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Schauspiel KölnGott gesucht. Selten so gelacht

3 min
Bastian Reiber sitzt in der Hocke. Hinter ihm erscheint das Wort „Gott“

Bastian Reiber in „Genesis“ im Depot 2 des Schauspiel Köln

Bastian Reibers absurder Theaterabend „Genesis“ feiert seine Köln-Premiere im Depot 2.

„Ich bin falsch“, winkt Bastian Reiber in Richtung Publikum ab, „sie sind richtig.“ Für den Schauspieler ist gerade ein Angsttraum Realität geworden. Er befindet sich im falschen Stück. Das weiße Gestänge könnte eine Palme sein, die restliche Kulisse (Bühne und Kostüme: Marina Stefan) befindet sich zum Großteil noch in Holzkisten, aber es ist sowieso nicht die im Depot 2 erwartete. Reiber telefoniert. Wo bleibt der Abenddienst?   Was soll er bloß tun? Der Alleingelassene hyperventiliert, legt die Beine hoch, schluckt Beruhigungstropfen. Stammelt Entschuldigungen, eigentlich sollte das doch hier ein angstfreier Raum sein. Aber das Leben kennt kein Skript.

Und das alles zur Gaudi der Zuschauenden. Bastian Reiber ist einer der begnadetsten Komödianten auf deutschsprachigen Bühnen und in die missliche Lage hat er sich selbst versetzt. Mit „Genesis“, diesem von ihm konzipierten und inszenierten Abend neo-absurden Theaters, feierte Reiber vor knapp zwei Jahren an der Berliner Schaubühne Premiere.

Ein Slapstick der Verzweiflung

Kay Voges hat das Stück als Gastpremiere nach Köln geholt, im Mai wird der Theatermacher hier mit „¿Qué pasa en La Mancha?“ seine Version des Don-Quijote-Stoffs uraufführen, ein Spiel, heißt es in der Vorankündigung, „am Rande des Nichts“. Das könnte man auch von „Genesis“ behaupten, in dem Reiber zunächst eine unglaubliche Fülle an Gags aus dem Leeren schöpft, von der Familienaufstellung mit Ventilatoren, über eine Mini-Aufführung von La Bohème, bis zur Jerry-Lewis-Nummer mit kaum zu bändigenden Besenstielen, die aus einer der Frachtkisten herausstürzen, ein Slapstick der Verzweiflung.

Schließlich entdeckt er ein Model der unfertigen Kulisse, aus dem gottverlassenen Ort soll einmal ein üppig wuchernder Garten Eden werden. Plötzlich fallen die Lichter aus, es knistert ungut, ein Fremder (Thomas Witte) betritt im Dunkeln die Bühne und setzt sich an ein Schlagzeug, das bislang von den Kisten verborgen war. Er trommelt mit Swing, aber unnachgiebig. Reiber fühlt sich abwechselnd zu Shownummern genötigt – virtuosen Treppenstolpereien, verhuddelten Steppeinlagen – und völlig aus dem Takt gebracht. Erst recht, als im verhangenen Fenster riesengroß das Wort „Gott“ erscheint.  

Bastian Reiber brüllt Tesla-Fahrer an

Jetzt purzeln ihm planlos Gottesbeweise aus dem Mund, von Augustinus bis Bataille, von Spinoza bis Nietzsche. Gott ist das einzige Ziel, sagt Marc Sangnier. Gott ist ein Schwein, ätzt André Breton. Die metaphysische Logorrhö will schier kein Ende nehmen, gewinnt noch mal an Komik, als Reiber die Tür zum Tesla-Ladeplatz hinterm Depot öffnet, und seine Definitionen dem Fahrer einer lichthupenden Elektrolimousine entgegen brüllt und sich anschließend auch noch mit den Elementen anlegt: „Regen, ist das alles, was du kannst?“

Man hätte diesen Abend ebenso gut „Warten auf Godot II“ nennen können, mit Reiber als zusammengeführten Wladimir und Estragon, dem Abenddienst des Theaters als ausbleibenden Erlöser und dem Trommler als   Pozzo und Lucky in einer Person, an Stelle von Luckys Unsinnsmonolog salbadert Thomas Witte über Induktionsherde und Kupferpfannen — auch das ist sagenhaft komisch.

Anders als bei Beckett gönnt sich Bastian Reiber am Ende jedoch eine kleine Begegnung der dritten Art, sie besteht aus einem Entlüftungsschlauch, dem neuen Ensemblemitglied   Elias Eilinghoff und dem Gottvater der Ventilatorenfamilie vom Anfang, mehr soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden. „Gott ist ein Nichts“, sagt Meister Eckehart, „und Gott ist ein Etwas“ – und in dieser Welt sind wir alle irgendwie falsch. Aber selten so gelacht.

Termine: 12.10. (ausverkauft), 29.11., Depot 2, 90 Minuten, keine Pause