Abo

Rapper Kanye WestVom Popkönig zum Demagogen

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (7)

Kanye West mit Maga-Kappe   

Köln – Um das ganze Ausmaß der spektakulären Selbstdemontage des Kanye West zu erfassen, muss man sich zunächst einmal klar machen, wie groß der kulturelle Einfluss des Rappers, der dieser Tage schlicht als „Ye“ angesprochen werden will, wirklich ist.

Beziehungsweise war, denn nach einer ganzen Reihe von antisemitischen Aussagen führt für ihn wohl endgültig kein Weg mehr zurück in die anständige Gesellschaft. Dazu gleich mehr.

Sein überzogenes Sendungsbewusstsein hatte West von Anfang an. Aber das wirkte in den frühen Tagen noch rührend. Die dreiteilige Netflix-Dokumentation „Jeen-Yuhs“ zeigt den jungen Beatbastler und – noch! – Möchtegernrapper als Nerd mit loser Zahnspange und Rucksäckchen. Er trägt peinlich berührten Vorzimmerdamen in den Büros von Jay-Z’s Plattenlabel Reime vor, oder verkündet einer Studentengruppe am Nebentisch eines Fast-Food-Restaurants, dass bald sein erstes Album erscheinen wird. 

Kanye Wests Nahtod-Erfahrung

Kurz: er gibt eine lächerliche Figur ab. Aber in ihm brennt ein Feuer. Und sein Talent ist unbestreitbar. In der Nacht vom 23. Oktober 2002 schläft Kanye West nach langen Stunden im Aufnahmestudio am Steuer seines Wagens ein, prallt frontal auf ein entgegenkommendes Auto. Er hat Glück, lediglich sein Kiefer ist zertrümmert und muss rekonstruiert werden. Zwei Wochen später, der Kiefer ist noch verdrahtet, verarbeitet er die  Nahtod-Erfahrung im Song „Through the Wire“, es wird sein erster Hit. Auf seinem Debütalbum „The College Dropout“ präsentiert sich West als Self-Made-Man, der nur an Gott und die eigene göttliche Sendung glaubt.

Das Album weist mit seinen hochgepitchten Soul-Samples, seinen Chören, seiner üppig-warmen Produktion und auch seiner so charmanten wie schonungslosen Ehrlichkeit weit über den damals vorherrschenden Gangsta-Rap hinaus. Plötzlich ist es auch für Rapper cool, aus der Mittelschicht zu kommen, sich als Christ zu outen und öffentlich nachzudenken. Wests ungebremstes Ego fällt bei so viel klanglichem und thematischem Neuland kaum auf.

Die Opfer von Kanye West: George W. Bush und Taylor Swift

Das sollte sich ändern: Bald sind die Eseleien und Ausbrüche des Rappers Legende: Wie er George W. Bush vor laufenden Kameras unterstellte, dass ihm schwarze Mitbürger egal seien, wie er bei den MTV Video Awards  die Bühne stürmte um Taylor Swift ihren eben erhaltenen Preis aus den Händen zu reißen. Wie ihn Barack Obama daraufhin einen „Vollpfosten“ schalt.

Noch halb im Scherz, denn die Verhaltensauffälligkeiten waren ja auch irgendwie Geschäftsmodell. Auf seinen Alben lieferten sie West  die Inhalte, über die er sich mal zerknirscht mal prahlend auslassen konnte. Je erratischer sein Benehmen, desto brillanter wurden diese Alben: das bombastische Meisterwerk „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ und seine schroffe, aggressive Negation „Yeezus“.

West mochte ja verrückt sein – so seiner bipolaren Störung wusste die Welt damals noch nicht –, aber eben auch ein Genie. Sechs seiner Werke  haben es auf die 500-Besten-Liste des „Rolling Stone“ geschafft und der gilt nicht gerade als Hip-Hop-affin. 

Adidas, The Gap und Balenciaga machten Kanye West zum Milliardär

Es waren auch nicht nur Kritiker, die jubelten. Mehr als 160 Millionen Tonträger soll der einstige Nerd aus Chicago bis heute verkauft haben. Sein unternehmerischer Ehrgeiz überflügelte noch den seines einstigen Mentors Jay-Z. West arbeitete unter anderem mit Adidas, Nike, The Gap und Balenciaga zusammen und wurde so, nach eigenen Angaben, zum Milliardär.

Als diese Konzerne haben inzwischen die Zusammenarbeit mit West aufgekündigt, im Falle von Adidas allerdings erst nach peinlich langem Zögern. Denn Sneaker lassen sich mit der Marke Ye weiterhin gut verkaufen, daran hatte selbst Wests öffentliche Schwärmerei für Donald Trump nichts geändert, da hatten sich zwei Narzissten im jeweils anderen wie in einem Jahrmarktspiegel erkannt.

Doch West eskalierte immer weiter. Bezeichnete die Sklaverei als freiwillige Entscheidung, die Afroamerikaner getroffen hätten, lief über Pariser Laufstege mit einem „White Lives Matter“-Shirt, und landete zuletzt beim unverhohlenen Antisemitismus, mit all den üblichen Verhetzungen, die man an dieser Stelle nicht wiederholen muss. Angeblich, meldeten sich nun mehrere Ex-Angestellte zu Wort, habe er schon länger lauthals von Hitler geschwärmt.

Im Rückblick war diese letzte Eskalationsstufe absehbar: West hat künstlerisch und beruflich fast alles erreicht, nur die offene Wunde im Gemüt, die konnte kein Erfolg vernarben. Und weil er das Problem Kanye nicht in den Griff bekommt, wendet er sich imaginierten äußeren Feinden zu, nach bewährtem Muster. West psychische Erkrankung  darf da keine Entschuldigung sein, eher sollte man sein trendsetzendes Gespür dafür, was die Massen hören wollen mit in Betracht ziehen. Vom Pop-Avantgardisten zum Demagogen ist es nur ein kleiner Schritt.

KStA abonnieren