Super BowlWarum Eminems Kniefall zugleich Dr. Dres Friedensangebot an die NFL ist

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Die entscheidende Geste: Eminem geht auf die Knie 

Inglewood – Vom 2020 eröffneten SoFi Stadium im kalifornischen Inglewood bis nach Compton im Süden von Los Angeles braucht man mit dem Auto kaum mehr als 20 Minuten. Insofern war Dr. Dres Auftritt in der Halbzeit des 56. Super Bowls ein Heimspiel.

Vor 34 Jahren erschreckte Dre, bürgerlich Andre Morelle Young, als Teil der Hip-Hop-Crew N.W.A. (kurz für „Niggaz wit Attitudes“) von hier aus das weiße Establishment mit Hits wie „Fuck tha Police“. Die drastische Anklage von Polizeibrutalität und Racial Profiling fehlt Sonntagnacht im Programm.

Das ist freilich wenig überraschend: Dr. Dre wetteifert mit Kanye West, P.Diddy und Jay-Z um den Titel des reichsten Mannes im Hip-Hop. Jay-Zs Unternehmen Roc Nation produziert seit ein paar Jahren die Halftime Show des Super Bowl. Die National Football League hatte sich nicht zuletzt an Rapper gewandt, um den Geruch des institutionellen Rassismus loszuwerden, der ihr spätestens nach ihrem Umgang mit dem gegen Polizeigewalt protestierenden Quarterback Colin Kaepernick anhaftete.

Ehemaligentreffen des Hip-Hop

Insofern schließt sich mit der ersten Hip-Hop-Halbzeitshow des Super Bowl ein Kreis. Die ist selbstredend überfällig, das Genre ist nun schon seit Jahrzehnten der treibende Motor amerikanischer Popmusik.

So ist die 14-minütige Show vor allem ein Ehemaligentreffen: Neben Dre treten Snoop Dogg, Eminem, Mary J. Blige und als Überraschungsgast 50 Cent auf. Einzig Kendrick Lamar hatte seine künstlerische Hochzeit nicht bereits in den Nuller oder 1990er Jahren.

Snoop Dogg unerschütterlich entspannt

Dr. Dre eröffnet das Spektakel an einem riesigen weißen Mischpult, der Ruhm des 56-Jährigen gründet sich bekanntlich nicht auf seine Rap-Künste, sondern auf seine Fertigkeiten an den Reglern. Das Mikrofon übernimmt denn auch sogleich der unerschütterlich entspannte Snoop Dogg im blauen Trainingsanzug mit Bandana-Muster.

Die ebenfalls strahlend weißen Bühnen stellen eine Häuserzeile in Compton dar, davor parken drei Chevy Impala Lowrider, Schilder und Plakate verweisen auf lokale Sehenswürdigkeiten. Das Dr. Martin Luther King Jr. Memorial ist sogar im Maßstab 1:1 nachgebaut. Bespielt werden Räume wie Dächer, 50 Cent hängt wieder von der Decke, wie einst im Video zu „In Da Club“, nur der Oberkörper ist nicht mehr so formvollendet austrainiert wie einst.

„California Love“ ohne Hologramm

Auch die anderen Tracks – bis auf zwei Ausnahme (Mary J. Bliges immer noch erschütterndes „No More Drama“, Kendrick Lamars trotziges „Alright“) von Dr. Dre produziert – sind allesamt fest im amerikanischen Kanon verankert.

Schon der zweite Song, „California Love“, ginge als Show-Höhepunkt durch, wäre nicht sein Interpret Tupac Shakur 1996 Opfer eines Drive-by-Shootings geworden. Dre und Snoop teilen sich die Rap-Parts. Auf das geschmacklose Tupac-Hologramm, das sie vor zehn Jahren auf dem Coachella-Festival vorgestellt hatten, verzichten sie diesmal.

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Man hat schon aufwendigere, dynamischere Halbzeit-Auftritte gesehen, aber das hier ist eben auch keine Pop-Show. Choreografisch kann allein Kendrick Lamar überzeugen, der zusammen mit einer Armee blondgefärbter schwarzer Männer in dunklen Anzügen auf einer Landkarte von Los Angeles performt (Lamars Anzug ist mit Michael-Jackson-, beziehungsweise Festkomitee-artigen Fantasie-Orden behängt). „Dre Day“ verkünden ihre Schärpen in grünen Lettern. An diesem Abend ordnet sich selbst Lamar dem Super-Produzenten unter, obwohl er dessen G-Funk lange hinter sich gelassen hat.

Die entscheidende Geste des Abends jedoch vollführt Eminem: Nach dessen obligatorischen Superhit „Loose Yourself“ (mit Anderson.Paak am Schlagzeug), setzt sich Dr. Dre an den Flügel, während der weiße Rapper gebeugten Hauptes auf die Knie ging, ebenso wie es Quarterback Colin Kaeperneck zur amerikanischen Nationalhymne getan hat, um gegen die Ungleichbehandlung schwarzer Amerikaner im Land of the Free zu protestieren.

Dr. Dre ist nicht mehr sauer

An Stelle des „Star-Spangled Banner“ spielt Dre jedoch das kurze Piano-Motiv aus Tupac Shakurs „I Ain‘t Mad at Cha“ dazu. Ich bin nicht sauer auf dich: Wird die große Geste auf diese Weise zur zweideutigen Botschaft? Tupac rappt im Track aus der Perspektive des Self-Made-Man, der seinen Neidern im Getto großzügig vergibt.

Am Sonntag wirkt der Song wie eine Friedensbotschaft an die NFL. Wo ist die – immer noch berechtigte – Wut aus N.W.A.-Tagen geblieben?

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