Er war der international bekannteste Kölner, drehte mit Lars von Trier, Fassbinder und Madonna. Jetzt ist Udo Kier mit 81 Jahren gestorben.
Zum Tod von Udo KierDer Kultstar, der wie eine kölsche Venus aus den Trümmern stieg

Udo Kier, Kölner Weltstar, ist im Alter von 81 Jahren gestorben.
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Für Andy Warhol hat Udo Kier einst den schönsten Grafen Dracula der Filmgeschichte gespielt. „De görls arr biutifull, dey luk so piur“, hatte er mit unüberhörbar rheinischem Zungenschlag, aber maximaler Exaltiertheit ausgestoßen. Um sich dann mit Hingabe in deren weiße Hälse zu vergraben. Ein Vierteljahrhundert später muss sich Kier als alternder Vampir in der Marvel-Verfilmung „Blade“ die Eckzähne ziehen lassen. Solchermaßen verstümmelt kniet er am Meeresufer. Die Sonne klettert über den Horizont, seine Haut reißt auf, sein Körper steht in Flammen, verbrennt zu Asche und explodiert. Ein bisschen mehr Spektakel geht halt immer noch. Und egal, wie kurz seine Auftritte waren, am Ende, wenn die Deckenleuchten im Kino wieder angehen, wusste Kier, würde man sich zuerst an ihn erinnern.
Am Sonntagmorgen ist Udo Kier im Alter von 81 Jahren gestorben. Das teilte sein Partner, der Künstler Delbert McBride, dem Fachblatt „Variety“ mit. Dem Fotografen Michael Childers, einem Freund, zufolge, starb Kier in einem Krankenhaus in seiner kalifornischen Wahlheimat Palm Springs. Eine Todesursache wurde nicht bekannt gegeben.
Rund 70-mal ist Udo Kier in seinen Filmen dem Tod begegnet
Rund 70-mal ist Udo Kier – nach eigener, durchaus realistischer Einschätzung der international berühmteste Kölner – zuvor in seinen Filmen dem Tod begegnet. Der Regisseur Jan Soldat hat sämtliche seiner Sterbeszenen in seinem Kurzfilm „Staging Death“ zusammengeschnitten. Kier wird erschossen, zerhackt, fällt in „Iron Sky: The Coming Race“ als außerirdischer Hitler vom zahmen T-Rex. In „Cigarette Burns“ von Horrormeister John Carpenter fädelt er sein Gedärm in einen laufenden Filmprojektor ein. Seine letzten Worte: „I made my own movie.“
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Wer wollte das bestreiten? Zwischen hoher Kunst und niederstem Trash, zwischen Autorenwerken und Hollywood-Blockbustern, Serien, Videos, Computerspielen, Galerieinstallationen hat er das Vexierbild eines gleichermaßen geheimnisvollen, komischen, begehrenswerten, furchterregenden Leinwandheiligen geschaffen, ein menschliches Gesamtkunstwerk im Geist des Camp. Also eines Stils, in dem sich nach Susan Sontag Theatralik, Leidenschaftlichkeit und Verspieltheit treffen – eine Feier des Uneigentlichen als wahren Kern des Selbst.

Udo Kier (l.) zusammen mit Helmut Berger während der Dreharbeiten zu dem Film "Das fünfte Gebot".
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Sein größter Wunsch wäre, versteckt in einer Ecke zu stehen und sich selbst spielen zu sehen. Verriet Kier in einem jener launigen Interviews, die er in Köln im Hotel Savoy zu geben pflegte, bei einem Glas Weißwein zum zweiten Frühstück. „Ich bin dem nahe gekommen“, fuhr er fort, „als ich mit Keanu Reeves in Kanada ‚Johnny Mnemonic‘ gedreht habe. Da hat man für eine Szene einen Abdruck von mir angefertigt: Da stand ich mir gegenüber, ein vollkommener Abdruck meines ganzen Körpers. Ich bin ganz ruhig hingegangen, habe mich angefasst, angeguckt, gefühlt. Aber es war ja nur ein Abdruck.“
Wenn er mal wieder in Köln war, zündete er stets eine Kerze im Dom an und aß einen Sauerbraten am Eigelstein.
Das Staunen über die eigene Existenz kommt nicht von ungefähr. Kaum geboren – am 14. Oktober in Köln-Lindenthal – wäre Udo Kierspe, wie er damals noch hieß, fast schon wieder gestorben. Auf der Fahrt ins Krankenhaus sah seine Mutter brennende Menschen im Aachener Weiher stehen, sie waren vor den Phosphorbomben dort hineingeflüchtet. Zwei Stunden später traf eine Bombe die Entbindungsstation. Die Krankenschwester hatte gerade alle Neugeborenen zum Waschen eingesammelt, hatte sich schützend auf die Kinder geworfen, als die Wand einstürzte. Nur Udo und seine Mutter überlebten, ihr Wochenbett stand in einer geschützten Ecke, sie hatten den Kleinen noch ein bisschen halten wollen. Mit einer Hand hielt sie ihr Kind, mit der anderen versuchte sie, sich aus den Trümmern freizuscharren. „Manchmal habe ich eine Vision“, erzählte Kier in der Lobby des Savoy, „sehe Trümmer und eine Hand, die daraus winkt.“
Unter Tränen erzählt Udo Kier von Phosphorbomben
Zuerst hat Udo Kier diese Geschichte in Lars von Triers Film „Epidemic“ erzählt, unter echten Tränen. Der dänische Regisseur sollte ihn anschließend in fast jeder seiner Arbeiten besetzen, Kier ist der Patenonkel seiner Tochter. In der Mystery-Serie „Hospital der Geister“ gönnte ihm von Trier sogar eine zweite Geburt: als Kind des Teufels windet sich Kier darin blutverschmiert aus einer überlebensgroßen Vagina hinaus.
Wie seine Heimatstadt musste sich der junge Kier aus Trümmern seine eigene Existenz zusammenbasteln, aus den ärmlichen Verhältnissen befreien, in denen er allein mit seiner Mutter in der Düsseldorfer Straße in Köln-Mülheim aufwuchs, gleich am Rhein. Das Geld reichte nur für Suppe, für ein kaltes Bad einmal in der Woche – und für einen sonntäglichen Kinobesuch. Hier konnte der kleine Udo vom großen Glamour träumen. Zu Hause warf er sich heimlich in Fummel und spielte Caterina Valente.

Udo Kier trägt sich, von OB Henriette Reker empfangen, in das Gästebuch der Stadt Köln ein.
Copyright: Arton Krasniqi
Zuerst probierte er sich jedoch im Bürgerlichen aus, fing eine Kaufmannslehre in einer Kalker Werkzeuggroßhandlung an, arbeitete bei Ford in Niehl am Fließband. Reiste mit dem gesparten Geld nach London, um vor Ort Englisch zu lernen. Vom Kino wagte er damals noch nicht einmal zu träumen, die größte Hoffnung bestand darin, als Auslandsvertreter für die Bayer AG zu arbeiten.
Stattdessen wurde der schöne Mann mit den durchdringenden, grünblauen Augen entdeckt. „Das neue Gesicht des Kinos“, schwärmten Kritiker, als er 1966 in seinem ersten Film „Road to St. Tropez“ den Mittelmehrwellen entstieg wie eine leicht anrüchige Venus. Jetzt stand er bei der Agentur William Morris unter Vertrag, drehte Film um Film, europäisches Kunstkino und Mainstream-Horrorware wie „Hexen, bis aufs Blut gequält“. Spielte in „Suspiria“ für Dario Argento und für Warhols Regisseur Paul Morrissey – eine Zufallsbekanntschaft im Flieger – Frankenstein und Dracula, mietete seiner Mutter ein Haus in Rondorf und verkehrte selbst, ein junger Schneidersohn, in dekadenten Jetset-Kreisen mit Luchino Visconti und Helmut Berger, mit dem Prinzen von Thurn und Taxis und Arndt von Bohlen und Halbach.
Mit der Kunst war es Udo Kier ernst
Bereits in seinem zweiten Film, „Schamlos“, hatte Kier als Zuhälter an einem Happening des skandalumwitterten Blut-und-Sperma-Künstler Otto Muehl teilgenommen. Mit der Kunst aber war es ihm ernst. Er stellte seine schräge Schönheit Videokunst-Pionieren wie Ulrike Rosenbach, Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach zur Verfügung. Lebte zusammen mit letzterem und dem Maler Michael Buthe in einer Künstler-WG in einem ehemaligen Kraftwerk in Ostheim. Posierte für Rosemarie Trockel, Sigmar Polke und später für Christoph Schlingensief und für Madonna, in deren skandalumwitterten Fotoband „Sex“. In der Doku „Arteholic“ sieht man ihn das tun, was Normalsterblichen untersagt ist: Er fasst Bilder und Skulpturen an, beschnüffelt sie, lebt ein körperliches Verhältnis zur Kunst aus.
Man sah ihn auch in einigen Filmen von Rainer Werner Fassbinder, in „Lola“, „Berlin Alexanderplatz“, „Lili Marleen“ und am prominentesten in der RAF-Farce „Die dritte Generation“. Den hatte er mit 16 Jahren in der legendären Kölschkneipe „Leni“ in der Thieboldsgasse kennengelernt. Damals besserte Kier sein Taschengeld auf, in dem er Bilder von sich aus einem Fotoautomaten für ein Bier und eine Frikadelle an Gäste verkaufte. Jeder Star fängt mal klein an.
Auch die unverhoffte Hollywood-Karriere begann mit einer Zufallsbekanntschaft. In Berlin hatte ihn der Autorenfilmer Gus Van Sant angesprochen und eine Rolle in seinem Film „My Own Private Idaho“ angeboten. Dort lädt Kier als schwuler Vertreter Hans – er sollte in seinen amerikanischen Filmen immer wieder „Hans“ heißen – River Phoenix und Keanu Reeves als junge Stricher zu sich aufs Hotelzimmer – und mimt und tanzt zu seinem deutschen New-Wave-Song „Der Adler“. „Ich hörte einen Adler“, raunt Kier im Lied, „der oben am Himmel flog, mit mächtiger Stimme rufen: Wehe, wehe den Bewohnern der Erde.“ Die beiden Jungstars wälzen sich lachend auf der Couch. Eine unglaubliche Szene.
Nach der Publicity-Tour zum Film stand Kier schon mit gepackten Koffern an der Tür, als ihm eine Freundin zu einem letzten Glas Wein überredete und schließlich dazu, die Koffer stehenzulassen und sein Glück in den USA zu suchen. Er fand es, auch, weil er immer wieder als Schuss Tabasco in sonst eher lauen Mainstream-Werken besetzt wurde. Wie etwa von Michael Bay für „Armageddon“: Kier spielt den Psychiater, der entscheidet, welcher Astronaut zu dem die Erde bedrohenden Asteroiden fliegen darf. Es gab keinen festen Text, Bay ließ seine Stars – Bruce Willis, Ben Affleck, Steve Buscemi – einfach eine Stunde lang mit Kier improvisieren.
Von seinen Gagen kaufte er sich eine ehemalige Bücherei in Palm Springs, baute das Midcentury-Modern-Gebäude zur bewohnbaren Kunsthalle um – gegen den Abriss der Kölner Kunsthalle am Neumarkt hatte er noch vor Ort zusammen mit seiner Freundin Rosemarie Trockel protestiert. Auch deren Werke hingen jetzt in Palm Springs, genauso wie die von Polke, Jürgen Klauke und Gerhard Richter.
Mit Todd Stephens Altersdrama „Swan Song“ war ihm 2021 noch eine wunderbare Abschiedsvorstellung vergönnt, ein seltener Einsatz als Hauptdarsteller. Seine letzte Rolle hat Udo Kier aber in dem aktuellen brasilianischen Oscar-Kandidaten „The Secret Agent“ gespielt. Und natürlich heißt er hier wieder „Hans“.

