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Neue „Stranger Things“-FolgenDer größte Feind von allen ist die Nostalgie

5 min
Millie Bobby Brown and David Harbour USA. Millie Bobby Brown and David Harbour in CNetflix series - Stranger Things -season 5 2025. LMK106-J113877-041125 Supplied by LMKMEDIA. Editorial Only. Landmark Media is not the copyright owner of these Film or TV stills but provides a service only for recognised Media outlets. PUBLICATIONxNOTxINxUKxUSAxCAN

David Harbour und Millie Bobby Brown in der neuen Staffel von „Stranger Things“

Mit „Stranger Things“ geht nach neun Jahren die Serie zu Ende, mit der Netflix groß geworden ist. Unsere Kritik.

Vor neuneinhalb Jahren veröffentlichte der damals noch junge Streamingdienst Netflix die erste Staffel von „Stranger Things“. Millie Bobby Brown spielte Eleven, ein Mädchen mit telekinetischen Fähigkeiten, das Unterschlupf bei einer Durchschnittsfamilie in der amerikanischen Provinz fand, gejagt von ominösen Organen des militärisch-industriellen Komplexes.

Brown war 12 Jahre alt, als sie die E. T.-artige Rolle übernahm. Heute ist die britische Schauspielerin 21, verheiratet und Mutter einer adoptierten Tochter. In der erzählten Zeit der Serie – die ersten vier Folgen der finalen fünften Staffel wurden in der Nacht zu Donnerstag freigeschaltet – sind jedoch nur vier Jahre vergangen, von November 1983 bis November 1987. Die von „Stranger Things“ so effektiv verklärten 1980er Jahre scheinen sich ewig hinzuziehen. Oder die Bewohner der Kleinstadt Hawkins, Indiana leiden sämtlich an einer Entwicklungsstörung.

Heute müssen wir uns alle im Upside-Down-Alltag einrichten

Aber das ist kein Versagen der beiden Showrunner Matt und Ross Duffer. Ja man könnte sogar behaupten, die eineiigen Zwillinge hätten ihre heimelige Horror-Serie von Anfang an als erzählerisches Äquivalent zu wachstumshemmenden Hormonen entworfen. So wie die liebenswerten Dungeons & Dragons-Spieler von „Stranger Things“ zunehmend verzweifelt versuchen, die Ausbreitung der unheimlich wuchernden Parallelwelt des Upside Down einzudämmen, der unbedachte Forscher Tür und Tor geöffnet hatten, so stemmen sich die Duffer Brothers gegen den Einbruch der unübersichtlichen digitalen Gegenwart ins analoge Gestern. Und damit gegen den ganz realen Upside-Down-Alltag, in dem wir uns heute alle einrichten müssen.

Ironischerweise tun sie das zunehmend mit ebenjenen Computermitteln, die sie zu Anfang geflissentlich gemieden hatten. Die neue Staffel beginnt mit einem Rückblick auf die allererste Episode. Noch einmal wird der junge Will Buyers vom Demogorgon, einem humanoiden Monster mit dem Kopf einer fleischfressenden Pflanze, in die verkehrte Welt verschleppt – nur dass wir das dämonische Kidnapping diesmal aus der Sicht von Will erleben, einem digital verjüngten Noah Schnapp, der so glatt und wenig überzeugend wirkt wie eine KI-Halluzination - mehr Uncanny Valley als Upside Down. Bestenfalls füttert das die nostalgischen Sehnsüchte an, die „Stranger Things“ bislang so exquisit zu befriedigen wusste.

STRANGER THINGS: SEASON 5. (L to R) Noah Schnapp as Will Byers and Jamie Campbell Bower as Vecna in Stranger Things: Season 5. Cr. COURTESY OF NETFLIX © 2025

Noah Schnapp als Will Byers und Jamie Campbell Bower as Vecna in „Stranger Things“

Die Duffer-Brüder sind Jahrgang 1984, sie haben sich ihre 80er Jahre nicht aus eigenen Erinnerungen, sondern aus Film- und Popkulturzitaten zusammengebaut. Aus dem Sentiment Steven Spielbergs und dem Grusel-Minimalismus von John Carpenter. Aus John Hughes' Einfühlsamkeit für strauchelnde Heranwachsende (ebenso aus den selbstgebastelten Sprengfallen aus „Kevin – Allein zu Haus“) und der Action-Effektivität James Camerons – dessen „Terminator“-Hauptdarstellerin Linda Hamilton diesmal die obligatorische ruchlose Wissenschaftlerin spielt. Die großen Regievorbilder treffen im fiktiven Hawkins auf die figurengetriebene Weitschweifigkeit von Stephen-King-Wälzern wie „It“ oder „The Stand“, schließlich wird hier seriell erzählt, da kann nicht in anderthalb Stunden jeder Konflikt geklärt und jeder Bösewicht besiegt sein.

Inzwischen beziehen sich die Duffers sowieso weit weniger auf die goldene Zeit des fantastischen Kinos und dafür mehr und mehr auf ihre eigenen Ursprünge. Denn die liegen mittlerweile so weit zurück, dass die Serie ihren eigenen, in sich geschlossenen Retro-Zyklus bildet. Im Kleinen funktioniert „Stranger Things“ also exakt so, wie der Empfehlungsalgorithmus von Netflix und seinen Streamingkonkurrenten im Großen: Das Publikum hat die Wahl aus der endlosen Wiederaufbereitung des einmal Abgenickten.

Der Oberschurke lebt in einer Endlosschleife dunkler Erinnerungen

Dem entwaffnenden Charme ihrer Anfänge jagen die Serienmacher allerdings schon seit Jahren vergeblich hinterher. Nach den weltumspannenden Abenteuern der vierten Staffel kehren nun sämtliche Protagonisten in die provinzielle Heimat zurück. Doch die ist kaum wiederzuerkennen: Große Teile von Hawkins sind, nachdem das Upside Down rotglühende Schneisen durch die beschauliche Stadt geschlagen hat, vom Militär zur Sperrzone erklärt worden. Unsere Helden unterlaufen die fürsorgliche Belagerung als heimliche Ghostbusters-Guerilla. Doch Vecna (Jamie Campbell Bower), der Architekt und Oberschurke des schimmligen Schattenreichs, bleibt zunächst verschwunden. Er lebt selbst in einer Endlosschleife seiner dunklen Erinnerungen, denn das größte Monster von allen ist die Nostalgie.

Viel überzeugender als Will Buyers digitales De-Aging wirken die neuen, jüngeren Nebendarsteller, Mike (Finn Wolfhard) und Nancy Wheelers (Natalie Dyer) kleine Schwester Holly, die hier als Rotkäppchen-Verschnitt durch den Wald stapft, oder ihr dicklicher Klassenkamerad, den alle nur „Dipshit Derek“ schimpfen – der sich jedoch als erstaunlich effektiv im Kampf gegen das Böse erweist. Sie sollen die kindliche Unschuld zurückbringen, von der sich die ursprüngliche Besetzung zwangsläufig verabschieden musste – und es funktioniert.

Das gilt für vieles hier, etwa für den gemeinsamen Handlungsbogen von Robin (Maya Hawke) und Will, den beiden einzigen queeren Charakteren der Serie. Robin hat gelernt, ihre Sexualität auszuleben, und von der herrlich nerdigen Maya Hawke hört man sich auch gerne Lebenshilfe-Plattitüden an. Will steckt noch tief im Schrank fest – sein Coming-out aber gerät dann zu einem der befreiendsten Action-Momente der gesamten Show.

Überhaupt, die Action! Die Zeit und Sorgfalt, die in Dreh und Post-Produktion investiert wurde, zahlen sich einmal mehr aus: Die Rückkehr an den Ursprungsort wirkt der Beliebigkeit entgegen, zu der ein großes Budget und grenzenlose CGI-Möglichkeiten einladen; aber auf der kleineren Spielfläche entwickeln die Duffers eine umso größere Dynamik. Trotz der mehr als viereinhalb Stunden Laufzeit dieser ersten neuen Folgen: langweilig wird es in Hawkins nie.

Anschließend heißt es schon wieder Warten, die nächsten drei Folgen erscheinen am ersten Weihnachtsfeiertag und die wirklich letzte Folge erst zu Silvester. Keine andere Serie dürfte so symptomatisch – im Guten, wie im Schlechten – für das Streaming-Erlebnis stehen wie „Stranger Things“. Wie das Leben danach aussieht, ob die Duffer Brothers – und auch Netflix – im ewigen Pastiche verharren werden, das bleibt die größte unbeantwortete Frage.