Tarantino im FaktencheckWas ist erfunden in „Once Upon a Time ... in Hollywood“?

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Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten zu „Once Upon a Time ... in Hollywood“

Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten zu „Once Upon a Time ... in Hollywood“

Wahrheit und Legende, das ist bei Quentin Tarantino nicht unbedingt ein Widerspruch. Der Mann, der beim Job in der Videothek gleichermaßen Filmbegeisterung befriedigte und Filmbildung anhäufte, hat als Filmautor mit verschärfter Zitierfreude seinem Kenntnisreichtum freien Lauf gelassen.

Die Umdeutung geschichtlicher Ereignisse hin zu Ereignisketten, wie sie hätten wirklich stattfinden sollen, ist im Tarantino-Kosmos Ausdruck einer persönlichen, bisweilen kindlich anmutenden Haltung. Geht es aber um die Details in der historischen Zuordnung, erweist sich Tarantino als akribischer Faktenprüfer. Sein aktueller Film „Once Upon a Time … in Hollywood“ wirkt nicht von ungefähr wie eine Zeitmaschine ins Jahr 1969.

Das Jahrzehnt der Serie

Die Sixties waren das erste große Jahrzehnt der TV-Serien, und Western waren ganz vorn mit dabei; auch im deutschen Fernsehen, wo die Serien meist erst ab 1970 zu sehen waren. Die Stars hießen James Drury, Doug McClure und Clu Gulager („Die Leute von der Shiloh Ranch“), Richard Long („Big Valley“), Chuck Connors („Westlich von Santa Fe“, „Geächtet“), Cameron Mitchell und Henry Darrow („High Chaparral“), Ralph Taeger („Hondo“), Robert Fuller („Am Fuß der blauen Berge“) und Pernell Roberts aus „Bonanza“. Der Niedergang des Western am Ende des Jahrzehnts führte auch hoffnungsvollste Karrieren dahin zurück, wo sie begonnen hatten – in Nebenrollen von B-Pictures.

James Stacy

Der Star der Westernserie „Lancer“ um eine Rancherfamilie im Clinch mit allerlei Banditen wird im Film gespielt von Timothy Olyphant. James Stacy, 1936 geboren, entsprach mit jungenhaftem Charme und viriler Physis dem Wunschbild eines sportlichen Hippies aus dem Laurel Canyon. Tarantino beendet die Rolle, indem er Stacy auf ein Motorrad steigen und davonfahren lässt. Damit nimmt er den realen Unfall vom 27. September 1973 vorweg, als Stacy von einem Lkw gerammt wurde. Seine Freundin Claire Cox war sofort tot, er selbst verlor den linken Arm und das linke Bein. Zwei Jahre später gab es ein Comeback im Western „Männer des Gesetzes“, weil Hauptdarsteller Kirk Douglas eine Rolle eigens für Stacy ins Drehbuch hatte einarbeiten lassen.

Besuch von Manson

Charles Manson ging als Sektenführer, Satanist und Mordanstifter in die amerikanische Geschichte ein, sah sich selbst aber als begnadeten Rockstar. Sein Besuch im Haus Cielo Drive 10050, um dort Terry Melcher und Dennis Wilson zu treffen, ist belegt. Manson hatte sich Wilson, den Schlagzeuger der Beach Boys, nach zufälliger Bekanntschaft mit Groupies gefügig gemacht und hoffte so auf eine eigene Rockkarriere.

Im Sommer 1968 schrieb er den Song „Cease to Exist“, den Dennis Wilson umschrieb und unter dem Titel „Never Learn Not to Love“ unter seinem Namen aufs Album „20/20“ aufnahm. Manson feuerte daraufhin eine Kugel in Wilsons leeres Bett. Produzent Melcher lehnte jede Zusammenarbeit mit Manson ab. Der erließ daraufhin einen Mordauftrag für den 6. August.

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Die Showszene

Rick Dalton muss sich klarmachen, dass sein Stern im Sinken begriffen ist. Im folgenden Ausschnitt singt Leonardo DiCaprio in Anzug und mit Zigarette Jim Lowes „Green Door“ von 1956 und wird dabei von drei Tänzerinnen begleitet. Die Art der Performance war im US-Fernsehen ab Mitte der 60er Jahre populär. Gastgeber wie Dean Martin, Jerry Lewis, Lucille Ball, George Burns oder Fred Astaire holten sich prominente Showgäste ins Studio und bespaßten mit Sketchen und Popnummern das Familienpublikum.

Nach der Perry-Como-Show schafften es diese Sendungen nicht mehr ins deutsche Fernsehen. Das ZDF zeigte aber von 1975 bis 1981 Zusammenschnitte unter dem Titel „Larry’s Showtime“.

Der zweite Sergio

Rick Dalton verlässt Hollywood für Dreharbeiten in Italien, wo er für den zweiten Sergio einen Gangsterfilm dreht. Das eröffnet Raum für Spekulation. Wer ist dieser ominöse zweite Sergio? Aus Tarantinos Perspektive wird Sergio Leone („Zwei glorreiche Halunken“, „Spiel mir das Lied vom Tod“) zweifellos die Pole Position einnehmen.

Der Platz dahinter sollte eigentlich „Django“-Erfinder Sergio Corbucci gehören, der 1968 mit seinen Filmen „Leichen pflastern seinen Weg“ und „Mercenario – Der Gefürchtete“ zu Leone aufschließen konnte. Allerdings drehte er 1969 keinen Film. Damit kommt Sergio Sollima ins Spiel, der bis 1968 exzellente Western („Von Angesicht zu Angesicht“) schuf, aber 1969 mit „Brutale Stadt“ einen Gangsterfilm mit den US-Akteuren Charles Bronson und Telly Savalas drehte.

Der Jumbo-Jet

Um einen Kontinentalflug zu visualisieren, schneidet Tarantino Aufnahmen einer Boeing 747 ein und zeigt dabei auch eine Party, die im Oberdeck stattfindet. Tatsächlich wurde dieser exklusive Bereich von Airlines als Lounge für gut betuchte Gäste vermietet. Der Einsatz eines solchen Flugzeugs als Passagiermaschine im Jahre 1969 ist allerdings unter künstlerischer Freiheit zu verbuchen. Zwar ging das Flugzeug ab 1968 in Serienproduktion, der Erstflug am 9. Februar 1969 diente Testzwecken.

Auf der 28. Luftschau in Paris wurde das Flugzeug im Sommer 1969 erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt, der erste Linienflug fand aber erst am 22. Januar 1970 statt. Bis heute wurden über 1550 Jumbo-Jets ausgeliefert. Das spektakulärste Beispiel für diesen Flugzeugtyp: Die Air Force One des US-Präsidenten.

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