Bis zum 8. Juni findet im Schauspiel Köln das achte Britney X statt. Choreografin Gisèle Vienne eröffnete das Festival für queere Ästhetik, Feminismus und Diversity.
Schauspiel KölnEin Zeitlupen-Rave eröffnet das letzte Britney-X-Festival

„Crowd“ von Gisèle Vienne eröffnete das letzte Britney-X-Festival am schauspiel Köln
Copyright: Estelle Hanania
Nach dem Rave ist vor dem Rave: In einer Ecke der Bühne kündet Chips- und Bierdosen-Müll noch vom letzten Exzess, doch der Beat hämmert schon wieder (oder: immer noch?) und zieht die Feierwilligen auf den torfbedeckten Dancefloor. Nur: Der Techno mag an diesem Abend wummern wie er will, seine Bässe auch in den Körpern der Zuschauer wild pulsieren – die Tänzerinnen und Tänzer sind langsam. Ganz langsam. Rave in Slow Motion – was für ein anstrengender Widerspruch.
Mit diesem Clubbing– aber anders startet sehr passend die achte und letzte Ausgabe des „Britney X Festival“ des Kölner Schauspiels, ein Event für queere Ästhetik, für Feminismus, Gender, Diversity und Sex noch aus der Stefan-Bachmann-Ära, die mit dem neuen Intendanten Kay Voges zu nächsten Spielzeit endgültig aufhört. „Crowd“ heißt die schon 2017 entstandene Produktion von Gisèle Vienne, und spätestens mit diesem Stück etablierte die französisch-österreichische Choreografin die Zeitlupe als ihr Markenzeichen.
Choreografin Gisèle Vienne tourt heute um die ganze Welt
Anfang der 2000er Jahre holten Produktionshäuser wie das Tanzhaus NRW in Düsseldorf die noch unbekannte Vienne nach Deutschland. Heute bespielt sie Festivals wie die Ruhrtriennale und tourt weltweit mit ihrem großartig Stil-Clash aus Grusel und Poesie. Immer scheint es in ihren Performances irgendein Gewalt-Ereignis gegeben zu haben, über das sich eine unheimliche Stille und morbide Schönheit gelegt haben.
In ihrer „Crowd“ nun zeigen die 1990er-Jahre Raver – oversized Jogginghosen, bauchfreie Neon-Tops, Polyester-Bomberjacken, Glitzersneaker – was der techno-getriggerte Dopamin-Überschuss so macht: Da gibt es das verschwitzt-philanthropische „Love“-Geknuddel mit egal wem. Die quasi-religiöse Verzückung mit hochgerissenen Armen. Die kopfbaumelnde Trance. Aber auch Heul- und Körperkrämpfe auf dem Boden und natürlich: Aggressionsausbrüche. Rumgeschubse, ein Griff an den Hals einer Frau, bei man nicht weiß, ob er zu einem Kuss oder einem Würgen führt, denn in diesem Moment stoppt Gisèle Vienne alles im Freeze.
Über das Timing herrscht Vienne seit jeher wie eine hochsensible Domina. Wird also die Explosion erwartet, hält sie die Zeit an, gnadenlos jede Emotion ästhetisierend und immer den Kontrast zwischen subjektiver und objektiver Zeit ausspielend. Wirklich Überraschendes ereignet sich nicht auf diesem Techno-Torf. Man bewirft sich mit Chips, lässt Colaflaschen schäumen, knutscht kurz, wird ein bisschen geil, reagiert sich glücklich oder gewalttätig ab – aber driftet doch die meiste Zeit als einsame Monade im Beat-Universum. Ein Rausch der Jugend, ein etwas lang gedehnter Eskapismus – und bei Gisèle Vienne sicher nicht: utopische Erlösung.
Britney X Festival findet vom 6. bis 8. Juni 2025 auf dem Gelände des ehemaligen Carlswerk statt. Das ganze Programm finden Sie hier