So war der „Polizeiruf 110“Ist das noch Kinderliebe?

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Lehrer Krein (Sascha Nathan) wird von einem wütenden Mob gestellt.

Lehrer Krein (Sascha Nathan) wird von einem wütenden Mob gestellt.

Im neuesten Fall des Polizeirufs aus Halle an der Saale geht es um ein verschwundenes Mädchen - und ihren Lehrer.

Wenn ein achtjähriges Mädchen verschwindet, ist eine ganze Stadt betroffen. Dass die Eltern völlig aufgelöst sind, steht außer Frage. Aber auch die Ermittler, die nach dem Kind suchen müssen, sind zutiefst belastet. 

So im neuesten Polizeiruf 110 aus Halle an der Saale mit dem Titel „Der Dicke liebt“. Für Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) wird es eine gebrauchte Ermittlung. Koitzsch fällt schon zu Beginn als Alkoholiker auf, und in seiner Depression geht er kühl und resigniert an den Fall. Michael Lehmann wiederum, der selbst noch kleine Kinder zu Hause hat, hofft das verschwundene Mädchen noch lebend finden zu können. Eine Hoffnung, die schon bald enttäuscht wird: Die kleine Inka taucht als Leiche wieder auf, mit deutlichen Spuren von sexuellem Missbrauch. 

Neueste Folge des „Polizeiruf 110“ handelt von Kindesmissbrauch

Parallel begleiten wir als Zuschauer den Unterricht ihres Lehrers, Herrn Krein (Sascha Nathan). Mit seiner Korpulenz und seiner geradezu naiven Art fällt er ohnehin auf, und wenn er seine Schülerin Julia an der Schulter berührt, um ihr etwas zu erklären, richten sich einem die Nackenhaare auf.

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Während die Ermittler das familiäre Umfeld und bekannte Pädokriminelle aus der Umgebung abklopfen, geht Herr Krein mit Julia ein Eis essen, weil ihre Eltern sie nicht von der Schule abholen. Schon hat sie keine Hose mehr an, sie spielt in einem Brunnen, und der Lehrer macht dabei Fotos von ihr. So wird ein wütender Mob auf ihn aufmerksam, der ihn böse zurichtet und fortan verfolgt. Auch die Polizei wird auf Herrn Krein aufmerksam, der Zuhause eine ganze Armee an Kuscheltieren hat. Doch der gibt sich unschuldig, er hätte einfach selbst gern Kinder gehabt, sonst nichts. Wegen des Vorfalls wird er von der Schule suspendiert.

Die Auflösung von „Der Dicke liebt“

Über Umwege erfahren beide Ermittler schließlich, dass Inka am Tag ihres Verschwindens mit zwei jungen Männern gesehen wurde. Die wahren Täter sind zwei ältere Schüler. Für Herrn Krein kommt die Wahrheit zu spät: Wegen der ständigen Angst vor Übergriffen zu Hause eingesperrt, stürzt er sich aus dem Fenster. 

Der Fall führt eindrücklich vor, wie sehr eine nüchterne Erzählung doch am meisten fesselt. Die Eltern des missbrauchten Mädchens tauchen selten direkt vor der Kamera auf, aber der Krimi muss ihre Verzweiflung nicht öfter vorführen, damit einem das Herz blutet. Weniger subtil ist dann die Szene um den Mord, die für zartbesaitete zu viel sein dürfte. Doch die Täter tauchen ohnehin erst gegen Ende auf, es geht gar nicht so sehr um die Ermittlung, sondern vielmehr um das Zerbrechen der Menschen, die am Fall beteiligt sind.

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Im Zentrum steht etwa der Lehrer Krein, der nach dem Fall so weitermachen will wie bisher, dessen Liebe zu Kindern aber mehr und mehr - und auch zurecht - als Distanzlosigkeit gesehen wird. Völlig gegen jedes Recht dann das Handeln des Wutbürgertums, das frustriert ist von der Polizei und den milden Strafen der Justiz, weswegen es selbst das Heft in die Hand nimmt und letztlich einen Unschuldigen in den Suizid treibt. Es ist eine eindrückliche Lehrstudie zu den Fallstricken der Selbstjustiz.

Doch auch die beiden Ermittler zeigen sich aus ihrer menschlichen Seite. Peter Koitzsch ertränkt den Schmerz im Alkohol, er schimmert aber überall durch. Und Michael Lehmann schafft es trotz seiner Überforderung und gelegentlichen Wutausbrüchen seine Empathie zu behalten, mit der er in einem Altersheim den entscheidenden Hinweis bekommt. Aber letztlich können auch sie nur aus einer Verpflichtung für die Wahrheit heraus handeln, ohne das Übel ungeschehen machen zu können. Die überragende schauspielerischen Leistungen,  Sascha Nathan als Lehrer Krein eingeschlossen, und die ruhige Erzählart unter Regie von Thomas Stuber machen „Der Dicke liebt“ zu einem sehenswerten Fall.

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