition "Prélude à l'après-midi d'un faune", die 1894 ihre Furore machende Uraufführung erlebte. Wagner? Mag sein, dass die harmonische Unbestimmtheit und die Auflösung einer stabilen Syntax tatsächlich wie ein Erbe des "Tristan"-Vorspiels anmuten - wenngleich die Verabschiedung der überkommenen Tonalität noch erklecklich über den "Tristan" hinausgetrieben ist. Sehr viel deutlicher auf Wagners Musikdrama verweist allerdings Debussys einzige Oper, "Pelleás et Mélisande" von 1902.
Als Musiker war Debussy mithin kein engstirniger Nationalist, sondern Kosmopolit, der Anregungen von überall her aufnahm und sie seinem höchst individuellen Idiom anverwandelte. Anti-Wagnerianer war er im Zeichen der kriegerischen deutsch-französischen Konfrontation. Zum kompromisslosen Deutschen-Hasser indes ist er auch in seinen spätesten Tagen nicht geworden. Sonst wäre nicht zu erklären, dass seine letzte musikalische Bemühung kurz vor dem Tod der Musik eines Deutschen galt: einer Cello/Klavier-Übertragung der Gambensonaten von Johann Sebastian Bach.