So war der „Tatort“Zu viele Opfer, zu viele große Themen im Züricher Krimi „Seilschaft“

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„Tatort: Seilschaft“: Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) mit einem Mädchen des Waisenhauses in Zürich – die Heimleiterin ist ermordet worden.

„Tatort“-Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) mit einem Mädchen des Waisenhauses in Zürich – die Heimleiterin ist ermordet worden.

Die „Tatort“-Kommissarinnen Tessa Ott und Isabelle Grandjean können gegen eine reiche Elite nur wenig ausrichten. Ein Fazit des Züricher Krimis.

Der Fall zum „Tatort“ in Zürich

Der Krimi startet erst einmal klassisch mit einem Toten. Der Brite war einen Abend zuvor Host einer Charity-Gala in Zürich. Schnell wird es kurios: Die Zehen der Leiche sind sauber abgetrennt. Und landen wenig später beim Veranstalter des Events, Dominic Mercier (Leonardo Nigro) – eine Drohung. Bei diesem Stil denken die Ermittlerinnen schnell an die Mafia.

Ein zweiter Toter folgt, gefunden auf dem Grund des Zürichsees. Er war ein Schweizer Top-Unternehmer. Doch Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) beschäftigt vornehmlich die Spur des Geldes – die zu einer dritten Leiche führt, die der Leiterin eines Waisenhauses. Sie stirbt mit einem merkwürdigen Insekt im Mund. Die schutzlosen Mädchen, die in der Obhut der dritten Toten standen, scheinen Tessa Ott (Carol Schuler) hingegen zu beschäftigen.

Der Fall im „Tatort: Seilschaft“ ist komplex, die beiden Ermittlerinnen folgen Spuren an diversen Stellen. Wie und ob die Fälle überhaupt  miteinander zu tun haben, ist lange nicht klar.

Die Auflösung zum „Tatort“ in Zürich

Obwohl Isabelle Grandjean der Ermittlungsrichtung ihrer Kollegin zunächst nicht viel Zustimmung schenkt, hat Tessa Ott den richtigen Riecher. Im Gespräch mit den Mädchen, die dort wohnen, merkt Ott, dass etwas nicht stimmt. Sie wittert ein schreckliches Verbrechen, das die Polizei längst hätte sehen können. Die Waisen hatten schon vor Jahren versucht, es anzuzeigen. Die Heimleiterin schaffte es jedoch, die Tat mit der plumpen Täuschung unaufmerksamer Beamten zu vertuschen.

Die Spur des Geldes ist die Lösung dieses Falls. Geschickte Geldübergaben, getarnt als teure Armbanduhren, getarnt als Investitionen in Charity, getarnt als Entwicklungsfonds, verbinden die Züricher Geschäftsleute mit der Mafia, der vermeintlichen Hilfsorganisation – und sogar der Heimleiterin. Weil Tessa Ott nicht locker lässt, sich vielleicht manchmal zu sehr in etwas verbeißt, kann sie schließlich beweisen: Der reiche Unternehmer Mercier kauft ein minderjähriges Mädchen, um es zu vergewaltigen und zu verschleppen.

Die Züricher Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, li.) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) stehen in einem Haus, ein Tatort, und blicken beide nach unten.

Die Züricher Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, li.) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) im „Tatort: Seilschaft“.

Und der Schwester hat niemand geglaubt, sie nimmt sich in ihrer Verzweiflung schließlich das Leben – kurz bevor sie ihre Schwester wieder gesehen hätte. Die Rettung einer Verschleppten wiegt nicht gegen die Verluste im Leben der zum Ende hin jungen Frauen auf, ein tragischer Ausgang.

Die Unternehmer-Elite hat aber noch mehr Dreck am Stecken: Ihre Investitionen in sogenannte Entwicklungsländer kommen nur wieder ihren eigenen Geschäften zugute und dienen der Geldwäsche. Die Hilfsorganisation vergibt überall da Kleinkredite, wo die ’Ndrangheta agiert. Allerdings mangelt es an handfesten Beweisen für diese „Seilschaft“.

Fazit zum „Tatort“ in Zürich

Der „Tatort“ aus Zürich steigt mit typischen Krimi-Szenen ein. Ein toter Geschäftsmann ruft noch nicht viel Dramatik hervor, die angedeutete Mafia-Verbindung verweigert tiefere Empathie. Doch die Wendung nach der ersten Hälfte, wenn die Waisenmädchen in den Vordergrund treten, ändert das radikal. Der Fokus von Geldwäsche hin zur Entführung und zum Missbrauch eines Mädchens bis zum dramatischen Suizid einer Unschuldigen nimmt Zuschauende ganz schön mit.

„Seilschaft“ zeigt den schier unbegrenzten Einfluss einer reichen Elite, die zerstörende Macht böser Männer über Mädchen, die niemand schützt, und Ermittlerinnen, die gegen diesen Apparat nur wenig ausrichten können. Ott und Grandjean decken Geldwäsche auf, weltweite Veruntreuung von Spendengeldern, Mafia-Geschäfte, Kindesentführung und von der Polizei nicht verfolgte Straftaten... Eine lange Liste.

Hier liegt auch das Problem von „Seilschaft“: Es sind zu viele Fälle, zu viele unterschiedliche Themen, die in einen Krimi gepackt sind. Bei den Sprüngen zwischen den zahlreichen „Baustellen“ dieser Ermittlung kommt kaum Spannung auf.

Dabei hilft doch ein Mafia-Experte den Polizistinnen, die kurz davor stehen, ein weltweit agierendes Netz des organisierten Verbrechens zu knacken. Aber Szenen mit grübelnder Staatsanwältin vor einer Weltkarte, auf der Post-Its mit Strichen verbunden sind, reißt nicht mit. Dabei holen Tessa Ott eigene alte Traumata ein. Aber diese werden in dieser Folge der Züricher nicht erklärt. Dabei würde doch die dunkle Vergangenheit des Waisenheims allein für einen Krimi reichen. Doch die Verhöre von Geschäftsleuten wegen der ersten beiden Toten unterbrechen das grauenhafte Drama dieses Ortes immer wieder. 

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