Nach vorzeitigem Ende der WelttourneeRoxettes Tour-Tage sind gezählt

Per Gessle und Marie Fredriksson - mit Roxette sind sie nach Abba Schwedens erfolgreichster Pop-Export.
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Halle (Saale) – Die Tour-Tage von Roxette sind gezählt, verkündete das Management des schwedischen Erfolgsduos in dieser Woche. Auch das große Open-Air-Konzert mit der schwedischen Supergruppe, das im Sommer in Halle stattfinden sollte, musste abgesagt werden, weil Ärzte Sängerin Maria Fredrikson Auftrittsverbot erteilt haben.
Zeit steht nicht still
„Die Zeit steht nicht still“, sagte Per Gessle kurz zuvor noch im MZ-Interview, fast ein wenig prophetisch. Aber er meint sich selbst: „Vielleicht werde ich aber auch einfach nur alt.“ Gessle, musikalisches Mastermind hinter Roxette, spricht von seinen Jugendjahren. Und dabei tönt etwas, das wohl am besten mit nostalgischer Verklärung umschrieben ist. „Es scheint, als fülle Pop- und Rockmusik heute eine kleinere Lücke im Leben der Menschen als das noch in meinen Tagen der Fall war“, sagt Per Gessle. „Pop und Rock, Kunst und Film haben uns in den 60ern und 70ern mehr beeinflusst“, glaubt der 57-Jährige. „Populäre Musik scheint dieser Tage viel mehr einer Formel zu entsprechen.“
Fantastische 30 Jahre
Dass die Zeiten sich geändert haben, zeigt sich auch bei Roxette, auf die denkbar traurigste Weise: Roxette-Stimme Marie Fredriksson ist gesundheitlich so angeschlagen, dass sie auf Live-Auftritte verzichten muss. Wahrscheinlich für immer. „Es waren fantastische 30 Jahre“, erklärt sie selbst, „und die Erinnerungen an all unsere Auftritte werden für immer ein großer Teil meines Lebens bleiben.“ Gewiss scheint, dass das Konzert in Kapstadt im Februar das letzte der insgesamt 557 der Bandgeschichte gewesen ist. „Traurigerweise sind meine Tage auf Tour nun vorüber“, sagt Fredriksson selbst.
Es ist dies das vorzeitige Ende der „RoXXXette“-Welttournee, die die Band schon nach Berlin und Dresden führte. Für den Sommer war die letzte Etappe angekündigt, ein Dutzend weitere Bühnen überall in Europa, das 30. Bühnenjubiläum als Anlass im Gepäck. Im Juli hätte die Gruppe zum ersten Mal auf der halleschen Peißnitzinsel gespielt, ihr erstes Open-Air-Konzert in Sachsen-Anhalt.
Traum ist geplatzt
Hätte. Dieser Traum ist geplatzt. Ein Jammer angesichts der trostlosen Leere, die die Freilichtbühne seit Jahren prägt. Dass hier einst David Bowie oder Bob Dylan Tausende begeisterten, glauben dieser Tage kaum mehr die, die anwesend waren. Roxette wären so gesehen nicht nur musikalisch ein Sprung zurück in bessere Tage gewesen, sondern das Signal, dass es der hallesche Konzertveranstalter Matthias Winkler, der die Bühne vor kurzem zusammen mit seinem Kollegen Ulf Herden gepachtet hat, ernst meint mit der Wiederbelebung der Bühne. Nun müssen das Picknick Open Air mit Mark Forster und Johannes Oerding im Juli und Sara Connors Gastspiel mit ihrem Album „Muttersprache“ im August einspringen.
Per Gessle freute sich schon auf den Abstecher nach Sachsen-Anhalt. „Es ist ein Wunder, dass wir 30 Jahre ohne Kriege überstanden haben“, erklärt Gessle, „und wir hoffen natürlich, auch in Halle die Erwartungen erfüllen zu können“. Marie Fredriksons schwere Erkrankung - im Jahr 2002 war bei ihr ein Hirntumor diagnostiziert worden - schien überstanden, Roxette, die fast zehn Jahre pausiert hatten, landeten wieder ganz vorn in den internationalen Charts.
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Das Duo Fredriksson/Gessle ergibt eben immer noch eine magische Mischung. Roxette, 1986 in Halmstad, Schweden, gegründet, feierte im Wendejahr ’89 mit „The Look“ den Durchbruch. Und das verdankten Fredrikson und Gessle einem Zufall: Ein US-Austauschstudent nahm die CD mit in die Staaten und hinterließ sie dort bei einer Radio-Station. Der Chorus „NaNaNaNaNaNa“, ein Ohrwurm bis heute, ertönt bald in Dauerschleife. In den schönen Melodien liegt ein Teil des Erfolgsgeheimnisses des Duos. Gessles Texte mögen manchmal am Kitsch kratzen, aber seinen Powerpop- und Kuschelrocksongs wie „Dangerous“ oder „It Must Have Been Love“ hat dies nie wirklich geschadet. Ganz im Gegenteil.
Schier endlose Kette von Hits
Kommende Generationen mögen sich darüber streiten, ob nicht auch der Pop-Rock von Roxette etwas Formelhaftes in sich birgt. Die schier endlose Kette von Hits, die sie in den Charts platzieren konnten, spricht dafür. Vielleicht aber auch jene nostalgische Verklärung, die auch bei Gessle durchscheint, wenn er von den großen Zeiten der Popmusik spricht. Roxette haben einer ganzen Generation Gassenhauer wie „Joyride“ oder „Listen To Your Heart“ nähergebracht, deren unaufdringliche Eingängigkeit sie noch heute unvergesslich macht.
Per Gessle bleibt bescheiden: „Wir haben das Rad nicht erfunden. Ich sage immer, Roxette ist das Resultat unserer Plattensammlungen.“ Und die scheint erlesen, erstreckt sich von Joni Mitchell und den Ramones bis zu den Buzzcocks und Erik Satie.
Fantastische Stimme
Zum fortgeschriebenen Erbe kommt Fredriksson stimmgewaltiges Organ. „Marie hat fantastische stimmliche Fähigkeiten“, schwärmt Per von seiner Band-Partnerin. „Sie könnte aus dem Telefonbuch singen und es klänge atemberaubend!“ Auch in Sachen Stil glänzt die charismatische Skandinavierin mit dem gebleichten Kurzhaarschnitt – dem sie bis heute die Treue hält. Ihr „Look“. Roxettes Erkennungszeichen.
Bis heute gilt Marie Fredriksson als empfindsame Powerfrau, die sich nie unterkriegen lässt. Auch nicht von dem Hirntumor, der sie so folgenschwer beeinträchtigte. „Ihr wurde eine Überlebenschance von fünf Prozent eingeräumt“, erinnert sich Per Gessle an die schweren Jahre. Den Kampf gegen den Krebs hat die 56-Jährige zwar gewonnen. Doch sie blieb gezeichnet. Die kräftezehrenden Live-Shows konnte Fredriksson nur noch im Sitzen absolvieren. Auch stimmlich reichte sie nicht mehr an die einstige Intensität heran.
Stolzer Rückblick
„Ich bin dankbar und stolz, dass ich 2009 mein Comeback machen konnte und wieder mit Roxette rund um die Welt auftreten durfte“, ließ die Sängerin im Wissen um ihren Bühnenabschied verlauten. Auch Gessle schaut stolz zurück: „Es ist so cool; seit unserem Comeback haben wir 280 Konzerte zusammen gegeben“. Ob die Entscheidung, nicht mehr zu touren, sich auf die Existenz von Roxette auswirkt, ist bisher unklar. Gerade erschien die Single „It Just Happens“, die ganz und gar wie Roxette klingt. Das neue Album „Good Karma“ kommt Anfang Juni und es ist nach Ansicht von Marie Fredriksson nicht weniger als „unser bestes Album überhaupt“. Ein Ende von allem ist die Tourabsage also nicht. Fans bleibt die Hoffnung, dass Roxette ihnen künftig durch neue Studioarbeiten erhalten bleiben.
Karten für das Konzert auf der Peißnitz werden an den öffentlichen Verkaufsstellen erstattet. (mz)