„Noise Signal Silence“ von Richard SiegalCooles Highspeed-Ballett

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Das Ballet of Difference am Schauspiel Köln.

Das Ballet of Difference am Schauspiel Köln.

„Noise Signal Silence“ am Kölner Schauspiel beweist einmal mehr, warum es kurzsichtig ist, Richard Siegal als Tanzchef gegen zu lassen.

Erst jetzt wurde so richtig klar: Richard Siegals Uraufführungen in der vergangenen Spielzeit waren die letzten neuen Stücke, die der Choreograf für Köln gemacht hat. Wie im Sommer bekannt wurde, hat die Stadt seinen Vertrag nicht verlängert. Trotz einer Auslastung von neunzig bis hundert Prozent. Trotz einer in Aussicht gestellten Förderung vom Land NRW. Und trotz allgemeiner Anerkennung seiner künstlerischen Leistung. Das aktuelle Programm im Depot 1 ist also das „Trennungs-Triptychon“ vom Schauspiel Köln. Kein neues Werk, sondern drei ältere Ballette aus Siegals Oeuvre.

„Noise Signal Silence“ - die Worte signalisieren: Der Sound ist das Leitmotiv, und tatsächlich ist der Abend eine Hommage an einen von Siegal bevorzugten Komponisten: Alva Noto, auch bekannt als Carsten Nicolai, einer der herausragenden Komponisten für zeitgenössische elektronische Musik.

Gewaltig, zuweilen brutal, aber minimalistisch - so klingen sie immer, die Klangwelten, die Noto zu Siegals Balletten liefert. Auch jetzt wieder lässt der Subwoofer den Raum zittern und animiert offenbar zudem eine rhythmisch grell aufblitzende LED-Lichtinstallation: Ein großer, ei-förmiger Leuchtkranz, der über der Bühne schwebt wie der Orbit eines schwarzen Planeten. Mal ziehen Balken wie Bar-Codes vorüber. Mal funkelt das Objekt wie ein riesiger Brillantring mit aggressiv-glitzernder Dominanz, gegen die sich das Ballet of Difference behaupten muss.

Das Ballet of Difference am Schauspiel Köln.

Das Ballet of Difference am Schauspiel Köln.

Doch auch im Tanz selbst tobt zunächst der Verdrängungskampf. Sobald sich ein Tänzer, eine Tänzerin breitbeinig unter dem Lichtbogen aufstellt, stieben andere davon. In den Pas de Deux' packen sich die Paare mit rabiater Entschlossenheit, zerren sich an durchgedrückten Armen und Beinen in die formperfekten Posen, schauen gefühllos aufeinander herab - kalte Energie, wie das Licht der LED-Ellipse.

„Oval“ heißt das 2019 entstandene Ballett zum Auftakt des Triple-Abends, der noch einer zweiten Konstante in Siegals Tanzschaffen Tribut zollt: dem Spitzenschuh. Für ihn war das Ballettutensil schon immer eine Technologie zur transhumanen Optimierung. Also kein Schühchen für fragile Ballerinen, sondern ein Tool, das aus Frauen und Männern eher hoch-getunte elegante Cyborgs macht. Perfekte humanoide Tanz-Maschinen, die selbst „menschliche Makel“ ästhetisieren: So sind Siegals Spitzenschuh-Choreografien auch deshalb so aufregend, weil sie das, was im klassischen Ballett als „Fehler“ markiert ist, absichtsvoll inszenieren: Körper, die aus der Balance kippen, gar stürzen, oder kleine Hoppler, wie um eine Position zu korrigieren. Diese Idee führt er nun an seinem dreiteiligen Abend ausgiebig vor, und damit aber nur eine Facette seines vielseitigen Oeuvres.

Als Tanzchef in Köln  war Siegals Erfolgsquote grandios

Schon immer konnte einem die Experimentierfreude dieses Choreografen Furcht einflößen. Man weiß einfach nie, was einen erwartet, und so ein Siegal-Resultat kann auch schon mal ziemlich schräg ausfallen. Als Tanzchef in Köln aber war seine Erfolgsquote wirklich grandios. Eine ganze Serie exquisiter Stücke ist hier entstanden. Es gab wilden polyrhythmischen Stiefeltanz, ein Gaming-Ballett für den heimischen Zuschauer-PC, eine bezaubernde Petruschka-Inszenierung und zuletzt durfte das westeuropäische Publikum den skurrilen Charme des Shoudan Koudou, des japanischen Präzisionsgehens kennenlernen.

Dazu sorgte die Haute-Couture-Designerin Flora Miranda stets für einen todschicken Look, und wer immer als Tänzerin oder Tänzer zum Ballet of Difference kam, reifte im BoD-Biotop schnell zum faszinierend exzentrischen Star. Doch nur als Gast wird das BoD hier künftig noch zu sehen sein. Wohl nicht ganz ohne Sarkasmus verabschiedet sich Siegal just mit dem Stück, mit dem er 2018 seine Visitenkarte abgegeben und das Publikum sofort erobert hatte: „Unitxt“.

Es ist eines seiner besten Werke. Ein Kultstück schon allein wegen der Haltegriffe an den Corsagen der Frauen, mit deren Hilfe die Männer sie gegen Ende des Stückes herumwirbeln. Und wie „Oval“ ein cooles Highspeed-Ballett.

Die Tänzer und Tänzerinnen wurden zu faszinierend exzentrischen Stars

Zwischen die beiden Stücke platziert Siegal das melancholischere „In a Landscape“, wobei die titelgebende „Landschaft“ wieder eine aus dem künstlichen Kosmos der Technik ist. Eine einsame Drohne surrt gelegentlich wie ein metallenes Glühwürmchen herum. In der gemeinsamen Komposition von Ruyichi Sakamoto und Alva Noto haucht zunächst das Klicken und Zischeln eines Beatmungsgeräts dem Setting Leben ein. Dann übernehmen elektronisch verfremdete, verträumte Klänge. Sie scheinen von der Sehnsucht nach Romantik und Gefühl in einer immer abstrakter werdenden digitalisierten Welt zu erzählen. Und auch der Tanz spürt dem Menschlichen in der hochartifiziellen Ballett-Technik nach, die den Körpern doch so Unnatürliches abverlangt.

Mensch und Maschine, Mensch und Technologie. Wo andernorts die KI-Debatten gerade heiß laufen, kühlen die drei gelungenen Stücke das Thema mit der Siegal-typischen Distanz erst mal ein paar Grad runter. Und sein fantastisches Ballet of Difference tanzt all das wie immer mit flamboyantem Sexappeal.

So zeigt auch dieser Abend wieder, wie kurzsichtig die Entscheidung der Stadt Köln war, einen Choreografen dieses Formats einfach weiterziehen zu lassen, eine Kompanie mit diesem Charisma einfach ihrer Auflösung zu überlassen. Wer immer nun auf Richard Siegal folgt, wird sich an seinen Leistungen messen lassen müssen.


Weitere Vorstellungen am 31. Oktober sowie im November und Dezember im Depot 1 / Schauspiel Köln

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