Youtuberin Mai Thi Nguyen-KimMit einem Video zur Corona-Expertin

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Mai Thi Nguyen-Kim

  • Die Youtuberin sorgte mit ihrem Video zur Corona-Krise für viel Aufmerksamkeit.
  • In zahlreichen Talkshows plädiert sie für ein weiteres Festhalten am Lockdown.
  • Das Porträt der Wissenschaftlerin – jetzt lesen mit KStA PLUS.

„Corona geht gerade erst los“ – ein Satz, den eigentlich wirklich niemand hören will. Und doch ist es der Titel des bisher erfolgreichsten Videos der Youtuberin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Channel MaiLab. Ganze sechs Millionen Mal wurde das Video seit seiner Veröffentlichung vor drei Wochen bisher geklickt. Und beförderte Nguyen-Kim in zahlreiche Talkshows.

Ob auf Youtube, bei Markus Lanz, bei Maybrit Illner oder in der „Tagesschau“, ihre Botschaft ist stets dieselbe: Je konsequenter wir den Lockdown jetzt durchhalten, je niedriger wir die Reproduktionszahl des Virus drücken können, desto sicherer sind wir vor einer zweiten Ausbruchswelle und damit einem zweiten Lockdown. Denn enden, so Nguyen-Kim weiter, werde die Pandemie erst mit einem Impfstoff. Der Aufbau einer natürlichen Herdenimmunität stellt für sie keine Alternative dar. Entweder würde diese zum sicheren Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems führen, oder sie würde, wenn man sie langsam und kontrolliert aufbauen wollte, harte Einschnitte in unsere demokratischen Freiheiten für mindestens ein bis zwei Jahre erfordern.

Mit Fakten gegen Fake-News

Nguyen-Kim ist, so scheint es, mit einem einzigen Video zur Corona-Expertin avanciert. Doch wer sie und ihren Youtube-Channel MaiLab kennt, weiß, dass gerade derlei Zuschreibungen das Letzte sind, was sie will. Erklärtes Ziel der promovierten Chemikerin und Journalistin ist es schließlich, mit ihren Videos die Welt der Wissenschaft für jedermann zugänglich zu machen. Mit Fakten gegen Fake-News, Kontext anstelle von einfachen Antworten. Ob mit Videos zu Mizellenwasser, Kokosöl oder Yoga, die 32-Jährige schafft es, spröde chemische Formeln und komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge mit Witz und herausragender Recherchearbeit so zu erklären, dass sie nicht nur jeder verstehen kann, sondern es dabei auch noch Spaß macht, ihr zuzuhören. Mit derselben Klarheit nimmt sich Nguyen-Kim auch immer wieder gesellschaftlicher Debatten an, wie etwa jener über Fragen nach  Herkunft, die, ausgelöst von der von Dieter Bohlen gestellten Frage "wo kommst du ursprünglich her?", auf Twitter unter dem Hashtag #vonhier geführt wurde. Ob selber betroffen oder nicht, davon, sich Argumente zurechtzulegen, wie sie einem gerade passen, hält sie nichts.

Begonnen hat sie MaiLab im Rahmen des Jugendnetzwerks Funk im Jahr 2017. Im Weißen Haus begann man gerade, mit Begriffen wie „Alternative Fakten“ zu hantieren, und das Vertrauen der jüngeren Leser in die traditionellen Medien war durch die sozialen Medien aufgeweicht. Nguyen-Kim hatte das Gefühl, etwas ändern zu müssen am verstaubten Image des Wissenschaftlers, der einsam durch sein Mikroskop in Welten fernab des Alltags des Normalbürgers blickt. Als eine Art Science-Influencerin beweist sie seitdem Woche für Woche, dass Fakten alles andere als trocken sind, und dass schlau sein nicht gleich langweilig ist. Dabei war zu Beginn keineswegs sicher, dass ihr Modell eines faktenbasierten Wissenschaftskanals in Zeiten, in denen jeder nach Lust und Laune Halbwissen auf zahllosen Plattformen in die Welt kippen kann, funktionieren würde. Zumal Nguyen-Kims Ausbildung sie eigentlich in ein Labor hätte verschlagen sollen anstatt vor eine Kamera.

Auf Youtube statt ins Chemielabor

Nach ihrem Einser-Abitur begann sie zunächst ein Chemiestudium in Mainz. Es folgten Forschungsaufenthalte an den renommierten amerikanischen Universitäten Harvard und dem MIT. Dann ihre Promotion in Aachen und Potsdam. Ihr Interesse an Chemie entdeckte die im Baden-Württembergischen Hemsbach geborene Youtuberin schon früh, denn auch ihr Vater war Chemiker beim Chemiekonzern BASF. Als auch seine Tochter dort eine Stelle als Laborleiterin angeboten bekam, muss er zunächst sehr stolz gewesen sein – und dann fassungslos. Denn Nguyen-Kim lehnte die Stelle ab. Statt den sicheren Weg zu gehen, setzte sie alles auf eine Karte. Ungeachtet dessen, dass ihr Youtube-Channel, der damals noch „schönschlau“ hieß, zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 681 Klicks pro Tag generierte.

Ein Erfolg jagt den nächsten

Mit nunmehr 872000 Abonnenten, als Nachfolgerin von Ranga Yogeshwar bei der WDR-Wissenschaftssendung „Quarks“ und als Autorin des Buches „Komisch, alles chemisch“ hat Nguyen-Kim eine erst klassige Erfolgsgeschichte hingelegt. Doch nicht allein wegen ihrer Erfolge ist ihre Geschichte bedeutsam. Sie steht auch für einen neuen Umgang mit dem Internet – für die konstruktive Vermittlung von Wissen anstelle der destruktiven Verbreitung von Verschwörungstheorien. Anstatt Informationen ungefiltert hinzunehmen, lehrt sie ihre Abonnenten, diese zu prüfen und einzuordnen.

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Mit einer Tasse Tee in der Hand zitiert sie aus Studien und nennt im selben Atemzug deren Schwächen, sie erklärt die Methodik dahinter und ordnet die unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkte ein. Einfachen Antworten und Lösungen traut sie nicht über den Weg und vermittelt so ihren Zuschauern: Nichts basiert auf absoluten Wahrheiten. Doch „jeder noch so banale Aspekt dieses Lebens wird interessant, wenn man ihn naturwissenschaftlich betrachtet“, heißt es in ihrem Video „Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft“. Man möchte hinzufügen: und wenn man die Fakten mit Leben zu füllen vermag. Eben so, wie Mai Thi Nguyen-Kim es kann.

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