Rundgang mit Tiefgang
„Überlebensdauer 2-3 Monate“ ist auf einer großen Tafel zu lesen, die zurzeit im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln am Appellhofplatz steht. Nicht länger als ein paar Wochen gelang es den meisten Häftlingen des Konzentrationslagers Buna-Monowitz, den unmenschlichen Bedingungen zu widerstehen. Die Tafel ist Teil der Sonderausstellung „Die I.G. Farben und das Konzentrationslager Buna-Monowitz. Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus“, die das NS Dok am Freitag eröffnete und die nun eigentlich auf Besucher warten sollte. Doch es kam anders. Aufgrund der Corona-Epidemie hat die Stadt bekanntlich alle Museen geschlossen.
Ein Ausstellungsbesuch ist dennoch möglich. Auf der Homepage des NS Dok steht ein virtueller Rundgang zur Verfügung. Besucher klicken sich mit Hilfe grüner Pfeile durch den Ausstellungsraum, vorbei an den Tafeln. Nicht alles ist so hoch aufgelöst, dass man es lesen kann. Doch dank der umfangreichen Begleitmaterialien, die ebenfalls online kostenlos aufgerufen werden können, ist eine intensive Auseinandersetzung mit einem der dunkelsten Kapitel deutscher Unternehmen auch vor dem heimischen Computer möglich.
Im Jahr 1941 ließ die I.G. Farben in unmittelbarer Nähe des KZ Auschwitz eine riesige Chemiefabrik bauen, um den für die Kriegswirtschaft wichtigen synthetischen Kautschuk Buna herzustellen. Zur Produktion wurden tausende Häftlinge aus dem KZ Auschwitz, Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt. In enger Zusammenarbeit mit der SS wurde schließlich 1942 das firmeneigene Konzentrationslager Buna-Monowitz errichtet, wer dorthin kam, hatte meist nicht mehr lange zu leben.
„Wir waren für den Tod durch Arbeit bestimmt. Dementsprechend gab es für uns nicht einmal ein Minimum an Essen, eine ständige Steigerung des Arbeitstempos, und wer dies nicht aushielt, wurde in den Gaskammern von Birkenau ermordet und durch Neuzugänge aus den Transporten ersetzt. Das Geld für unsere Arbeit kassierte die SS“, erinnerte sich später etwa Fritz Kleinmann. Seine und die Aussagen anderer Überlebender, aber auch der Täter, Fotos von Sportveranstaltungen für Mitarbeiter der I.G. Farben sowie zahlreiche Hintergrundinformationen vermitteln einen Eindruck des Lagers. Auch für die zweite aktuelle Sonderausstellung „Kriegsenden in Köln – Stadt und Menschen zwischen 6. März und 8. Mai 1945“ ist ein virtueller Rundgang auf der Homepage verfügbar.
Seit 2013 bietet das NS Dok auch seinen virtuellen Besuchern so die Möglichkeit, die Sonderausstellungen zu besuchen, auch wenn sie nicht in Köln sind. „Allein mit den Materialien zu diesen Ausstellungen können sie sich zwei Wochen intensiv befassen“, betont Werner Jung, Direktor des NS Dok. Und nicht nur diese, sondern sämtliche Sonderausstellungen der vergangenen Jahre können so betrachtet werden
Darüber hinaus ist die gesamte Dauerausstellung online verfügbar. Auch hier folgt man über Pfeile dem Rundgang durch die Räume. So gelangt man auch in den Keller, in dem die Zellen des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses zu besichtigen sind und sieht die Inschriften auf den Wänden. Der vollständige Audioguide mit mehr als fünf Stunden Material steht in acht Sprachen zur Verfügung, 980 Ausschnitte aus Zeitzeugen-Interviews und insgesamt mehr als 13 Stunden Film können angeschaut werden. Hinzu kommen umfangreiche Material-Sammlungen zu Projekten des NS Dok. Besonders hervorzuheben ist hier die großartige Seite „Jugend 1918-1945“.
„Mit diesen Materialien können sie eine Examensarbeit oder Dissertation schreiben, ohne einmal das Haus zu verlassen“, so Werner Jung.
www.nsdok.de
www.jugend1918-1945.de
Foto: National Archives and Records Administration, Washington D.C
Werner Jung, Direktor des
NS-Dokumentationszentrums