Zwei interessante Premieren im Theater im Bauturm: Roland Schimmelpfennigs „Laios“ und „Fettberg – Human Garbage“.
Theater im BauturmAntiker Inzest und moderne Fettberge

Laura Thomas in „Laios“ im Theater im Bauturm
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Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Jedenfalls für die Helden des antiken Theben. Dort wurde der Sage nach nicht nur Herakles geboren, sondern Ödipus, der den wohl berühmtesten Inzest-Fall der abendländischen Kulturgeschichte zu verantworten hat. In „Laios“, dem preisgekrönten Theaterdrama von Roland Schimmelpfennig steht aber sein weniger bekannter Vater im Mittelpunkt.
Das Theater im Bauturm hat die hochgelobte Inszenierung des Bochumer Prinz-Regent-Theaters übernommen. Regisseur Hans Dreher führt die Schauspielerin Laura Thomas in ihrem Soloauftritt in einem 90-minütigen Parforceritt durch die Irrungen und Wirrungen dieses modern aufbereiteten antiken Stoffes. Der hat es in Sachen Sex and Crime in sich, ist voller komischer und tragischer Szenen, die von der Schauspielerin mit großem Facettenreichtum und ansteckender Spiellaune auf die Bühne gebracht werden.
Die besteht aus einem Stück Landstraße, das bis in den Zuschauerraum führt. Zwei Laternen und eine Mülltonne vervollständigen das minimalistische Bühnenbild von Clara Eigeldinger. Dass auf der Tonne der Name Zeus steht, hat seinen Grund, denn der Olympier sorgt mit seinem triebhaften Wesen für reichlich Trubel im alten Theben.
Zeus, „die alte Bumsbirne“
„Kranker Scheiß“, wie es schnoddrig im Stück heißt, den „die alte Bumsbirne Zeus“ da zu verantworten hat. Was da im Einzelnen das alte Theben in einen griechischen Sündenpfuhl verwandelt hat, schildert Laura Thomas im Schnelldurchlauf, mit zuweilen kundiger Hilfestellung des humanistisch geschulten Publikums. Dann aber geht es um jenen tragischen König Laios, der in Theben ungewollt zur Macht kommt, weil die nach vielen Unruhen ausgeblutete Stadtgesellschaft endlich geordnete Verhältnisse möchte. So wird Laios in eine Rolle gezwungen, die ihm überhaupt nicht liegt, wäre er doch lieber in Olympia geblieben an der Seite seines jungen Liebhabers Chrysippos. Erstmal an der Macht weckt diese allerdings auch in Laios tyrannische Gelüste.
Die Bürger murren derweil, weil der König die arrangierte Ehe mit Iokaste auch im dritten Jahr noch nicht vollzogen hat. Ist Chrysippos schuld, den Laios zum Ärger der Thebaner mitgebracht hat, oder doch Pythia, die dem frischvermählten Paar mit einem düsteren Orakelspruch die Flitterwochen verdarb? Denn die komische Alte aus dem Schnellimbiss auf dem Weg nach Korinth sagte voraus, dass ihr erstgeborener Sohn den Vater morden und die Mutter heiraten werde. Die weitere Geschichte ist bekannt, wird aber im Stück trotz der Unmöglichkeit, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, mit erzählerischen Varianten versehen, die Laura Thomas mit darstellerischer Grandezza zur Disposition stellt. Ist Laios - ohnehin von einer Sphinx verfolgt, die in seinem Kopf den Wahnsinn beflügelt – Opfer einer tragischen Liebesgeschichte oder pädophiler Triebtäter, der durch seine Schuld das Unheil heraufbeschworen hat? Autor Schimmelpfennig hält es mit der Sphinx: Kluge Fragen sind interessanter als simple Antworten.
Der Fettberg spricht zu uns
Für eine zweite Premiere verwandelt sich die Bauturm-Bühne in eine Müllhalde: 2017 wurde in der Londoner Kanalisation ein wahres Monster aus Müll entdeckt. Mit 250 Meter Länge und 130 Tonnen Gewicht war dieser Fettberg der weltweit größte seiner Art, ein Mahnmal aus Speisefetten und Feuchttüchern. Dem Theaterkollektiv kopróchoma dient es als Vorlage zu ihrem Stück „Fettberg – Human Garbage“. Regisseur Frederik Werth und Bühnenbildnerin Annika Garling gruppieren das Publikum zwischen Plastikbergen und Elektroschrott. Hier kann es erleben, wie der Müll Zeugnis über sich selbst ablegt angesichts einer Zivilisation im Wegwerfmodus.
Vier wundersame Gestalten schälen sich aus dem Bühnenbild heraus, steigen mit hellen Schutzanzügen in den Untergrund, um dem monströsen Fettberg zu Leibe zu rücken. Für die nächste halbe Stunde gibt es jede Menge Ekel-Kopf-Kino, auf schief gestellten Monitoren sieht und hört man, wie sich der Spezialtrupp mit Würgen und Brechreiz dem Berg nähert. Wie in Don DeLillos epochalem Roman „Underworld“ wird der Müll im Stück einem Paradigmenwechsel unterzogen. „Die Menschen betrachten ihren Abfall heute im globalen Kontext“ heißt es bei DeLillo, wenn sein Held, ein von den stetig wachsenden Abfallbergen profitierender Müllmanager, vergeblich versucht, den Geist des Garbage wieder in die Flasche zu stopfen.
Einer Transformation des Trashs sind auch die vier Schauspieler Lisa Sophie Kusz, Fee Zweipfennig, Thomas Kaschel und Philipp Sebastian unterzogen worden, als sie wieder aus den Tiefen des urbanen Abfalls auftauchen. Nun bevölkern sie als mythische Mischwesen die Bühne, halb Alien, halb archaische Gorgonen. Ausgestoßene, die beim Abschreiten des Abfallkreislaufes im performativen Reigen immer neue Perspektiven eröffnen. Dabei helfen auch vier Intermezzi, in denen jeweils einer der Performer zum Sprachrohr für Experten wird, die über Entrümpelung von Wohnungen sprechen, oder über die Art und Weise, wie die Gesellschaft versucht, Obdachlose wie menschlichen Müll außer Sichtweite zu schaffen.
So wird „Fettberg“ zu einem Abgesang auf eine Konsum-Gesellschaft, die vom Waren-Genuss ohne Reue träumt und immer mehr ahnt, dass dieser Traum zum Albtraum wird.
Nächste Termine: „Fettberg – Human Garbage“, 3., 4.12.; „Laios“, 31.12., 27., 28.1.; 24., 25.2. 20 Uhr, Theater im Bauturm

