Nachruf auf Jürgen FlimmDer Kölner Theaterzauberer, der Könige fliegen ließ

Lesezeit 5 Minuten
Jürgen Flimm, Intendant an der Staatsoper im Schiller Theater, posiert am 4. 3.2013 in Berlin am Rande einer Pressekonferenz mit einem schwarzen Vorhang.

Die Kölner Theaterlegende Jürgen Flimm ist mit 81 Jahren gestorben.

Jürgen Flimm, legendärer Kölner Schauspiel-Intendant, ist mit 81 Jahren gestorben. Seine Karriere als Theatermacher und international gefragter Regisseur war beispiellos.  

Die vier Reiterstandbilder preußischer Könige und deutscher Kaiser, die heute die Rampen der Hohenzollernbrücke flankieren, sie standen einst auf dem noch unbebauten Josef-Haubrich-Hof. Auf dem wollte auch Jürgen Flimm, damals Intendant des Schauspiels Köln, einen Teil seines ersten „Theater der Welt“-Festivals aufführen, für das er die New Yorker Performance-Künstlerin Laurie Anderson ebenso nach Köln holte wie die Peking Oper.

Den Haubrich-Hof aber sollte der einheimische Circus Roncalli bespielen. Flimm und Bernhard Paul kannten sich gut, seit der Intendant den Zirkusdirektor während der Besetzung des Bürgerhauses Stollwerck mit Strom und Wasser versorgt hatte. Damit hatte sich der junge Intendant bei der Stadtspitze nicht gerade beliebt gemacht.

Noch ungehaltener reagierten die Behörden, als Flimm nun mit der Forderung vorstellig wurde, den Reiter hinten rechts zu versetzen. Man brauche den Platz für den Einlaufbereich des Löwenkäfigs. Ein „Nein“ konnte der junge Theaterchef in seinen wilden Jahren schlicht nicht akzeptieren, nicht, wenn es um die Kunst ging.

Also bestellte er den Colonia-Abschleppdienst an Pfingsten, als die Ämter ruhten, ließ den kupfernen Wilhelm an Gurten über den Platz schweben und präsentierte später Oberstadtdirektor Kurt Rossa die Rechnung. Der tobte, „aber das war mir egal“, erinnerte sich Flimm in seinem letzten Gespräch mit dieser Zeitung vor gut zwei Jahren.

Wie Jürgen Flimm als junger Intendant Köln verzauberte

Jetzt ist Jürgen Flimm – der Kölner Theatermacher, der Könige fliegen ließ, um seine Stadt zu verzaubern – in der Nacht zum Samstag im Alter von 81 Jahren gestorben, wie die Staatsoper Unter den Linden bestätigte. Seine sechsjährige Intendanz gilt bis heute als die goldene Zeit der Kölner Bühnen. Flimm holte später gefeierte Regisseure wie Robert Wilson, Jürgen Gosch oder Luc Bondy nach Köln. Dass er im Unfrieden schied – die Stadt weigerte sich, den Störenfried feierlich zu verabschieden, Alfred Biolek organisierte kurzerhand ein inoffizielles Diner – machte ihm nichts aus.

Denn Köln sollte nur der Beginn einer beispiellosen Karriere sein. Sie führte den in Köln-Mülheim und -Delbrück aufgewachsenen Flimm für 15 Jahre als Intendant an Hamburger Thalia Theater. Anschließend leitete er sowohl die Ruhrtriennale, als auch die Salzburger Festspiele – wo er sich, dem Eliten und Intrigen zuwider war, nicht wirklich wohlfühlte. Zuletzt stand Flimm, Seite an Seite mit dem Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, fast acht Jahre lang der Berliner Staatsoper Unter den Linden vor. Es war, als würde Flimm die anspruchsvollsten und heikelsten Aufgaben, die im deutschsprachigen Bühnengeschehen zu vergeben sind, eine nach der anderen ansammeln.

Zwischenzeitlich fand er auch noch Zeit, dem Deutschen Bühnenverein als Präsident zu dienen und Gastprofessuren in Harvard, Hamburg und an der New York University zu übernehmen.

Als Opernregisseur in Mailand, London und New York gefeiert

Der Regisseur, klagte Jürgen Flimm später, hätte stets unter dem Intendanten leiden müssen. Gleichwohl gelangen ihm etliche gefeierte Inszenierungen, zuerst im Theater und dann immer mehr in der Oper, angefangen 1978 mit Luigi Nonos „Al gran sole carico d'amore“ in Frankfurt. Den italienischen Neutöner hatte Flimm ebenso wie Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen vor Ort in Köln kennengelernt, als die Kulturstadt in den 1960er Jahren als Zentrum von Fluxus und Neuer Musik erblühte.

Als Opernregisseur war Flimm jedenfalls bald international gefragt, arbeitete an der Mailänder Scala und am Londoner Covent Garden, stemmte einen „Ring“-Zyklus an den Bayreuther Festspielen, und feierte mit einem „Fidelio“ an der New Yorker Metropolitan Opera, wie er selbst sagte, seinen größten künstlerischen Erfolg.

Der „fanatische Schäl-Sick-Bewohner“

Die Liebe zum Theater war in dem laut eigener Aussage „fanatischen Schäl-Sick-Bewohner“ früh erwacht, sein Vater arbeitet als Theaterarzt, nahm den Sohn in die Vorstellungen mit. „Heimlich hoffte ich“, erinnert sich Flimm in der „SZ“, „dass einem Schauspieler schlecht wird, dann durfte ich mit hinter die Bühne und mir ansehen, was da los ist – spannend.“

Zuerst versuchte sich der junge Flimm als Schauspieler in der freien Szene Kölns, an der Studiobühne, am Theater der Keller und am Theater im Dom, wo er im Schwank „Keine Leiche ohne Lilli“ den Kommissar gab. Aber das Textlernen fiel Flimm schwer und so sattelte schließlich auf Regie um. Doch blieb er zeit seines Lebens ein Schauspieler-Regisseur. Flimm war kein Proben-Wüterich, er charmierte seine Ensembles mit Anekdoten und rheinischem Enthusiasmus und so becircte er auch seine Zuschauer. Zum ersten Theaterfest in Köln schickte er Elefanten mit Reklameschildern durch die Stadt.

Seinen Einstand am Offenbachplatz hatte Flimm mit Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ gegeben. 35 Jahre später kehrte der damals 79-Jährige mit Schillers „Don Karlos“ ein letztes Mal ans Schauspiel Köln zurück. Die Inszenierung im Depot 1 fiel unglücklicherweise in den zweiten Lockdown, konnte nur gestreamt werden. Doch der Regisseur war schon froh, auf seiner geliebten Schäl Sick arbeiten zu können, der Ausgang sei beim künstlerischen Arbeiten sowieso ungewiss: „Es gibt kein Erfolgsrezept, nur eine interne Ehrlichkeit.“

Etliche seiner Inszenierungen wurden allerdings zu Publikumsrennern. In Köln erinnert man sich selig an sein „Käthchen von Heilbronn“ aus dem Jahr 1979 mit Katharina Thalbach in der Titelrolle. Als der neue Schnürboden des Kölner Theaterhauses nicht fertig wurde, ließ Flimm kurzerhand ein Zelt am Offenbachplatz aufstellen und richtete dort binnen drei Wochen Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“ ein. „Es war nass, es war kalt, es war eigentlich furchtbar“, erinnerte sich Flimm im Gespräch. Aber es wurde ein Riesenerfolg mit mehr als 90 Vorstellungen. „Köln“, sagte Flimm, „hatte für uns damals ein bisschen was von einem Abenteuerspielplatz.“

KStA abonnieren