Das Unwort des Jahres 2023 ist „Remigration“Die neue Variante von „Ausländer raus!“

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Der Begriff "Remigration" wird auf einem Tablet präsentiert. Das «Unwort des Jahres» 2023 in Deutschland lautet «Remigration». Das gab die sprachkritische «Unwort»-Aktion am Montag in Marburg bekannt.

Das ´Unwort des Jahres 2023 in Deutschland lautet „Remigration“

Das Unwort des Jahres 2023 lautet „Remigration“. Es steht sinnbildlich dafür, wie rechtes Gedankengut in die Migrationsdebatte einfließt.

Praktisch, was man mit Sprache alles machen kann! Nur eine kleine Vorsilbe — und schon hat sich das Problem erledigt. Ein linguistischer Zaubertrick aus dem Lager der Rechten, wo der Begriff Remigration seine Wurzeln hat.

Das Wort klingt wunderbar bürokratisch und durch und durch harmlos. Ganz anders als Abschiebung, Ausweisung, Vertreibung oder gar Deportation. Denn das sei Remigration ja auch alles gar nicht, schreibt der rechtsextreme österreichische Aktivist Martin Sellner in seinem neuen Buch „Remigration — Ein Vorschlag“: „Es gehe vielmehr um Anreizsysteme, um freiwillige Ausreise und um klare Kriterien wie Kriminalität, politische Religiosität und kulturelle Ferne“.

Das Unwort des Jahres 2023 ist „Remigration“

Naja, ein knallhartes Kriterium ist „kulturelle Ferne“ jetzt nicht gerade. Aber egal. Das maximal Miese („Wir schmeißen einfach alle Migranten aus Deutschland raus, die uns nicht in den Kram passen“) muss minimal mies verkauft werden. Genauso funktioniert auch der Nachsatz des Buchtitels „Ein Vorschlag“ — der Mann will ja nur ein nettes Gespräch. Und wenn danach zufällig am Ende weniger Migranten in Deutschland leben – gerne! Noch ein Schlückchen Kaffee?

Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Rechten ganz genau wissen, wie die Rhetorik der Mitte funktioniert: Das Etablieren des Begriffes Remigration ist einer. „Das mit der Remigration, das wäre doch eine gute Sache!“. Sowas kommt einem leicht über die Lippen bei einem Verwandtenbesuch oder im Treppenhaus zum Nachbarn. Ganz anders als: „Ausländer raus!“.  

Rechte wie Martin Sellner bemühen sich um bürgerliche Ausdrücke

Es wäre leicht, wenn die Rechten alle so plakativ wären, wie es das Klischee des tumben Glatzenträgers in Springerstiefeln und Bomberjacke will. Doch Leute wie Martin Sellner haben Philosophie und Rechtswissenschaften studiert und wissen ihre radikalen Gedanken in schöne Phrasen zu kleiden. Nach eigenen Angaben war Sellner übrigens auch bei dem Treffen von Rechten in Potsdam dabei, durch das der Begriff überhaupt erst in die Schlagzeilen kam.  

Jetzt ist er da und treibt sein Unwesen in viel zu vielen Köpfen. So ähnlich wie „Renaturierung“ tut das Wort so, als könnte man Deutschland in eine Art „Ursprungszustand“ wiederherstellen. Einen Reset-Knopf drücken. Und dann ist alles wieder so schön, wie es früher nie war. Herrlich, wenn man alle politischen Probleme mit einer einfachen Vorsilbe lösen könnte: Wie wäre es zum Beispiel mit einer Re-Finanzierung des Staatshaushalts? Was wir aber ganz sicher brauchen, ist eine Re-Objektivierung der Migrationsdebatte.

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