Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

WDR Konzertreihe „Musik der Zeit“Eine Orgel wie ein Stahlwerk

Lesezeit 2 Minuten
Neuer Inhalt (6)

Dirigent Emilio Pomàrico mit dem SWR Vokalensemble bei den Musiktagen 2017.

Köln – Das Orchester ist groß besetzt, doch hört man nur sanftes Murmeln und Wispern. Die Bläser raunen in einer geheimen Tonsprache, worauf die Violinen mit zartem Fisteln antworten. Die „Études“ von Georges Aperghis können aber auch anders. Mal fauchen die Streicher und dröhnt die Tuba. Mal hämmert das Schlagwerk und keifen zwei Soloviolinen, die sich im nächsten Moment säuselnd umgarnen. Der 1945 geborene griechisch-französische Komponist lässt die Instrumente in verschiedenen Tonfällen und Temperamenten reden. Und wenn am Schluss der uraufgeführten „Étude VII“ die Bogenhölzer leise die Saiten betasten, meint man der knisternden Unterhaltung von Insekten zu lauschen.

Ganz anders die zweite Uraufführung im ersten Konzert der WDR-Reihe „Musik der Zeit“. Mithatcan Öcals „Maschinenangst II“ bedient sich aus dem Baukasten der symphonischen Tradition. Der 1992 geborene Türke hat keinerlei Angst, seiner Komponiermaschine alles Mögliche einzuverleiben: muntere Melodien, tonale Dreiklänge, unheilvolle Trompeten-Fanfaren, marschartiges Stampfen, barocke Festlichkeit, spanische Kastagnetten, schwungvoller Walzer. Hier eine Brise von Strawinskys „Sacre“, dort ein Quäntchen Strauss`sche Heraldik, Debussys Farbenpracht, Mahlers Ironie und Katastrophenmusik. Das neoklassische Potpourri will bunt, schrill und lustig sein. Doch der Witz wirkt während zwanzig Minuten bieder wie ein Setzkasten.

Dirigent Emilio Pomàrico in der Kölner Philharmonie tänzelnd elegant

Dass sich vertraute Apparate auch ganz anders verwenden lassen, demonstrierten zwei faszinierende Repertoirewerke des 20. Jahrhunderts. György Ligetis Orgelsolo „Volumina“ von 1962 lässt die Königin der Instrumente wie ein Löwe brüllen, wie ein Stahlwerk gleißen, und sirrende Funken sprühen wie elektronische Musik. Am Ende pfeift das Instrument in der höchsten Höhe auf dem letzten und kleinsten Löchlein. Dominik Susteck spielte den „Klassiker“ neuer Orgelmusik bestmöglich auf der dafür unterdimensionierten Klais-Orgel. Anlässlich des hundertsten Geburtstags des ungarischen Komponisten 2023 wird es bei „Musik der Zeit“ im Laufe der Spielzeit noch weitere Werke Ligetis geben.

Den Abschluss bildete „Ata“ von Iannis Xenakis. Die Streicher beginnen der Reihe nach von den höchsten Violinen zu den tiefsten Bässen, als schwirrten Schwärme von Bienen, Hummeln, Hornissen. Die Massenstrukturen haben auch gesellschaftspolitische Implikationen. Vielstimmige Texturen werden durch rhythmisierte Cluster verdrängt, die alle Instrumentalfarben zu stumpfem Einheitsgrau uniformieren. Statt Vielfalt und Individualismus herrscht dann totalitärer Konformismus. Das WDR Sinfonieorchester agierte punktgenau und druckvoll unter Leitung von Emilio Pomàrico. Der argentinische Maestro dirigiert impulsiv und tänzelnd elegant. Er gibt markante Akzente und lässt Schlüsse sanft nachfedern. Es macht große Freude, seinen Bewegungen zuzusehen, weil sie die Gestik und Körperlichkeit der Musik kongenial aufschließen.