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Tanz KölnIsraelischer Choreograf hält militarisierter Gesellschaft liberalen Lebensstil entgegen

Lesezeit 3 Minuten
Momo
Batsheva Dance Company
Choreografie: Ohad Naharin
 
Choreografie: Ohad Naharin / Batsheva Dance Company & Ariel Cohen
Musik: Laurie Anderson • Kronos Quartet • Philipp Glass • Arca • Maxim Waratt

Szene aus „Momo“ von der Batsheva Dance Company

Seit 45 Jahren gibt Ohad Naharin mit der Batsheva Dance Company der Tanzwelt neue Impulse. Im Kölner Depot war jetzt „Momo“ zu sehen.

Es gibt immer auch eine andere Perspektive auf die Welt, „eindeutig“ ist nichts – nicht in der Realität und schon gar nicht auf Ohad Naharins Bühne. Das macht der israelische Choreograf schon in den ersten Minuten seines Stücks „Momo“ klar. Vier Männer mit nackten Oberkörpern und olivgrünen Militärhosen schreiten in eigenwilliger Pose langsam die äußersten Ränder der Bühne ab. Eine Hand ist auf den Rücken gestützt, der Ellbogen ragt spitz nach hinten. Die Männer zeigen sich von vorn und den beiden Profilseiten, und obwohl ihre Körperhaltung immer dieselbe bleibt, scheint sich doch mit jeder Kehre ihre Ausstrahlung zu ändern: Sind sie bedrohlich? In einer Trauerprozession? Oder leiden sie Schmerzen?

Ambivalenzen oder eigentlich: Polyvalenzen erzeugen mit einer einzigen Pose – das kann Ohad Naharin wie kaum ein anderer Choreograf. Seit 45 Jahren kreiert er für die israelische Batsheva Dance Company Stücke in seinem ganz eigenen Stil und nach seiner berühmten selbst entwickelten „Gaga“-Methode. Darunter zahllose Meisterwerke, fraglich, ob es überhaupt einen misslungenen Naharin in seinem Œuvre gibt. Oft treibt eine aggressiv sarkastische Energie die Arbeiten an. Diesmal aber scheint alles traurig und schwer. Ein behutsames Stück, in dem nachdenklicher Ernst die sonst oft rabiate Wucht gebändigt hat.

Zwei Welten, die eine frei und verrückt, die andere sexy und narzisstisch

Nach dem Prolog gesellen sich zu Kompositionen von Laurie Anderson nach und nach andere Tänzer und Tänzerinnen zu dem Quartett. Sie kontrastieren mit individuellen, queeren Looks die uniformierten Männer, ohne die überhaupt wahrzunehmen. Zwei Welten koexistieren ab da unverbunden auf der Bühne im Depot 1: Die eine ist frei, verrückt, sexy, auch narzisstisch. Die andere ist beherrscht von synchronen Bewegungen, strikter Reglementierung, aber auch einer schützenden Solidarität.

Zwei Gesellschaften in einem Raum, die eine militarisiert, die andere liberal, man ignoriert sich besser gegenseitig – naheliegend, hier an das Lebensgefühl in Israel zu denken, einem Land, in dem jeder Bürger in einer Phase seines Lebens den Wehrdienst leisten muss, auch wenn sein sonstiger Lebensstil schwer vereinbar ist mit soldatischen Idealen. Auch Ohad Naharin selbst war an einst an der Front – Künstler in Uniform.

Aber vielleicht ist das auch zu simpel gedacht für einen Choreografen wie Naharin, bei dem das Politische doch immer auch ins Philosophische zielt, und der nun in „Momo“ die Dialektik, das Integrieren von Widersprüchen und Gegensätzen, sicher nicht nur auf die Situation in seiner Heimat bezogen wissen will.

Großartig etwa die Szene, in der die Tänzerinnen und Tänzer an Ballettstangen einerseits den Drill vorführen, andererseits an den Stangen auch chillen, baumeln, sich wegträumen. Denn anders als das Klischee es will, erleben klassische Tänzerinnen und Tänzer im Training eben nicht nur Körperknechtung, sondern oft auch Körpergenuss. Es gibt eben immer zwei Perspektiven, mindestens.

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: „Momo“ von Ohad Naharin, 22.05. im Depot 1