Subversives DesignIn dieser Ausstellung sind die Dinge zu Sprengfallen mutiert

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Balenciaga Platform Sandals, 2018 

Düsseldorf – Wer die Wahl zwischen mit Kruzifixen und Weihwasser dekorierten „Jesus Shoes“ und „Satan Shoes“ hat, an denen echtes Menschenblut klebt, der ist in die merkantilen Fänge des New Yorker Kollektivs MSCHF geraten. Es bringt ambivalent aufgeladene Produkte auf den Markt, die nur für kurze Zeit erhältlich sind. So etwa die „Severed Spots“, die einem Punktbild des geschäftstüchtigen britischen Künstlers Damien Hirst entstammten. MSCHF ersteigerte das Werk, entfernte die Punkte und erzielte mit dem Einzelverkauf einen höheren Preis, als es für das Original zahlen musste.

Die Ausstellung ist wie eine Einkaufsmeile inszeniert

Fällt die Aktion nun in das Fach Intervenieren, Remixen oder Sampeln? Allesamt Strategien, die in der von Alain Bieber und Judith Winterhager kuratierten Gruppenschau „Subversives Design“ im Düsseldorfer NRW-Forum neben Camouflage oder Verfremdung als Werkzeuge der Destabilisierung angepriesen werden.

Schreitet man die zum Warenlager umfunktionierten weitläufigen Ausstellungsräume ab, berieselt von einer gefälligen Pop-Musik, die scheinbar den Kaufreflex stimulieren soll, muss man sogleich an die fast hundert Jahre alte Pelztasse einer Meret Oppenheim denken: Ein industriell produziertes Objekt, das zugleich an die Tierwelt und die physische Erfahrung des Trinkens erinnert, bei dem man eigentlich nicht spontan einen Pelz vor Augen hat, sondern das kühle Porzellan. Diese bizarre Kombination sich ausschließender Welten eignete sich einst perfekt, um die bürgerliche Komfortzone künstlerisch zu stören und stieg deshalb unter den Pariser Surrealisten zum Klassiker auf.

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Jojo Gronostays Dead White Mens Clothes 

Der Glaube, dass die Methode auch heute noch ihre Wirkung nicht verfehlt, scheint unter jungen Designern und Designerinnen offenbar weit verbreitet zu sein, denn die Mehrheit der rund 20 Positionen, die im NRW-Forum unter dem Etikett „subversiv“ für Irritationen sorgen sollen, funktioniert nach dem Prinzip der Missachtung von Erwartungen. Da wäre ein Tisch ohne Beine, der nur benutzt werden kann, wenn ihn zwei Personen im Gleichgewicht halten. Anna van Eck versteht ihn als Einladung, in einer digitalisierten Welt mehr Körperkontakt zu wagen.

Katerina Kamprani entwirft ein Weinglas, dessen seitliche Öffnung das Trinken geradezu verhindert. Haarbürsten, aus denen statt Borsten Haare wachsen, mit Holzperlen verzierte Stromkabel, Kissen, die Schlitze für Bücher integrieren - Pelztassen-Echos wie diese verpuffen sogleich im Orkus des geschmunzelten Vergessens.

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Wenn aber Dinge nicht zum beliebigen Zeichen gerinnen, ist meistens Politik im Spiel. Demna Gvasalia, der georgische Chefdesigner der Luxus-Marke Balenciaga, kombiniert in seinem Carry Shopper hochwertiges Leder mit einem Zitat der blauen Ikea-Beutel aus Plastik und zerstört damit den Anspruch auf soziale Distinktion. Die Produkt-Serie „The Subversive Gardener“ der US-Amerikanerin Vanessa Harden schenkt wiederum Schmuckobjekten und Modeaccessoires ein zweites Leben als Hilfsmittel für das Guerilla-Gärtnern, in dessen Mittelpunkt die heimliche Aussaat von Pflanzen in Großstädten steht.

Andere trauen sich gar makabre Provokationen zu, die gesellschaftliche Fehlentwicklungen reflektieren, wie etwa Jojo Gronostay. Der Ghana-stämmige Deutsche produziert mit seinem Modelabel „Dead White Men´s Clothes“ Kleidungsstücke, die nicht nur den Transfer von gespendeter Second-Hand-Ware in afrikanische Länder ins Gedächtnis rufen, sondern auch das Ertrinken junger Afrikaner im Mittelmeer. Gronostay kauft auf dortigen Märkten Cargohosen, Jeans und Jacken, um sie mit Bleichmitteln zu bearbeiten und in seinem Onlineshop für dreistellige Beträge zu verkaufen. Ein zynischer Kommentar der Modeindustrie oder eine erhellende Art, ihre Mechanismen und Machtstrukturen offen zu legen?

Die blutigen Sneakers bestehen aus Fett und Knochen

Es geht noch direkter. Das „Next Nature Network“ prangert mit „Blood Sneakers“, die aus Fett und Knochen von Schlachthöfen angefertigt wurden, die konsumorientierte Haltung zu Tieren an und der US-Amerikaner Henri Alexander Levy vom Fashion-Kollektiv „Enfants Riches Déprimés“ stellt Luxus-Mode her, die seinem Land den Spiegel vorhält, mit Henkersknoten aus Cashmere, einem Sweater aus Merinowolle, dessen Schriftzug Columbine an den Amoklauf von 1999 erinnern soll, oder einer „Putin by George Bush“-Jacke, auf deren Rücken ein von dem Ex-Präsidenten gemaltes Putin-Porträt mitten in die Ukraine-Krise hineinzieht.

Dass die Anti-Mode bei Stars wie Beyoncé, Justin Bieber oder Courtney Love beliebt ist, zeigt das kurze Haltbarkeitsdatum der Täuschungsmanöver auf, denn mögen sie noch so an dem System rütteln, der Mainstream hat bisher jede widerspenstige Attitüde zu zähmen vermocht.

Subversives Design, NRW-Forum, Düsseldorf, bis 22. Mai

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