Unaufhaltsamer Höllensturz
Die Krone Englands – sie ist eine Bürde. Wer sie trägt, den drückt sie nieder. Ihr goldenes Metall zieht Mörder an. Ihre Kälte soll Köpfe kühlen, auf dass Hirn, nicht Herz regiert. Im Bühnenbild von Patrick Bannwart schwebt sie als gigantische bleigraue Skulptur über dem Geschehen wie ein aufgerissenes Maul mit spitzen Zähnen. Ein Fangeisen für Großwild, ein Folterinstrument. Und das ist sie mehr denn je für den aktuellen König: Heinrich VI. Alles, was er in ihrem Namen entscheidet, endet in einer Katastrophe. Er holt sich die falsche Frau, vertieft die politische Spaltung im Land, vertraut den Verrätern.
Schon vor 20 Jahren hat der flämische Autor Tom Lanoye Shakespeares Königsdramen zu einem zwölfstündigen Historienpanorama unter dem Titel „Schlachten!“ gerafft. Das Düsseldorfer Stück ist nun ein neu überarbeiteter Auszug daraus. Im Zentrum stehen gerade nicht fade Schlachtenbeschreibungen, sondern zwei Charaktere: Heinrich VI. und seine Frau Margaretha di Napoli. Und Lanoye gelingt mehr als ein Figuren-Remake. Gemeinsam mit Regisseur David Bösch spiegelt Lanoye in ihnen eine Vielzahl kulturgeschichtlicher Heroen. Heinrich ist auch ein am Zweifel zerbrechender Hamlet, ein biblischer Hiob und gottverlassener Jesus. Und Margaretha, furios gespielt von Sonja Beißwenger, ist intrigante Lady Macbeth, küss-beißende Amazone Penthesilea und rachsüchtige Medea, die vor keiner Brutalität zurückschreckt. André Kaczmarczyk, Publikumsdarling des Düsseldorfer Ensembles, spielt den König, der ja wirklich nur ein Königsspieler ist. Die Krone trägt Kaczmarcyk weniger auf dem Kopf als in der Hand, jederzeit griffbereit zum Wegwerfen. Wenn er auf dem Thron Platz nimmt, faltet er die langen Beine zum Yogasitz im trotzigen Versuch, Politik mit Spiritualität zu vereinen. Herzerwärmend ist Kaczmarczyks strahlendes Unschuldslächeln, sein sanftes HeSäuseln. Doch er ironisiert auch die selbstmitleidige Schwäche seiner Figur, den Narzissmus im Hippie-Heinrich. Verschwafelte Tatenlosigkeit kann in Zeiten wie diesen niemals die Lösung sein. Damals nicht, heute nicht.
Sehr präzise hat Regisseur David Bösch mit seinen Schauspielern an der Sprache gearbeitet, diesem zuweilen rabiaten Mix von Shakespeare-Versen und Lanoye'schem Slang. Kein Satz verliert sich hier im Ungefähren. Jeder Gedanke ist evident, jeder Subtext fühlbar, auch der böse Witz, der diese Adaption prägt, wird gallig ausgespielt. So verliert dieser unaufhaltsame Höllensturz niemals seine Zuschauer. Am Ende des starken Abends reitet allerdings auch David Bösch der Regie-Teufel und er lässt Richard III. zum Horror-Showdown als Marilyn-Manson-Monster auftreten. Der Satanist rotzt und speichelt. Die Köpfe rollen. Die Krone trieft von Blut. Es hätte diesen apokalyptischen Splatter nicht gebraucht. Viel eindringlicher war der lodernde Wahnsinn in den kayalschwarzen Augen dieser Höflinge, die Drohung: Lass Machtgier und Ehrgeiz regieren – und die Welt stürzt ins Chaos. Weitere Vorstellungen am 28.12. sowie im Januar 2020 am Düsseldorfer Schauspielhaus

André Kaczmarczyk als Heinrich VI., Sonja Beißwenger als Margaretha di Napoli
Copyright: Sandra Then