Philharmonie-Intendant„Ein großer Künstler kann menschlich ein Vollidiot sein”

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Langevoort

Louwrens Langevoort

Herr Langevoort, Sie holen in der neuen Spielzeit viele prominente Künstler nach Köln, etwa Daniel Barenboim, Lang Lang und die Dirigentin Mirga Gražynitė-Tyla. Wie zuversichtlich sind Sie, auch dank solcher Namen, das Publikum, das zuletzt noch zurückhaltend war, in die Philharmonie zurückzuholen?

Louwrens Langevoort: Ich bin Optimist. Ich gehe davon aus, dass sie ihre Gewohnheiten geändert haben. Sie gehen weniger aus, auch vor dem Hintergrund, dass das Leben teurer wird. Wir sind gefordert, neue Strategien zu entwickeln, um vielleicht zusätzlich ein anderes Publikum anzusprechen und dafür zu sorgen, dass das Konzerthaus wieder so funktioniert wie früher.

Wie kann das gelingen? Man erwartet von Ihnen doch wohl eine hohe Auslastung.

Das ist nicht ganz richtig. Als Geschäftsführer bin ich nicht für die Auslastung verantwortlich, sondern für eine schwarze Null. Ich muss dafür sorgen, dass sich das Geschehen in der Philharmonie rechtfertigt. Es muss nicht alles voll sein, auch wenn mein Herz als Veranstalter sich das wünscht.

Gibt es einen größeren Druck, auf das Populärere zu setzen?

Wir haben ja schon beides, Populäres und eher Unbekanntes. So werde ich es in der Zukunft weiterführen. Unser Vorteil ist, dass die Basis des Programms die beiden Hausorchester – Gürzenich-Orchester Köln und WDR Sinfonieorchester – sind. Die haben zusammen 80 Konzerte. Dann gibt es noch einen privaten Anbieter, und wir machen selbst Konzerte. Meine größte Aufgabe ist, dass die Stadt Köln Musik aller Art in diesem Haus hat. Natürlich kann man auch immer das Gleiche bringen, aber dann gibt es irgendwann einen Überdruss – und es kommt auch niemand mehr. Das Wichtige ist, einen guten Mix zu haben.

Wie können Sie denn Jüngere erreichen?

Die Frage ist: Will ich nur den Saal füllen oder will ich eine bestimmte Kultur erhalten? Will ich nur den Saal füllen, kann ich ein paar Popbands einladen. Aber ich bin ja auch für das Überleben einer bestimmten Orchester- und Musikkultur verantwortlich. Und das sind eben nicht nur Popbands. Außerdem nützt es mir nichts, mehrheitlich 18-Jährige mit Pop in die Philharmonie zu holen, denn es ist nicht sicher, dass sie danach Kunden der anderen Musik werden.

Aber haben Sie kein Legitimationsproblem, wenn die Säle häufig leer sind?

Wenn ein Konzert schlecht besucht wird, heißt es noch lange nicht, dass man es nicht machen muss. Wenn wenig Leute Mathe lernen möchten, zwingt man sie dennoch. Bei anderen Themen ist das nicht so. Warum schaut man im Bildungssystem nur noch auf Mathe, Chemie, Physik und Pisa-Studien? Wohin will man mit einer Gesellschaft? Wenn es keine Museen, keine Musik mehr gibt, ist das nicht gut. All das abzuschalten, leitet direkt zurück in den Urwald.

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine wird häufig die Frage gestellt, ob man von russischen Künstlern erwarten muss, dass sie sich klar gegen Putin stellen. Wie stehen Sie dazu?

So wie Sie entscheiden können, Sie gehen nicht in das Konzert eines glühenden Putin-Verehrers, kann ich entscheiden, ihn nicht einzuladen. Ich muss auch niemanden engagieren, der in Italien rechtspopulistische Gedanken verbreitet oder Marine Le Pen-Anhänger ist. Wir wissen ja, dass jemand ein großer Künstler und dennoch menschlich ein Vollidiot sein kann. Aber sie haben natürlich eine Vorbildfunktion, und wir möchten gerne, dass sie diese auch wahrnehmen und nicht missbrauchen.

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Ein anderes Thema unserer Zeit in der Klimawandel. Was kann der Konzertbetrieb tun, um ihm entgegenzuwirken?

Die Orchester müssen sich neu organisieren. Sie müssen Tourneen machen, bei denen sie nicht mehr von Paris nach Hamburg und nach Köln fliegen, sie brauchen einen Tourneeplan, wo das mit der Bahn oder mit dem Bus geht. Man muss irgendwo anfangen. Wenn die Philharmonie 80 Orchester hat, die im Jahr kommen, bedeutet das ungefähr 10 000 Personen, die nach Köln hin- und wieder wegfliegen. Wenn ich aber sehe, dass nur an den Ostertagen 450 000 Passagiere von Köln-Bonn fliegen, glaube ich nicht, dass die Gesellschaft durch einen veränderten Konzertbetrieb grün wird. Fängt man beim Tourismus an, kommt man ans Eingemachte bei jeder individuellen Person. Oder will der FC, wenn er wieder international spielt, mit dem Bus dorthin reisen?

Wo sehen Sie die Stärken Ihres Landsmanns, des neuen Opernintendanten Hein Mulders?

Er ist ein absoluter Opernfachmann, der sich vor allem stimmlich sehr gut auskennt und sicher tolle Besetzungen realisieren kann. Ich hoffe, dass er einen schönen Mix aus neuen Stücken und dem Repertoire machen wird. Und ich hoffe für ihn, dass er den Einzug ins Opernhaus am Offenbachplatz mit viel Elan und Erfolg erleben und dafür stehen kann, dass die Oper wieder ankommt im Zentrum von Köln. Es ist ein Drama, dass die Oper seit 2009 derart aus dem Blick geraten ist. Ich hoffe sehr, dass das Publikum in voller Stärke an den Offenbachplatz zurückkehren wird.

Der Kulturdezernent Stefan Charles ist seit einem halben Jahr im Amt. Gelingt es ihm, Köln als Musikstadt auf einen guten Weg zu bringen?

Der große Vorteil von Stefan Charles ist, dass er zuhört und Diskussionen möglich macht. Diese Grundhaltung finde ich gut. Er wird sich sicher noch profilieren und eigene Akzente setzen wollen. Vor allem aber muss er dafür sorgen, dass die Verwaltung die Dinge dann auch richtig umsetzt. Das Einzige, was mir bislang zu kurz kommt, ist der Tanz. Aber auch dafür gibt es ja Pläne.

Haben Sie angesichts der Pläne für die Historische Mitte Angst, im Zentrum einer Dauerbaustelle zu arbeiten?

Als ich 2005 kam, war es schrecklich. Da habe ich nur auf Baustellen geguckt. Im Moment bin ich mit dem fertigen Tunnel und dem Hackenbergplatz sehr zufrieden. Auch die Drogenszene hat sich verlagert. Für mein Publikum ist es leider immer noch schwierig, am Wochenende mit dem Auto ohne lange Wartezeiten in die Tiefgarage zu kommen. In der Weihnachtszeit ist das Chaos komplett. Aber ja, das Domhotel in der näheren Umgebung ist seit Jahren eine Baustelle, das Laurenz-Carré ist eine große Ruine, das Jüdische Museum ist Baustelle und natürlich die Oper. Mal sehen, was passiert, wenn der Musical Dome irgendwann Geschichte ist. Und dann gibt es noch die laufende Machbarkeitsstudie für die eigenen Gebäude, Philharmonie und Museum Ludwig. In zwei Jahren werden wir wissen, was alles saniert werden muss. Vor allem werden wir dann erfahren, ob wir zeitweise schließen müssen. Und dann ist die große Frage: Wohin können wir ausweichen?

Haben Sie eine Idee?

Wir brauchen dann eine Ersatzphilharmonie, so wie München und Zürich es vorgemacht haben. Ein gut ausgestatteter Konzertsaal, der für Musik, aber auch für performative Künste gebraucht werden kann. Man muss es natürlich low budget machen. In München ist ein Konzertsaal für 39 Millionen Euro fertig geworden im vergangenen Jahr. Man kann also billig bauen, wenn man will. Man muss sich nur rechtzeitig die Leute mit guten Ideen ranziehen. Ich will nicht nachtreten, aber was Bonn vor zwölf Jahren gemacht hat, war ein großer Fehler. Die Dax-Firmen hätten 75 Millionen Euro Geld gegeben für ein Festspielhaus, aber dann mussten die Bonner ausgerechnet auf die teuerste Architektin der Welt kommen. Und was hat Bonn jetzt? Nichts.

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