In Nippes aufgewachsenWie der Kölner Max Annas ein gefragter Thrillerautor wurde

Autor Max Annas
Copyright: Michele Corleone
- Schriftsteller Max Annas ist in Nippes aufgewachsen. Seinen Geschichten, die von Rassismus, Sexismus und Unterdrückung handeln, merkt man das nicht an.
- Denn, obwohl sie es könnten, spielen sie nicht in Nippes. Sondern in Südafrika, der ehemaligen DDR, Berlin und in der Zukunft.
- Gemerkt, dass er ein Schriftsteller ist, hat Max Annas auch gar nicht in Köln. Es war auf der anderen Seite der Erde: in Südafrika.
Max Annas, Jahrgang 1963, hat mehr als sein halbes Leben in Köln verbracht. In seinem erzählerischen Werk findet sich darauf bisher kein Hinweis. Dessen Geschichten spielen in Südafrika, Berlin, der ehemaligen DDR und der Zukunft. Sie handeln von Rassismus, Sexismus und Unterdrückung in einer Welt der offen und versteckt totalitären Systeme. Sie könnten auch in Nippes spielen, wo er aufgewachsen ist. Allerdings hat Max Annas erst in Südafrika entdeckt, dass er ein Schriftsteller ist.
Seitdem hat er jedes Jahr ein Buch veröffentlicht. Gerade ist sein neuestes Buch erschienen: „Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit“. Es ist angesiedelt in der untergehenden DDR, die Annas als linker Hausbesetzer Ende der 80er-Jahre durch enge Kontakte zur dortigen Jugend-Untergrundbewegung kennengelernt hatte. Wieder gibt es eine Leiche, die nicht ins Konzept passt und den Blick öffnet für einen politischen Abgrund, der viele Menschen das Leben kostete.
Eine Arbeiterklassenjugend
Wir treffen den Autor auf Heimatbesuch in der Stadiongaststätte des ESV Olympia Köln. Ein Großstadt-Idyll inmitten des Gleisdreiecks. Hier hat er vor vielen Jahren mit seinen Freunden auf dem Aschenplatz des Eisenbahnervereins gekickt, bis der Platzwart kam und die Jungs verjagte. „Das konnte aber schon mal fünf Stunden dauern“, sagt Annas, der eine Arbeiterklassenjugend erlebte, die ihn hinein in die autonome Szene führte. Er begann für die Kölner Stadtrevue zu schreiben und veröffentlichte Sachbücher. Eines davon hieß: „Die Geißböcke. Glanz und Elend des 1. FC Köln.“ Es erschien 1998, pünktlich zum ersten Abstieg des Vereins, dessen Fan er ist.
Max Annas erzählt, wie ihm der innere Durchbruch als Schriftsteller gelang. In Südafrika war er 2008 der Liebe wegen gelandet. Ein Auskommen verschaffte ihm ein Forschungsauftrag an der Universität Fort Hare in East London. Themenschwerpunkt: südafrikanischer Jazz. Der innere Auftrag lautete jedoch: schreiben. Also schrieb er einen Roman, der bis heute nicht erschienen ist. Dann schrieb er noch einen, der ihm besser gefiel. Und dann schrieb er seinen dritten: „Die Farm“. Die Fiktion eines Gewaltausbruchs auf engstem Raum irgendwo in Südafrika. „Da wusste ich: So muss es sein“, sagt Annas. Es fand sich ein Verlag. „Die Farm“ wurde 2015 mit Platz drei beim Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, den er mit dem Nachfolger „Die Mauer“ gewann.
Die Romane von Max Annas
Die Farm, Diaphanes 2014Die Mauer, Rowohlt 2016Illegal, Rowohlt 2017Finsterwalde, Rowohlt 2018Morduntersuchungskommission, Rowohlt 2019Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit, Rowohlt 2020
Im deutschen Literaturbetrieb ist der Einzelgänger Annas ein gefragter Autor geworden, der Lesereisen unternimmt und in fremden Ländern aus seinem Werk zitiert. Die Kritik lobt seinen schlanken Erzählstil, seine schlauen Plots und die scharfe Sicht auf Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Metaphern, Adjektivkaskaden und Endlossätze haben in seinen Texten keinen Platz. Er nennt „Red Harvest“ von Dashiell Hammett als sein Erzählideal: präzise, schnell, hart. Auch bei Max Annas transportieren Handlung und Dialoge gerade Geschichten, deren Moral so eindeutig ist, dass sie erzählerisch nicht zu kommentiert werden braucht. „Neulich las ich in einer Kritik: Kein Wort zu viel. Das fand ich gut“, sagt er.
Geschrieben wird nachts
Seit 2016 lebt Max Annas in Berlin, Stadtteil Neukölln. Er mag die Weite der Metropole, die sich eignet für eine tägliche 50-Kilometer-Runde mit dem Fahrrad. Ein physischer Ausgleich zum Schreiben, das er als harte, disziplinierte Arbeit in genau getakteten Schichten vorwiegend nachts erledigt. „Das hat etwas von einem Privileg“, sagt Annas, „seinen Job zu machen, während alle anderen schlafen“.
Für Max Annas ist Schreiben eine Auseinandersetzung mit sich und einer Welt, die anders sein sollte. „Für mich ist es wichtig, meinen eigenen Blick zu schärfen auf Ort und Zeit. Ich bin dann der Hoffnung, dass das bei den Lesenden Ähnliches auslöst“, sagt er.
In Schubladen passt er als Autor nicht so gut. „Ich kriege mit, dass meine Bücher recht unterschiedlich wahr- und aufgenommen werden. Einige sehen den Thriller, andere einen politischen Ansatz, wieder andere nehmen Genres gar nicht erst wahr. Das gefällt mir.“