Neue KinderstückeEngagierte Eiskugeln und getanzte Mutproben

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J. Ewert und F. Melis in „Gelato“

J. Ewert und F. Melis in „Gelato“

  • Das Kölner Comedia Theater weitet sich zum Zentrum der Kultur für Junges Publikum aus. Die Pläne sind ehrgeizig.
  • Jetzt feierten die ersten Stücke Premiere. Erzählt wird von der Geschichte des Speiseeises und von Mutproben.
  • Unsere Kritik.

Köln – Unterhalten sich zwei Eiskugeln über den Klimawandel: „Das freie Eis schmilzt“, sagt Matcha-Limone. „Ja, und?“, fragt Haselnuss. Worauf es aus Matcha-Limone herauskalbt: „Wir müssen zum Nordpol. Da schmelzen wir jetzt hin. Das Freieis braucht uns, jede Kugel von uns.“

Mit der mobilen Produktion „Gelato“ startet die Comedia in ihre neue Spielzeit, die zugleich eine neue Ära für die ehemalige Feuerwache an der Vondelstraße einläutet. Das Theater weitet sich zum „Zentrum der Kultur für Junges Publikum“ aus. Stadt und Land haben ihre Zuschüsse nahezu verdoppelt. Ausgestattet mit 1,4 Millionen Euro per annum, fungiert die Comedia nun ganz offiziell als Dreh- und Angelpunkt des Kinder- und Jugendtheaters in NRW. Ein Haus allein für Zuschauer, denen noch alle Möglichkeitsräume offenstehen (sollten).

Mitspracherecht

In diesem Sinne soll das Theater künftig noch vielfältiger, interkultureller, inklusiver, kooperativer und partizipativer werden. Ein junger Theaterbeirat mit großen Mitspracherechten wurde gegründet, Kinder und junge Erwachsene von sechs bis 22 erarbeiten, in sechs sogenannte Kollektive aufgeteilt, eigene Inszenierungen, die dann auf einem eigens eingerichteten Festival gezeigt werden.

Mit „Gelato“ weihte die Comedia gleichzeitig auch ihren Garten als Spielstätte ein, der Charme von Till Beckmanns Freiluft-Inszenierung besteht aber darin, dass sie im Prinzip überall gezeigt werden kann. Jennifer Ewert und Franco Melis erzählen, sich gegenseitig mit ersponnenen Ursprungslegenden überbietend, die Geschichte des Speiseeises, von den dekadenten Wünschen römischer Kaiser bis zu verwaisten Robbenbabys, die mit gefrorener Muttermilch aufgepäppelt werden. Ein großer Spaß.

Wirklich bemerkenswert ist indes, dass „Gelato“ auch eine Migrationsgeschichte aus der Sicht des ersten italienischen Eisverkäufers in Deutschland erzählt und zudem die Verbindung zur klimakatastrophalen Gletscherschmelze nicht scheut — das „Freieis“, das darunter leidet, dass seine geschmackvollen Artgenossen mit viel Energieaufwand gekühlt werden. Noch bemerkenswerter ist, dass dies auf Augenhöhe des Zielpublikums ab vier Jahren geschieht.

Die Abendpremiere mag in dem, was sie dem jungen Publikum unterbreiten will — Mutproben besteht man am besten gemeinsam, und manchmal ist es mutiger, zu einer Mutprobe „Nein“ zu sagen — weniger ehrgeizig sein, formal wagt sie dafür umso mehr: Mit „mutig mutig“ übersetzt die Choreographin Lin Verleger das gleichnamige Kinderbuch von Lorenz Pauli und Kathrin Schäfer in ein (fast) sprachloses Tanzstück, wobei drei Tänzerinnen — Khadidiatou Bangoura, Viola Luise Barner, Yurika Sophie Yamamato — und die bewährte Comedia-Akteurin Sibel Polat die Rollen der vier Freunde Frosch, Maus, Schnecke und Spatz übernehmen, die sich gegenseitig zu immer neuen Mutproben herausfordern.

Die tierischen Vorbilder werden durch die Kostüme und einige charakteristische Bewegungen nur angedeutet, die Produktion verzichtet nicht nur auf Worte, sondern auch auf jede bilderbuchartige Lieblichkeit.

Dafür schaffen Verleger, ihr Ensemble und die Musik von Marie-Christin Sommer ein ästhetisch hochwertiges und gleichzeitig ganz unmittelbares Erlebnis: Als sich die Freunde vor Löwengebrüll hinter einem Fransenvorhang fürchten und dabei immer näher zusammenrücken, überträgt sich ihre zunehmende Panik direkt auf die Kinder im Publikum, die mit jedem Zucken lustvolle Angstschreie ausstoßen.

Nächste Termine: „mutig mutig“, 25.–27. August (jeweils 10.30 Uhr), 19.–22. 9. (versch. Zeiten)

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