Rachel Cusk im Literarischen Salon„Eine Kartoffel versteht mehr vom Leben als die meisten Menschen“

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Die Schriftstellerin Rachel Cusk in Barcellona, Spanien.

Rachel Cusk präsentiert ihr Buch "Der andere Ort".

Die britische Autorin Rachel Cusk stellt im Literarischen Salon ihre Bücher „Coventry“ und „Der andere Ort“ vor. Eine Erkenntnissuche zu Mutterschaft, dem Leben als Frau und Unabhängigkeit

„Life is confusion“ – mit dieser Aussage von Rachel Cusk lässt sich der Literarische Salon mit der britischen Autorin wohl treffend beschreiben, der das Publikum – auch aufgrund einiger Übersetzungsschwierigkeiten – zunächst irritiert zurücklässt. Bewusst konfus bleibt aber auch Cusks Werk an vielen Stellen. Die Autorin unternimmt in ihren meist autofiktionalen Texten Suchbewegungen, die Grundbedingungen von Frausein oder Mutterschaft zu ergründen, sie will scheinbaren Gewissheiten zuvorkommen und den Leser unbedingt nicht in dem Gefühl beruhigt wissen, das Leben verstanden zu haben.

Diese Unruhe erleben an diesem Abend im Stadtgarten auch die beiden Moderatoren Guy Helminger und Navid Kermani, die sich mit ausschweifenden Analysen den Texten Cusks zu nähern versuchen. Rachel Cusk lässt sie mit ihren an Mansplaining grenzenden Fragemonologen an einigen Stellen auflaufen und verweigert sich der Gefälligkeit, der harmonischen Auflösung.

Verschwimmende Genregrenzen

Auch in ihren Büchern wählt Cusk weibliche Erzählinstanzen, die sich ihrer eigenen Macht bewusst sind, sie gelegentlich auch unterschätzen oder hinterfragen, die sich unabhängig machen vom männlichen Urteil, die sich verweigern. Ihr Essayband „Coventry“ erhielt seinen Titel, weil die englische Redewendung „jemanden nach Coventry schicken“ bedeutet, jemanden mit Ignoranz zu bestrafen. Rachel Cusk befasst sich mit der Macht der Bestraften, diese Ignoranz (nicht) anzuerkennen und mit der Ohnmacht der Bestrafenden, die sich selbst in Mitleidenschaft ziehen.

Weil sich Essays und Romane in Cusks Werk ergänzen und die Grenzen der Genres zerfließen, wird im Literarischen Salon auch ihr zuletzt auf Deutsch erschienener Roman „Der andere Ort“ besprochen. Cusk stellt hier eine weibliche Stimme mit absoluter Kontrolle über die Narrative ins Zentrum des Texts und befreit das Genre des Romans von Erzählkonventionen. Bis zuletzt wird nicht klar, ob es sich hier um einen Monolog, einen Brief oder eine Ansprache an ein Gegenüber handelt. Vielmehr gibt Cusk den Themen Raum, die in ihren Büchern immer wieder auftauchen: Das Verhältnis von Kunst und Leben, Mutterschaft, Frausein, Bildungsbürgertum, Unabhängigkeit und Bindung.

Ihre Geschichten sollen in unserer Realität verhaftet sein, aber ausgestattet mit einem „Zeittunnel“ – wie die Autorin es nennt – aus Kontinuitäten weiblicher Unterdrückung und Nicht-Repräsentation. Immer wieder bezieht sich Cusk auf die nicht aufgeschriebenen, nicht gehörten Perspektiven von Frauen in der Geschichte. Ihr Lebensprojekt scheint es zu sein, diese ungeschriebenen Regeln und Bedingungen des Lebens als Frau im Patriarchat durch die Kunst zu ergründen und zu analysieren. Hochreflektiert und mit starken sprachlichen Bildern lässt Cusk die Leser an dieser Suche teilhaben.

Im Essayband „Coventry“ werden alltägliche Momente des Lebens wie Autofahrten oder die Einrichtung der Wohnung zu Metaphern gesellschaftlichen Lebens, Cusk verdichtet ihre Themen und liefert „eine Psychoanalyse der Gesellschaft“, wie es Kermani formuliert. Die Schauspielerin Ines Marie Westernströer liest einzelne Kapitel der deutschen Übersetzung vor. Einige Momente, die soziologisch zu untersuchen wären, liefert auch dieser Abend mit seiner brodelnden Mischung aus den Moderatoren Kermani und Helminger und der Übersetzerin Stefanie Schäfer auf der Bühne, die immer wieder aus ihrer Rolle fällt und eigene Interpretationen vorschlägt, einem Publikum, das manches besser zu wissen glaubt und der Autorin selbst. 

„Es war, als sei jemand mit mir auf einen langen Spaziergang gegangen.“

Eigentlich ist es auch Tradition, dass der Gast im Literarischen Salon ein für ihn bedeutsames Musikstück mitbringt - nicht so Rachel Cusk. Musik sei ihr zu wichtig, als dass sie ein einzelnes Stück hätte auswählen können, sagt die Autorin, die an diesem Abend in vielen Momenten eine distanzierte Erhabenheit ausstrahlt. Cusk bringt stattdessen einen Roman mit, der sie fasziniert hat: „Die Reise nach Ordesa“ von Manuel Vilas, darin geht es um den Tod der eigenen Eltern. Cusk hat diese Erfahrung selbst im letzten Jahr gemacht und beschreibt, wie sie der Roman an die Hand genommen und ihr eine Sprache gegeben habe für die Trauer, für die sie zuvor keine Worte fand. „Es war, als sei jemand mit mir auf einen langen Spaziergang gegangen“, so Cusk.

In ihren eigenen Texten lässt Cusk ihre Figuren Sätze sagen wie „Eine Kartoffel versteht mehr vom Leben als die meisten Menschen“ – nämlich weil sie auch im dunklen Keller im Frühling ihre Keime in Richtung Himmel streckt. Wenn er auch stellenweise verwirrte, so hinterlässt dieser Abend dem Kölner Publikum doch viel Inspiration, dem Großen im Kleinen auf die Spur zu kommen.

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