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Revival der SilberscheibenAuf TikTok zeigen junge Menschen jetzt ihre CDs

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Die Verschenkekiste als CD-Endlager  

Köln – Die Geschichte der CD endet, wie eigentlich jede Geschichte, mit einem langsamen Dahinsiechen im gesellschaftlichen Abseits. Einst balancierte Herbert von Karajan die funkelnde Frisbee triumphierend vor staunenden Journalisten auf seinem Zeigefinger, als hätte er den Schatz der Nibelungen geborgen. „Ein Wunder“, schwärmte der Dirigent.

Silberglanz und Lasertechnik! Reinster Klang, codiert in Nullen und Einsen. Endlich konnte man Beethovens Neunte ohne Geknister und ohne Unterbrechung hören. 

Die Länge der Sinfonie, beziehungsweise ihrer längsten Einspielung bestimmte das Format: Karajan hatt nur 66 Minuten benötigt, Furtwängler jedoch 74: Daraus ergaben sich die zwölf Zentimeter Durchmesser der Plastikscheibe.  

20 Jahre Traumumsätze

Die Begeisterung des Maestros übertrug sich aufs Publikum: Binnen weniger Jahre hatte die CD die Vinylschallplatte als wichtigste physikalisches Format der Musikindustrie abgelöst. Zwei Jahrzehnte lang bescherte ihr die CD Traumumsätze, doch schließlich wurde sie zum Opfer ihrer einst revolutionären Technik: Nicht genug, dass Musik als digitaler Datensatz verlustfreies Kopieren erlaubte, plötzlich wurden diese Daten auch noch kreuz und quer durchs Internet geschickt, ob illegal (Napster), legal (iTunes) oder als Teil eines Abos (Spotify): Die Musik hatte sich von ihren Tonträgern emanzipiert.

Dass sie damit auch einen großen Anteil ihrer Wertigkeit verlor, ist keine Frage von Interpretation. Das verraten die Vergütungsmodelle der Streamingdienste. Wer weiterhin stur am Fetischcharakter des Tonträgers festhalten wollte, der kaufte Vinyl. Zuletzt hatten die Umsätze von Schallplatten – von der Musikwirtschaft Anfang der 1990er als tot erklärt – sogar die der CD überholt. Damit wurde dem Silberling endgültig der zweifelhafte Status einer Brückentechnologie zugewiesen, ähnlich der Atomkraft, die den Übergang zu nachhaltigeren  Lösungen ermöglicht.

Endlager in Verschenkekisten

Das Gros alter CD-Sammlungen hat sein Endlager auf Flohmärkten und in Verschenkekisten vor Mietshäusern gefunden, so die Scheiben nicht in Grundschulklassen bemalt und zu Mobiles umfunktioniert wurden.

Wie gesagt, ein Ende im Abseits. Aber halt! Da vermeldet das „Billboard“-Magazin doch tatsächlich, dass 2021 zum ersten Mal seit 17 Jahren die CD-Verkäufe wieder angestiegen sind, um immerhin 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch auf Discogs, dem wichtigsten Online-Handelsplatz für gebrauchte Tonträger, hat das Musikmagazin „Pitchfork“ ermittelt, sind die CD-Wiederverkäufe in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen.

Schon rufen erste Trendscouts das große CD-Revival aus: „Jewel-Box Heroes“ hat der renommierte Popkritiker Rob Sheffield seine Lobeshymne auf das ungeliebte Medium im amerikanischen „Rolling Stone“ übertitelt.

Sie funktionieren einfach

Auch er behauptet nicht, die CD wäre auf ihre alten Tage plötzlich sexy oder cool, oder auch nur auf irgendeine Art glamourös geworden. CDs erzeugen keine romantischen Gefühle. Aber, so Sheffield, sie funktionieren einfach. Erlauben ein gut einstündiges Eintauchen in die Musik, ohne weitere Ablenkungen. Sei es durch Push-Nachrichten oder das Wechseln der Plattenseite.  Sie zerkratzen nicht (zumindest nicht so leicht) und sie sind auch weniger obsolet als  ihre Nachfolger.

Wo sind die MP3s, die sie in den Nuller Jahren heruntergeladen haben? Wo ist der Click-Wheel-iPod, auf den sie damals so stolz waren? Die CD, das Arbeitspferd der Musikindustrie, bleibt das verlässlichste und stabilste aller Formate.

Nun ist Rob Sheffield Jahrgang 1966 und es gibt Hinweise darauf, dass der plötzliche CD-Boom ganz allein auf ältere Konsumenten zurückzuführen ist, die sich das neue „Adele“-Album in den Schrank stellen wollten.

CD-Fans auf TikTok

Aber es sind nicht nur nostalgisch veranlagte Menschen, oder solche, die CD-Regale noch für gangbare Einrichtungsgegenstände halten, welche die seltsame Renaissance antreiben. Unter dem Hashtag #cdcollection finden sich auf TikTok etliche Kurzvideos, in denen Generation-Z-ler ihre Compact Discs von Billie Eilish, Olivia Rodrigo und Harry Styles mit ähnlichen Enthusiasmus präsentieren wie Karajan seine Wunderscheibe anno 1981.

Dazu kommen noch die Legionen von K-Pop-Fans, deren Idole ihre Alben grundsätzlich als CDs in aufwändig gestalteten Pappschachteln mit allerlei bunten Extras herausbringen.

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Und während die Preise für gebrauchte (und auch neue) Vinylschallplatten durch die Decke gegangen sind (die aktuellen Produktionskapazitäten sind ebenso begrenzt wie die begehrten Artefakte der Pop-Geschichte), kann man gebrauchte CDs weiterhin zu Spottpreisen erwerben, wenn man sie denn nicht gleich aus den Grabbelkisten der Boomer gefischt hat: So lässt sich schnell eine eigene, das Heranwachsen der Persönlichkeit dokumentierende, Musiksammlung anlegen. Sogar mit einem Taschengeldbudget.

Am Ende, das ist das Vorrecht der Jugend, wird die glänzende CD doch noch sexyer wirken als die knisternde Schallplatte. Wenn das Karajan wüsste.