„The 1975“ im Kölner Palladium„Wir nehmen uns eine kleine Auszeit“

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Matty Healy hat kurze Haare. Er spielt seine elektrische Gitarre und trägt einen Ausdruck von starker Anstrengung. Die Bühne ist bläulich erleuchtet.

Matty Healy beim Auftritt von „The 1975“ im Kölner Palladium

Die Band „The 1975“ um Frontmann Matty Healy besuchte für ihre Tour das Kölner Palladium. Es ist ihr vorletztes Konzert. 

Schränke, Fenster mit geschlossenen Läden, Lampenschirme, Sessel und Sofas, eine Zimmerpflanze. Die Mitglieder von „The 1975“ können es sich auf der Bühne des Kölner Palladiums gemütlich machen. Sie haben gleich ein ganzes Wohnzimmer mitgebracht, inklusive mehrerer Röhrenbildschirme, die an die frühe Zeit des Fernsehens erinnern.

Aber Vintage ist ja bekanntlich modern und die Band um Frontmann Matty Healy trifft mit ihrer Musik den Nerv der Zeit. Das bezeugen die Schlangen, die am Freitagabend vom Palladium bis zur Peter Huppertz-Straße verlaufen und größtenteils aus jungen Menschen bestehen, die das lineare Fernsehen längst gegen Streaming ausgetauscht haben dürften. 

Pop, Rock, Achtziger: „The 1975“ kann eigentlich alles

Dass die trotzdem alle der Einladung in Matty Healys Wohnzimmer gefolgt sind, hat vielleicht damit zu tun, dass der genrefluide Popstar weiß, sich neu zu erfinden, ohne sein Zentrum zu verlieren. Ob Easy-Listening-Jazz, zarter Folk, Disco-Soul, 80s-Pop oder verzerrter Indie-Rock, er bedient sich frei am Musikschrank, um seine Lieder anzureichern.

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Zu Beginn seines Auftritts in Köln greift er aber erstmal zur Zigarette, während das Schlagzeug schon „The City“ ankündigt. Später nimmt er einen tiefen Zug aus einem Flachmann oder torkelt in den oberen Bereich der zweigeschossigen Bühne, um mit einer Bandkollegin anzustoßen. Selbst für den Weg vom Mikrofon zum Sofa braucht er ein Wegbier. Wie viel vom echten Matty Healy in seinem Alter Ego auf der Bühne steckt, weiß wohl nur er selbst. Für jemanden, der so viel trinkt, sitzen die Töne eigentlich zu gut.

Auftritt im Palladium ist das vorletzte Konzert vor einer Pause

Aber da steckt vielleicht auch echter Schmerz in dieser Performance. Man glaubt ihn zu spüren, als er „Jesus Christ 2005 God Bless America“ anstimmt: „Ich bin verliebt, aber ich fühle mich schlecht, denn ich bin nur ein Fußabdruck im Schnee.“ Es ist ein Duett, und in seinen Gesangspausen setzt er sich auf das Sofa, raucht, trinkt, schlägt sich die Arme über den Kopf.

Sind das Ermüdungserscheinungen? Die zeigen sich nicht in seiner Stimme, das wäre aber nicht verwunderlich gewesen. Köln ist die vorletzte Station einer langen Tour. „Wir werden weggehen, ein bisschen Musikmachen, nehmen uns eine kleine Auszeit“, kündigt er in Köln an. Als Trostpflaster gibt die Band einen kleinen Vorgeschmack auf ein neues Album: Ein gitarrenlastiges Instrumentalstück mit einem Beginn à la Metallica, dann wird es verzerrt, roh, energiegeladen. 

Die Band spielt „Lostmyhead“, „I always wanna die, sometimes“ und „Oh Caroline“

Eine Seite, die „The 1975“ später nochmal mit „Lostmyhead“ zeigen, das mit einer langsamen musikalischen Auferstehung im weißen Bühnenlicht beginnt. Die Band wird von hinten anstrahlt und erscheint nur als Silhouette ihres eigenen Konzerts. Es baut sich kontinuierlich Spannung auf, die mit den stark verzerrten Gitarren in shredding ausbricht, dann gibt es ein Blitzlichtgewitter, dass die Bandmitglieder zu Figuren in einem Stop-Motion Film macht.

Es steckt viel Weltschmerz in dieser Musik. Selbst in seinen älteren Liedern hört man mittlerweile die Post-Corona-Depression hinein, die Klimaangst, und obendrauf kommt die Fragilität des Zwischenmenschlichen. Diese gipfelt in Liedern wie „I Always Wanna Die (Sometimes)“, und findet doch ihren Weg heraus in einen ungeheuren Lebenswillen.

Auch der Abschied aus dem Wohnzimmer ist Teil der Performance

Das Publikum begrüßt alle diese Emotionen und zeigt sich in den poppigeren Liedern in Feierlaune. Der erste Akkord jedes Liedes wird so energisch begrüßt, als würde man einen langen verschollenen Freund wiedersehen, dann wird mit „Oh Caroline“ die unerwiderte Liebe textsicher besungen.

Auch beim letzten Lied, „Give Yourself a Try” zeigt sich in Köln noch keine Heiserkeit. Matty Healy übt sich schon in Abschiedsgesten und sendet Küsschen ans Publikum, dann geht die Band ab, und der letzte langgezogene Gitarrenakkord verendet abrupt, als hätte man ihm den Stecker gezogen. Nach einem letzten Jubelsturm bauen Bühnenarbeiter in weißen Kitteln schon das Wohnzimmer ab, noch bevor der eine oder Fan versteht, dass es wirklich keine Zugabe geben wird, zumal mit 22:15 Uhr schon früh Schluss ist. Man gilt wohl nicht als guter Gastgeber, wenn man als Rausschmeißer gleich eine ganze Hausräumung durchführen lässt, aber bekanntlich hat Matty Healy keine Angst davor, kontrovers zu sein. Es ist ja alles Teil der Performance. 

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