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Simple MindsStippvisite ins Vorgestern

Lesezeit 3 Minuten

Jim Kerrs Simple Minds gibt es seit 34 Jahren - noch immer füllen sie die Konzertsäle.

Köln – Normalerweise geht man zum Konzert einer Band, um irgendwann im Verlauf des Abends auch deren große Hits oder wenigstens ein paar der Trademark-Songs zu hören. An diesem Abend aber ist das grundsätzlich anders. Wer sich im E-Werk eingefunden hat, ist nicht nur bereit, ob der tropischen Temperaturen in der Lokalität beim Kampf mit dem eigenen Schweiß von vornherein als tapferer zweiter Sieger festzustehen, sondern auch damit einverstanden, die ganz großen Gassenhauer garantiert nicht serviert zu bekommen.

Die Simple Minds, 1978 in Glasgow gegründet und in den 1980er und 1990er Jahren eine der weltweit erfolgreichsten Bands, befinden sich auf ihrer „5 ˣ 5“-Tour, und dieser Slogan ist Motto und Marketing zugleich: Auf der Setlist stehen je fünf Songs der ersten fünf Studioalben, und außerdem gilt es für die Musiker um Sänger Jim Kerr – neben ihm ist von der Urbesetzung nur noch Gitarrist Charlie Burchill mit dabei –, das tourbegleitende Boxset „X5“ zu bewerben. Was im ausverkauften E-Werk recht gut funktioniert. Die Menschen im Publikum, von denen die meisten augenscheinlich die Simple Minds bereits live zu ihrer Hochzeit erlebt haben, freuen sich sichtlich darüber, dass die Band ohne Anspruch auf chronologische Korrektheit durch die Vergangenheit kurvt, und sie stören sich auch nicht die Bohne daran, dass Keyboarder und Schlagzeuger links und rechts der Bühne auf höchst albern aussehenden Podesten platziert sind. Jim Kerr, 53 und körperlich offensichtlich gut in Schuss, singt „Life In A Day“ vom selbst betitelten Debütalbum aus dem Jahr 1979, später folgen „Today I Died Again“ (vom 1980er-Werk „Empires And Dance“) und „Love Song“ (von „Sons And Fascination“ aus dem Jahr 1981).

Was all diesen Liedern aus unterschiedlichen Schaffensphasen der Simple Minds gemein ist: Anno 2012 präsentiert die Band das, was mal Postpunk, New Wave oder stringenter Pop war, durchweg in opulenten, bombastischen Versionen. Pompöse Keyboard-Klänge enden in Fanfaren, Gitarrensounds werden durch alle verfügbaren Effektgeräte gejagt. Natürlich kann und muss sich populäre Unterhaltungsmusik im Laufe der Jahrzehnte verändern. Wie die Simple Minds ihr Songmaterial behandeln, lässt aber mit zunehmender Konzertdauer nur einen Eindruck zu: Mit ihrem Willen zur Wucht stibitzen sie den Liedern ein ums andere Mal ihre Identität; die Simple Minds gehen mit ihrem Werk so um wie Menschen, die Medikamente nicht dosieren können und beispielsweise bei Tabletten nach diesem Credo verfahren: viele helfen viel.

Fokussierter und reduzierter gehen die Simple Minds nur selten an die Songs. „Someone Somewhere (In Summertime)“, ohnehin der Titel zu Wetter und Temperatur, ist schön sparsam arrangiert, und „Promised You A Miracle“, ebenso von „New Gold Dream“ aus dem Jahr 1982, kommt richtiggehend knackig daher. Da macht es auch nichts, dass Kerr diese Songs ebenfalls mit seinen immergleichen Posen und Gesten ausstattet: hinknien oder mit einer Hand seltsame Gebilde in die Luft malen gehören seit eh und je zu seinem standardisiertem Ausdrucksrepertoire. Als Reserve-Jesus und Pop-Messias aber ist Bono immer noch die bessere Wahl: In den Achtzigern, als U2 und die Simple Minds ernsthafte kommerzielle Konkurrenten waren, gab er den besseren Heilsbringer, und auch heute, wenn die Simple Minds eine Stippvisite ins Vorgestern unternehmen, kann Jim Kerr diesbezüglich nicht mithalten.

Immerhin: Die Simple Minds haben sich an ihre Ankündigung gehalten; „Belfast Child“, „Alive And Kicking“ und auch ihr größter Hit „Don’t You Forget About Me“ standen tatsächlich nicht auf der Setlist. In Vergessenheit werden diese Lieder trotzdem nicht geraten, der nächste ZDF-„Fernsehgarten“ kommt bestimmt. Doch doch, leider wirklich wahr: Da waren die Simple Minds auch schon.