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Kommentar

Streit über Wahrzeichen
Wie sexy dürfen Meerjungfrauen sein?

Ein Kommentar von
2 min
Ein Dugong schwimmt in den Lagunen vor Neukaledonien.

Body-Positivity im Tierreich: Seekühe wie dieser Dugong sollen den Mythos der Meerjungfrau inspiriert haben. 

Die berühmte Kleine Meerjungfrau von Kopenhagen hat eine große Schwester bekommen - und halb Dänemark schäumt deswegen.

Die Kleine Meerjungfrau, Wahrzeichen Kopenhagens, ist nicht nur klein (sie misst vom Scheitel bis zur Sohle lediglich 125 Zentimeter), sondern auch sehr traurig. Sie hat guten Grund dazu: Edvard Eriksen schuf die Bronzefigur nach dem Vorbild jener Wasserfrau, die sich in Hans Christian Andersens Märchen in einen menschlichen Prinzen verliebt, ihren Fischschwanz gegen ein Paar Beine eintauscht und als Schaum der Wellen endet - unerfüllte Liebe kann tragisch sein, auch wenn die Meerjungfrau als Luftgeist weiterlebt.

Eher eine Wassernixe, die Männer ins Verderben lockt, als eine vergeblich Liebende

Jetzt hat die Kleine Meerjungfrau eine große Schwester bekommen – aber die gefällt den märchenverliebten Dänen überhaupt nicht. Sie überragt ihren Schöpfer, den Bildhauer Peter Bech, um eine Körperlänge und wirkt auch sonst wenig verzagt. Sie stützt sich mit beiden Armen auf einen Findling, um selbstbewusst in die Ferne zu schauen (was ihre nackten Brüste hervorragend zur Geltung kommen lässt) und scheint mit ihrer um den Stein drapierten Schwanzflosse leichtgläubigen Seeleuten zu winken.

Die Große Meerjungfrau ist also eher eine Wassernixe, die Männer ins Verderben lockt, als eine vergeblich Liebende, die an der Blindheit der Männer zugrunde geht. Vor allem ist sie aber als Kunstwerk ziemlich flach – insbesondere, wenn man ihre ästhetische Qualität ins Verhältnis zu ihrer Oberweite setzt. Eriksens holde Bronze wirkt daneben „natürlicher“ oder wenigstens weniger gepolstert. Zu Pornografie, wie das jetzt teilweise getan wird, muss man Bechs Fabelwesen deswegen aber auch nicht erklären.

Fragt sich, wie Hans Christian Andersen vom Luftgeist-Himmel auf die Geschwister schaut. Er schuf seine stumme Meerjungfrau, die von ihrer Liebe nicht sprechen kann, mutmaßlich als Stellvertreterin und ließ sie seine eigene unerfüllte Liebe zu einem Mann durchleiden. Heute wäre seine Homosexualität hoffentlich kein Grund mehr, sich in ozeanischen Gefühlen zu verflüchtigen. Und auch eine nackte Frau ist eigentlich kein Grund mehr, vor Wut und Aufregung zu schäumen.