Richter-FensterKostbares Licht der Gegenwart

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Gerhard Richters Domfenster: 11 500 farbige Quadrate, dem schöpferischen Spiel des Zufalls überlassen.

Gerhard Richters Domfenster: 11 500 farbige Quadrate, dem schöpferischen Spiel des Zufalls überlassen.

Köln – Im Kölner Dom beginnen die Gottesdienste im Morgengrauen und finden ihren ersten Abschluss im Mittagsgebet am Vierungsaltar. Am frühen Nachmittag läutet der Sonnenlauf dann eine säkulare, der modernen Kunst gewidmete Andacht ein. Zu dieser Zeit steht die Sonne über dem vor fünf Jahren eingeweihten Fenster von Gerhard Richter und taucht den Mittelpunkt des Doms ins Regenbogenlicht der abstrakten Kunst.

Genau aus diesem Grund, weil er in Richters Kunst eine Konkurrentin der Kirche sieht, war und ist der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, kein ausgewiesener Freund des Domfensters. Für die Mehrzahl der Gläubigen und Besucher ist es hingegen ein weiterer Mosaikstein im prachtvollen Ensemble des Weltkulturerbes. Auch Barbara Schock-Werner, die scheidende Dombaumeisterin, berichtet von 80 Prozent Zustimmung – „nach dem, was ich so höre und bei meinen Führungen erlebe“. Eine Probescheibe des Fensters und Richters Entwürfe seien gerade nach Kopenhagen ausgeliehen, überhaupt zeige sich die Kunstszene weltweit interessiert.

Der Dom ist Attraktion genug

Natürlich brauchte der Kölner Dom vor fünf Jahren keine neue Attraktion, um Besucher anzulocken. Er ist selbst Attraktion genug, eine machtvolle Demonstration des katholischen Glaubens und der gotischen Architektur. So hat es auch der Kölner Gerhard Richter gesehen und sein aus 11 500 farbigen Glasquadern bestehendes Fenster diskret und doch unübersehbar in die oberen Stockwerke des Südquerhauses eingepasst. Für das Glas hat er aus einer Palette von 800 Farben 72 ausgewählt, die schon in den bestehenden Glasfenstern verwendet wurden. Die Anordnung überließ er einem Zufallsgenerator, vom Künstler arrangiert sind die Spiegelungen zwischen den Fensterreihen.

Die besondere Qualität von Richters Werk liegt darin, dass es sich mit gleichem Recht aus der Moderne wie aus der alten Kirchenkunst herleiten lässt. Die Aufteilung des Lichts in einzelne Farben erinnert an den Pointillismus, das kleinteilige Farbgitter an die absichtlich verpixelten Bilder des Fotografen Thomas Ruff. Gleichzeitig reicht das neue Domfenster in die Zeit des Mittelalters zurück, als buntes Glas selten und entsprechend teuer war und die Fenster den Kirchenraum ins himmlische Licht des überreichen Paradieses tauchten. Im Schein von Gerhard Richters Fenster ahnen wir: Auch das Licht der Gegenwart ist unendlich kostbar.

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