Jürgen Flimm im Interview„Ich bin ein fanatischer Schäl-Sick-Bewohner“

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Jürgen Flimm während der Proben zu „Don Karlos“ im Depot 1.

Jürgen Flimm während der Proben zu „Don Karlos“ im Depot 1.

  • Jürgen Flimm ist in Köln-Mülheim und -Dellbrück aufgewachsen. Von 1979 bis 1985 war er Intendant des Schauspiel Köln.
  • Diese Intendanz hatte es in sich: Besetzte Gebäude, umgesetzte Denkmäler. Die Stadtväter waren entsetzt, das Publikum begeistert.
  • Jetzt kehrt Flimm mit Schillers „Don Karlos“ ans Schauspiel Köln zurück. Die Premiere wird via Live-Stream am 18. Dezember ab 19.30 Uhr in Kooperation mit dem WDR zu sehen sein.

Jürgen Flimm, es sind 35 Jahre vergangen, seit Sie sich als Intendant aus Köln verabschiedet haben. Wissen Sie noch, mit welcher Inszenierung? Das war, glaube ich, „Die Jungfrau von Orléans“.

Und jetzt kehren Sie mit „Don Karlos“ zurück ans Schauspiel Köln. Zweimal Schiller, war das so geplant?

Nein, überhaupt nicht.

Sie haben zuletzt die Berliner Staatsoper Unter den Linden geleitet. Aber beim Sprechtheater haben Sie schon lange nicht mehr Regie geführt?

Doch, gerade, für das St.Pauli Theater in Hamburg. Die „Gefährlichen Liebschaften“ habe ich da gemacht, mit Martina Gedeck und Sven-Eric Bechtolf. Das kam aber nicht raus. Den Grund muss ich Ihnen nicht verraten.

Kommen wir noch einmal noch einmal auf Schiller zurück: Warum „Don Karlos“?

Stefan Bachmann und ich haben ein bisschen hin und her überlegt. Erstmal gab es lange, lange Jahre keinen „Don Karlos“ mehr in Köln. Und dann ist es ein ganz tolles Theaterstück. Bei Schiller gibt es immer diese merkwürdige Verbindung zwischen der privaten und der politischen Ebene. Die zu verknüpfen, das kann er wie kein anderer Autor. Das ist ja schon bei den „Räubern“ so. Und das hat mich bei Schiller immer wahnsinnig interessiert, wie er das macht. Der „Don Karlos“ dauert eigentlich vier Stunden, bei uns nur die Hälfte. Wir haben versucht, die Geschichte zu entschlacken. Sie nur auf die beiden Hauptstränge zu konzentrieren, die Vater-Sohn-Geschichte und die Flandern-Spanien-Geschichte. Ich habe nicht viel von Schiller inszeniert, jetzt setze ich mich noch einmal mit ihm auseinander, in meinem jugendlichen Alter von 79. Der Konflikt zwischen dem jungen Infanten und dem alten König, das ist doch eine zeitgenössische Geschichte.

Die man sicher anders liest, wenn man sich als 20-Jähriger mit „Don Karlos“ auseinandersetzt?

Ja, bestimmt. Aber ich habe ein gutes Verhältnis zu dem Infanten. Das ist eine Figur, die einem schon ziemlich leid tut, weil der alte Herr Philipp ihn nicht hochkommen lässt. Für sowas finden sie ja viele Beispiele im täglichen Leben, in Familienbetrieben, auch bei Königs.

Nehmen Sie in Ihrer Inszenierung Rücksicht auf die Tatsache, dass die nun erst nur als Live-Stream zu sehen ist?

Ich hatte gehofft, dass im Oktober eigentlich der Spaß vorbei wäre. Aber das Schauspiel ist gut beraten, das nicht abzubrechen. Nehmen wir mal an, im späten Frühjahr kann man wieder vor Publikum spielen, dann steht diese Inszenierung bereit, gewissermaßen aus der Tiefkühltruhe aufgetaut.

Fühlt sich das so an, als inszenierten sie für die Kühltruhe?

Nein, das ist ein Weg gespickt mit Abenteuern. Für mich eine richtige Entdeckung ist Bruno Cathomas, ein Super-Schauspieler. Mit ihm und allen anderen ist das eine Freude. Für diese kreativen Momente des Findens arbeite ich, das ist für mich das Schönste am Theater. Ans Publikum denke ich da noch gar nicht, das funktioniert nicht, sonst hätten wir alle schon 30 Bestseller geschrieben. Es gibt kein Erfolgsrezept, nur eine interne Ehrlichkeit.

Sie sind nicht nur ans  Schauspiel Köln zurückgekehrt, sie inszenieren jetzt auch in Mülheim, wo sie als Kind eine Zeit lang gelebt haben?

Aufgewachsen bin ich in Köln-Dellbrück. In Mülheim haben wir gewohnt, bis die Bomben die Stadt flachgelegt haben. Mein Vater hat in Mülheim im Krankenhaus operiert. Bis 1944, da sind wir ausgebombt worden und dann sind wir zu Bekannten von meiner Mutter aufs Land gefahren. Die hatten einen Bauernhof. Da waren wir, bis der Krieg gottseidank vorbei war. Ich bin fanatischer Schäl-Sick-Bewohner. Köln-Dellbrück war damals noch sehr ländlich, wir wohnten am Rande der Stadt, kurz vor Bergisch Gladbach, in Thielenbruch. Ich hatte dort eine sehr schöne Jugend, mit Spielen im Wald.

Als Stefan Bachmann 2013 sein Interimsquartier vorgestellt hat, haben manche geunkt, das Publikum komme nicht nach Mülheim...

Blödsinn: Es geht doch nur darum, wie gut sie sind. Ich habe vier Jahre lang die Ruhrtriennale geleitet und kenne solche Hallen wie diese hier. Wenn wir eine schöne Aufführung zustande gebracht hatten, dann kamen die Leute auch. Und die Hallen hier im Carlswerk sind ja toll. Das hier, bei Felten & Guillaume, Kultur stattfindet, finde ich fantastisch. Das ist nicht einfach, das hat der Stefan Bachmann gut gemanagt. Das ist wirklich ein feiner Kerl. Die sollten den in Köln behalten, so viele Gute gibt es auch nicht.

Sie konnten in ihrer Berliner Zeit ja auch nicht in der sanierungsbedürftigen Lindenoper spielen, sondern mussten ins Schillertheater umziehen.

Das Schillertheater war ein großer Glücksfall. Nachdem dort ein großer Orchestergraben hineingebaut wurde, hat die Oper da sehr gut reingepasst. Vor allem konnte man da auch Sachen machen, die ziemlich anders waren, als in der Staatsoper.  Interessanter. Wie zum Beispiel Rein Gold von Elfriede Jelinek.

Während Ihrer ersten Intendanz in Köln mussten Sie das Schauspielhaus doch auch für eine Zeit verlassen?

Ja, in Köln hatte man einen neuen Schnürboden gebaut und der wurde nicht rechtzeitig fertig. Das war also damals schon so. Da wussten wir zuerst nicht, was wir machen sollten. Das Theater einfach zuzumachen, das durfte nicht sein. Ein Schauspieler kam auf die Idee, einfach ein Zelt auf den Offenbachplatz zu stellen. Ich habe dann im Zelt „Leonce und Lena“ inszeniert. Wir konnten nur drei Wochen proben, es war nass, es war kalt, es war eigentlich furchtbar. Wir hatten mit vielleicht 15 Vorstellungen gerechnet, es wurden über 90, ein Riesenerfolg. Köln hatte für uns damals ein bisschen was von einem Abenteuerspielplatz.

Sie waren ja auch ein verhältnismäßig junger Intendant.

Wir waren alle jung, ich war 36, und wir waren alle frech, erfrischend frech. Ich habe diese Zeit sehr genossen, aber die Obrigkeiten waren nicht so zufrieden mit uns.

Was hat die Stadtväter am meisten gestört?

Wir waren unbotmäßig. Haben zum Beispiel in der besetzten, umkämpften Stollwerckfabrik gespielt.

Es gab doch eine Geschichte mit einem Reiterdenkmal?

Das war beim allerersten „Theater der Welt“-Festival, das wir organisiert hatten. Das war auch ein krachender Erfolg. Unter anderem, weil wir alle Ballette von Pina Bausch gezeigt haben. Ich habe auch Bernhard Pauls Circus Roncalli für das Festival engagiert, die waren auch bei der Stollwerck-Besetzung mit dabei gewesen, und sind von uns mit Wasser und Strom versorgt wurden. Die waren dann mit ihrem Zelt auf dem Josef-Haubrich-Hof, der damals noch nicht bebaut war. Dort standen auch die Reiterdenkmäler von der Hohenzollernbrücke. Und der Reiter hinten rechts stand genau im Weg für den Einlauf des Löwenkäfigs. Ich habe zu Bernhard Paul gesagt: Lass die doch von der anderen Seite auftreten. Darauf Bernhard Paul: Das sind die nicht gewöhnt. Die müssen denselben Weg nehmen, sonst fressen sie den Dompteur. Also habe ich zur Stadt gesagt: Das Denkmal muss da weg. Die haben nur geantwortet: Du hast sie ja wohl nicht mehr alle. Das kommt überhaupt nicht in Frage. An Pfingsten, als alle weg waren, habe ich den Colonia Abschleppdienst bestellt, und wir haben das Denkmal umgesetzt. Quer schwebte es an Gurten über den Platz und wurde vorne wieder hingesetzt. Das hat natürlich viel Geld gekostet und danach gab es einen furchtbaren Krach mit dem Oberstadtdirektor Kurt Rossa. Das war mir aber egal. Das Denkmal war weg und wir konnten den Circus Roncalli auftreten lassen. Die Stadt Köln hatte ja auch einen Vertrag mit denen, der musste erfüllt werden.

Sie hat es Ihnen trotzdem nachgetragen?

Ja, da war schlechte Laune angesagt, was die bunte Truppe vom Herrn Flimm angeht. Auch wegen der Stollwerck-Sache. Ich hatte lange schon ein Angebot vom Thalia Theater und da habe ich den Hamburgern gesagt, ich komme jetzt schon. Alfred Bioleck hat ein Abschiedsessen für mich organisiert, weil die Stadt Köln sich nicht dazu hergeben konnte, mir auch nur ein paar Röggelchen hinzustellen.

Machen es Theaterleiter ihrer Stadt heute zu einfach?

Das hängt viel von der Stadt ab. In Hamburg waren wir brav, da war das gar nicht nötig, da gab es so viele Theater und jedes hatte sein eigenes Profil. Aber die Kölner Zeit war so schön, weil sie so aufregend war. Schon das erste Fest war so toll, als , als wir tatsächlich Elefanten mit Reklameschildern auf dem Buckel vom Zoo durch die Stadt geschickt haben, das müssen Sie sich mal vorstellen! Wir hatten keine Angst, vor nichts. Nur davor, dass die Zuschauer nicht kommen würden. Aber die kamen dann ja auch.

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Das sind Erinnerungen, die jetzt, da sie wieder in Köln inszenieren, wahrscheinlich häufiger hochkommen?

Wenn ich von Berlin mit dem Zug nach Köln fahre und über die Hohenzollernbrücke komme, dann sehe ich dort die Reiterdenkmäler stehen und sage: Jungs, hier bin ich!

Nun gab es in diesem Jahr, im Zuge von Black Lives Matter, eine Diskussion darüber, ob man bestimmte Denkmäler nicht entfernen sollte. Zum Beispiel das des Kolonialherrschers Wilhelm II. Wie stehen Sie dazu?

Dessen Kolonien waren ja nicht viel wert, das war doch ein doofer Angeber. Also ich finde die vier Kameraden wunderbar, ich möchte die nicht missen. Vielleicht ein kleines Schild dran machen: Dieses Denkmal bewegte Jürgen in einem abrupten Anfall von Draufgängertum

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