Abo

Premiere am Schauspiel KölnMit Don Karlos ist kein Staat zu machen

Lesezeit 4 Minuten
Marek Harloff wirft sich als „Don Karlos“ vor seinem Vater in den Staub

Marek Harloff wirft sich als „Don Karlos“ vor seinem Vater in den Staub

Köln – „Isset schlimm, jeh zu Flimm“ hätte seine Großmutter immer gesagt, erinnert sich Jürgen Becker im Programmheft zu „Don Karlos“. Der Schriftsteller ist wie der vormalige Kölner Intendant in Dellbrück aufgewachsen, wo Jürgen Flimms Vater als Hausarzt praktizierte.

Isset schlimm, jeh zu Flimm: Das gilt auch für das Schauspiel Köln, das sich mit strengen Auflagen und beachtlichen Inszenierungen durch die ersten Monate der Spielzeit kämpfte, nur um wieder schließen zu müssen. Kann es ein schöneres Hoffnungszeichen geben, als Jürgen Flimms Rückkehr ans Kölner Stadttheater, nach 35 Jahren?

Die Premiere seiner Inszenierung von Friedrich Schillers „Don Karlos“ mag live aus dem zuschauerlosen Depot 1 gestreamt werden, aber sie ist keineswegs als experimentelles Hybrid-Format angelegt, sondern als Versprechen auf das echte Erlebnis.

Alles zum Thema Schauspiel Köln

Stückbrief

Regie: Jürgen Flimm

Bühne: George Tsypin

Kostüm: Polina Liefers

Musik: David Schwarz

Mit: Bruno Cathomas, Melanie Kretschmann, Marek Harloff, Sophia Burtscher, Nicolas Lehni, Jörg Ratjen, Yuri Englert, Ines Marie Westernströer, Ralph Morgenstern

Auf die geringere Aufmerksamkeitsspanne vor den Endgeräten nimmt Flimm dennoch Rücksicht: Er hat die Tragödie um etliche Nebenfiguren und -handlungen entschlackt, geblieben ist das rasante Drama des entwicklungsgehemmten Prinzen und seines diktatorischen Herrscher-Vaters, im Prinzip „Star Wars“ im Blankvers.

„Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes Verdienst war noch, sein Einziger zu sein“, greint Marek Harloff als Titelheld gleich zu Anfang gegenüber Ines Marie Westernströer, die Domingo, den giftigen Beichtvater am spanischen Hofe, spielt.

Dieser Infant ist eine durch und durch jämmerliche Figur, wie er sich vor seinem königlichen Vater in den Staub wirft und im Übereifer eine Karte der spanischen Niederlande zerfetzt. Sein Jugendfreund, der Marquis Posa, hat versucht, Karlos’ ödipalen Triebe — er ist rettungslos in seine Stiefmutter verliebt — in den Freiheitskampf der Flandern zu kanalisieren. Kurz darauf windet sich der Infant schon wieder im flachen Kasten aus aufgeschütteter Erde, in dem der Großteil des Bühnenspiels stattfindet. Jetzt hat er einen Degen gegen sich gerichtet und bestürmt Melanie Kretschmann als seine Stiefmutter Elisabeth mit gestammelten Liebesschwüren. Nein, mit dieser Witzfigur ist kein Staat zu machen.

Nicht, dass der Vater so viel besser wäre. Bruno Cathomas lässt sich als Philipp II. mit Trommelwirbel und Applaus aus der Dose feiern. So wie in seinem roten Zirkusdirektoren-Rock um Autorität und Anerkennung buhlt, könnte man meinen, er spiele immer noch den Pozzo in „Warten auf Godot“, der ersten Premiere dieser Hürdenlauf-Spielzeit. Auch er befindet sich in einem Zustand ständiger Übererregung, zerreißt das Porträt seiner Gattin, als er diese der Untreue verdächtigt, flagelliert zuerst sich selbst und später sie. „Schenke mir jetzt einen Menschen“, verlangt Philipp II., doch sucht er nicht den Austausch ohne Ansicht des Standes, sondern nur einen Bewunderer, den er nicht vorher fürs Bewundern bezahlt hat.

Nikolas Lehnis Marquis Posa könnte der Ruhepol in diesem Cartoon-artigen Vater-Sohn-Konflikt sein (tatsächlich ist das Elisabeth, die einzige Figur, die vernünftig und überlegt handelt), doch seine aufklärerischen Reden bekommen in dieser hysterisierten Umgebung einen komischen Beigeschmack. Sein Bekenntnis „Ich liebe die Menschheit!“ klingt nach Realitätsverleugnung. Posas berühmte Forderung „Geben Sie Gedankenfreiheit“ bringt Lehni ohne allzu viel Pathos hinter sich, sie ist aussichtslos: Dieser Herrscher ist ja weniger absolutistisch, denn krankhaft narzisstisch.

Schiller wiederholt sich als Farce. Dass der Hofstaat beständig um die Ränder des Bühnenkastens herumscharwenzelt, kommt in der auf Nähe bedachten Streaming-Version zu wenig zur Geltung, schade, denn umso lächerlicher wirken ja die sich anhäufenden Brief-Intrigen, in denen sich die Hauptpersonen hoffnungslos verzetteln.

Nah an Karikatur

Geheim kann hier sowieso nichts bleiben. Sophia Burtscher als nur scheinbar naive Prinzessin Eboli und Jörg Ratjen als hitzköpfiger Herzog von Alba legen ihre Figuren ganz zurecht nah an der Karikatur an.

Am Ende gemahnt ausgerechnet der Überraschungsgast Ralph Morgenstern — zu Zeiten von Flimms Kölner Intendanz war er noch in Walter Bockmayers „Geierwally“ zu sehen — an die ernsten Konsequenzen des egozentrischen Spiels: Mit seinen vorausstaksenden Krücken erinnert Morgensterns Großinquisitor an eine Giftspinne, der Don Karlos, noch während er davon faselt, jedem Schicksal der Sterblichkeit zu trotzen, zum Fraß vorgeworfen wird.

Vorgetäuschte Größe

Das kann man alles so machen, langweilig wird es nie, doch bleibt die Frage, warum George Tsypins Bühne — mit ihren leuchtenden Säulen und auf riesige Figuren des höfischen Schattentheaters projizierten Massenbildern — eine Größe vortäuscht, die das Drama in dieser Fassung nicht hat.

Ähnlich verhält es sich mit David Schwarz’ Livemusik, die aufdringlich Spannung und Pathos auf das aberwitzige Geschehen lädt und dafür Wagners „Tristan“ und (am Ende) Bachs Matthäus-Passion einspannt.

Isset schlimm? Nein, nur, je nachdem, ein bisschen zu wenig, oder ein bisschen zu viel. Freuen tun wir uns trotzdem über Jürgen Flimms Rückkehr und den Entschluss des Schauspiel Köln, trotz Lockdowns weiterzuspielen. „Es ist wenig, was man zur Seligkeit bedarf“, um Schillers „Don Karlos“ zu zitieren.

KStA abonnieren