Podcast „Family Feelings“Marie Nasemann und Sebastian Tigges führen intime Gespräche am Mikrofon

Lesezeit 7 Minuten
Sebastian Tigges und Marie Nasemann stehen in schicker, schwarzer Garderobe nebeneinander.

Sebastian Tigges und Marie Nasemann brechen in ihrem Podcast „Family Feelings“ etablierte Tabus auf.

Marie Nasemann und Sebastian Tigges sind Eltern, Influencer und machen einen Podcast, indem sie sehr offen auch über Tabus sprechen.

Marie Nasemann ist Schauspielerin, Bestseller Autorin, Fair Fashion Aktivistin und Podcasterin. Bekannt wurde sie 2009 durch ihre Teilnahme an Germany’s Next Topmodel.

Sebastian Tigges war Anwalt für Insolvenzrecht in einer Großkanzlei in Berlin und ist heute Podcaster, Content Creator und hat mit Freunden eine Eierlikör-Marke gegründet. Sie leben mit ihren zwei Kindern in Berlin. Zusammen produzieren beide ihren Podcast „Family Feelings“ für RTL+ Musik.


Scheidungsgedanken, Depressive Phasen, Paar-Therapie, Nervenzusammenbruch – in Ihrem Podcast geben Sie viel von sich preis.

Marie Nasemann: Wir waren eigentlich von Anfang an sehr offen – das ging schon mit den ersten Folgen zum Thema Schwangerschaft und Geburt des ersten Kindes los: Fehlgeburt, Wochenbett - wir haben gefühlt in jeder Folge über ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema gesprochen.

Gibt es trotzdem Grenzen?

Marie Nasemann: Wir haben natürlich sehr klar abgesprochen, wie wir damit umgehen wollen - gerade mit der Privatsphäre unserer Kinder. Manchmal haben wir auch im Nachhinein was rausschneiden lassen, wo wir dann doch gemerkt haben: Das war jetzt zu privat, oder es betrifft Freunde oder Familie, die wir natürlich auch schützen wollen. Aber wenn wir nicht so offen und ehrlich wären, würde es uns auch keinen Spaß machen. Weil es sich dann irgendwie nicht echt anfühlen würde.

Fühlt es sich manchmal merkwürdig an, dass zehntausende Fremde Ihren intimen Gesprächen zuhören - beim Wohnung-Aufräumen, Spülen oder in der Straßenbahn?

Sebastian Tigges: Ich zumindest habe das von Anfang an überhaupt nicht reflektiert, wie viele Menschen uns eigentlich zuhören. Das ist glaube ich auch eher hinderlich. Wenn ich jetzt zum Beispiel vor einem Stadion voller Leute stünde - dann würde ich vielleicht nicht so intim sprechen. Insofern ist ein Podcast dafür schon ein sehr dankbares Format.

Marie Nasemann: Mich hat auch schon mal jemand auf der Straße auf eine sehr private, intime Story angesprochen, über die wir im Podcast geredet hatten. Und da war ich kurz verwirrt, dass jetzt diese fremde Frau so viel über uns weiß. Aber wir können das ja steuern und stehen hinter allem, was wir sagen.

Warum ist Ihnen das wichtig, auch über sehr private Themen zu sprechen?

Marie Nasemann: Als ich die Fehlgeburt und die Schwangerschaft mit sehr schlimmer, langer Übelkeit hatte – da habe ich mich schon ziemlich alleine damit gefühlt. Die meisten meiner Freund*innen hatten (noch) keine Kinder. Die Schattenseiten der Elternschaft werden wenig erzählt – nicht nur im Privaten, sondern auch in der Öffentlichkeit. Und deswegen habe ich gedacht: Wenn wir schon unschöne Sachen erleben, die uns so vom Hocker hauen - dann muss man wenigstens was Positives rausziehen und kann anderen Leuten das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind mit ihren Schwierigkeiten.

Sie machen also jetzt den Podcast, den Sie sich vor ein paar Jahren selber gerne gehört hätten.

Marie Nasemann: Ja. Ich finde es wichtig, offen über Elternschaft zu reden. Für mich wäre es gut gewesen, vorher einen echten Einblick bekommen zu haben. In den ersten Wochen nach der Geburt mussten wir erst einmal in unserer Mutter- beziehungsweise Vaterrolle ankommen. Das war das Anstrengendste, was ich je erlebt hatte, 24 Stunden am Tag fremdgesteuert zu sein. Ich dachte: Wie soll ich je wieder arbeiten oder schlafen oder mich konzentrieren können?!

Sebastian Tigges: Ja, ich war richtig schockiert. Dabei habe ich in meinem nahen Umfeld schon erlebt, dass Leute Eltern geworden sind. Aber auch da wurde nicht unbedingt Tacheles gesprochen. Mir hat es sehr, sehr gutgetan, darüber zu sprechen.

Podcasterin Marie Nasemann: „Wann ist etwas ZU privat und warum?“

Warum, glauben Sie, werden die Schattenseiten des Eltern-Seins lieber verschwiegen?

Sebastian Tigges: In unserer Gesellschaft herrscht ja immer noch das Bild vor, dass Kinder die Erfüllung bringen. Und alles ist ein Tabu, was an dieser lebenseinschneidenden Veränderung negativ sein könnte: Man darf sich nicht beklagen, weil man das große Glück hat, ein Kind empfangen zu haben. Uns geht es ja auch nicht darum, alles schlecht zu reden. Aber wenn man die Wahrheit nicht auf den Tisch packt, können Eltern ja auch gar nicht wissen, was sie erwartet. Das muss einfach mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden, um mal ein realistisches Bild davon vermittelt zu bekommen, was es heißen kann, Eltern zu werden. Und das kann einen sehr heilenden Effekt haben.

Marie Nasemann: Wir stellen uns häufig die Frage, was privat überhaupt bedeutet? Wann ist etwas privat und warum? Wann ist etwas ZU privat? Ein nackter Körper in der Schwangerschaft? Ein nackter Körper nach der Schwangerschaft? Fehlgeburten? Negative Gefühle? Dieses „privat“ rührt für mich aus einer Zeit, in der Männer Frauen gesagt haben, was sie tun und sagen dürfen oder nicht. Und aus einer Zeit, in der man sich nach außen besser darstellen wollte, als man ist. Ich befinde es als große Befreiung, überwunden zu haben, dass ich mich besser darstellen muss, als ich bin.

Instagram galt ja lange als Hochglanz-Plattform, wo schöne Menschen schöne Dinge präsentieren. Immer mehr finden dort aber auch Themen wie Depressionen, Body-Positivity, Klimaschutz oder psychische Gesundheit statt. Sehen Sie das positiv? Oder geht damit auch die Gefahr einher, dass komplexe Themen zu oberflächlich abgehandelt werden?

Marie Nasemann: Das ist eine richtig tolle Entwicklung und deshalb feiere ich Instagram nach wie vor und kann auch Leute nicht verstehen, die die ganze Plattform als etwas oberflächlich Negatives abtun. Man kann gute Inhalte zu fast allem finden. Und es liegt ja an jedem selbst, wie man mit diesem Medium umgeht und wem man folgt. Ich überprüfe regelmäßig, welcher Content mir gut tut und welcher nicht.

Sebastian Tigges: Dass es jetzt Menschen gibt, die sich Themen wie Mental Health auf die Fahne schreiben und damit versuchen, den großen Rubel zu verdienen - das passiert und das ist natürlich schade und manchmal gefährlich. Gleichzeitig wird das sowohl gesellschaftlich als auch von den Nutzer*innen sofort kritisch beäugt, was gut ist. Ich glaube, der Gesamteffekt ist schon positiv.

Marie Nasemann: Ich glaube aber auch nicht, dass eine Person des öffentlichen Lebens über die eigenen Depressionen spricht, nur weil es scheinbar gerade ein „Trend“ ist, dass viele Leute darüber sprechen. Viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oder täglich auf Instagram posten, stehen mental unter einem enorm hohen Druck. Sie geben viel Preis, werden täglich von Fremden bewertet. Ständig mit einer Gehirnhälfte im Internet unterwegs zu sein, ist wissenschaftlich belegt, ungesund. Deshalb glaube ich, ist es nicht verwunderlich, dass viele Content Creator*innen unter Burnout oder Depression leiden.

Wie gehen Sie selbst damit um?

Marie Nasemann: Ich habe das lange so ein bisschen abgetan, wenn mich Leute gefragt haben: Ist das nicht total anstrengend, das ganze Leben auch noch immer nach außen zu kommunizieren?! Ich dachte immer, das läuft ja alles nebenbei, kein Problem. Ich habe jetzt erst verstanden, dass ich mir da auch zu viel Druck gemacht habe: Immer noch schnell beim Kinderwagenschieben was hochzuladen oder stehend in der Tram. So dass zuletzt mit zwei Kindern eigentlich gar keine Momente mehr gab, in denen ich einfach mal nichts gemacht oder durchgeatmet habe.

Sebastian Tigges: Ich bin ja noch relativ neu im Soziale-Medien-Business und ich habe den Vorteil, dass ich die ersten Jahre unserer Beziehung bei Marie immer ganz gut gucken konnte, was sie für einen Zugang dazu hat. Wir haben auch viele kritische Gespräche dazu geführt, bevor ich dann überhaupt so richtig aktiv wurde. So konnte ich mir schon abschauen, was ein gesünderer Zugang dazu ist, solange man das auch abstrakt als berufliches Tool sehen kann und die Grenze zwischen beruflich und privat nicht völlig verschwimmt.

Gehen die Zahlen denn wirklich sofort zurück, sobald man weniger postet?

Marie Nasemann: In der Branche wird viel darüber spekuliert, dass die Instagram-Algorithmen belohnen, dass du die ganze Zeit auf der Plattform bist und sehr viel und regelmäßig hochlädst. Wenn du das machst, werden mehr Menschen deine Beiträge angezeigt. Sich davon freizumachen, ist nicht leicht. Ich versuche jetzt viel mehr nach meinem Gefühl zu gehen, wann ich wirklich Lust habe, etwas zu machen. Und wenn mein Account dadurch nicht mehr so schnell wächst, dann ist das so. In meinem Leben hat gerade meine Familie Priorität und unsere (mentale) Gesundheit. Und irgendwie läuft ja trotzdem immer alles weiter. Vielleicht verlegt sich ein Fokus, aber es geht weiter – und das ist für mich gerade ganz befreiend zu erleben.

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