Interview mit Ranga Yogeshwar„Kollektive Verdrängung wäre jetzt das Schlimmste”

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Yogeshwar

Ranga Yogeshwar prägte „Quarks“ von Beginn an mit.

  • Der Wissenschafts-Moderator Ranga Yogeshwar beobachtet die Diskussion um weitere Lockerungen des Kontaktverbots in der Corona-Krise mit großer Sorge.
  • Im Interview warnt er unter anderem die Politik, vor dem großen psychologischen Druck „einzuknicken” und kritisiert die Feindlichkeit, die Virologen mittlerweile entgegengebracht wird: „Das sind keine kalten Reptilien.”
  • Scharfe Kritik übt er auch an den Politikern Armin Laschet, Christian Lindner und Wolfgang Schäuble für ihre Äußerungen.
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Herr Yogeshwar, Sie wollen in dieser Woche ein neues Youtube-Video veröffentlichen, in dem Sie analysieren werden, wie sich unser Umgang mit der Corona-Pandemie verändert. Warum ist Ihnen das jetzt ein Anliegen?

Wir erleben momentan einen Wandel in der Grundkonstellation der Player. Als im März die furchtbaren Bilder aus Italien kamen, als die Angst sich breit machte, als Virologen warnten, führte das dazu, dass die Empfindungen der Menschen zu einem selbstauferlegten Shutdown führten. Die Mobilitätszahlen gingen dramatisch nach unten und sanken auf ein Minimum. Das war die Phase der Solidarisierung. Wissenschaft, Politik, Volksempfinden – alle hielten zusammen.

Das hat sich geändert?

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Wir wissen, dass Shutdowns belastend sind. Für die Menschen aus psychologischen und sozialen Gründen. Für die Wirtschaft, weil Existenzen gefährdet sind. Und nun merken wir, dass die Angst sich allmählich auflöst. Die Zahlen gehen runter. Der größte Teil der Menschen sind keine Epidemiologen. Sie gehen davon aus, dass wir über den Berg sind. Das sind wir aber nicht, wie uns die Wissenschaftler sagen.

Was wäre jetzt der richtige Weg?

Wir führen die Maßnahmen des Shutdowns mit Unterstützung der App so fort, dass wir die Zahl der Infektionen deutlich senken. Was würde dann passieren? Wir hätten so wenige Infektionen, dass man jeden einzelnen Fall extrem schnell identifizieren und rückführen könnte und die Kontaktpersonen in Quarantäne bringen könnte. Man würde die Epidemie kontrollieren. Der große Vorteil wäre, dass der große Rest wieder sehr frei leben könnte, weil die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken extrem gering wäre. Das setzt aber voraus, dass man das Durchhaltevermögen hat, noch weiterzumachen.

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Und das fehlt?

Diese Strategie setzt eine scheinbar unendliche Langfristigkeit der Maßnahmen voraus. Wir müssen mit Mundschutz, Kontaktsperren, einem ziemlichen Ballast leben, der auch mir nicht viel Spaß macht. Menschen warten nicht gerne, sie sind ungeduldig, sie wollen sofort eine Lösung haben. Kollektive Verdrängung wäre jetzt aber das Schlimmste. Das habe ich in Fukushima gesehen. Ich habe Angst, dass wir Corona irgendwann verdrängen, dass wir nicht darüber reden, weil wir uns alle nach einer Normalität sehnen, die es vorher gab. Dann werden viele Menschen sterben. Das ist eine fatale Situation.

Und unsere Politiker reagieren nicht angemessen?

Die Politik hält den psychologischen und wirtschaftlichen Druck nicht mehr aus und knickt ein. Und zwar so, dass sie dem Wunsch, endlich wieder raus zu dürfen, den viele haben, nachgibt. Obwohl die Wissenschaft sagt, das ist keine gute Idee. Also beginnt die Politik die Wissenschaft zu diskreditieren. Das ist am Sonntagabend bei Anne Will massiv passiert. Zu einem Grad, der mich erschrocken hat und mich nicht ruhig schlafen lässt. Denn ich möchte betonen, worum es geht: Wenn wir von heutigen Zahlen ausgehen, dass 0,8 der Prozent der Infizierten sterben, dann reden wir in Deutschland von möglicherweise 400.000 Toten. Und im Moment wird das verdrängt, um wieder möglichst schnell Back to Business zu kommen.

Zur Person

Ranga Yogeshwar, geboren 1959 in Luxemburg, studierte Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik. Er arbeitete zunächst als Wissenschaftler, u.a. im Kernforschungszentrum CERN in Genf, später als Wissenschaftsjournalist. Bekannt wurde er als Moderator des WDR-Wissenschaftsmagazins „Quarks&Co“. Für seine Arbeit wurde der 60-Jährige mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, darunter der Deutsche Fernsehpreis und eine Ehrendoktorwürde an der Universität Koblenz-Landau. Yogeshwar lebt mit seiner Familie in Hennef.

Auch Wolfgang Schäuble hat sich einem Interview geäußert. Es sei in der Absolutheit nicht richtig zu sagen, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten. Ist das falsch?

Man sieht einfach die Drehung. Es wird argumentiert, die Wissenschaft habe ja nicht die einzigen Werte, es gebe auch noch andere. Damit unterstellt er, dass die Wissenschaftler nicht auch durchaus über die Folgen und Alternativen nachdenken. Sie sind ja keine kalten Reptilien, die nur in Zahlenwelten leben. Sie haben ein hohes Maß an Empathie und sind keinesfalls weltfremd. Eine Weltfremdheit wird ihnen aber häufig vorgeworfen. Bei Armin Laschet sieht man sogar, dass Wissenschaftler diskreditiert werden. Er behauptet, Virologen änderten alle paar Tage ihre Meinung. Was ist das denn bitte für eine Aussage? Christian Lindner sagt, er schätze die Zahlen anders ein. Das ist totaler Blödsinn.

Was erwarten Sie denn von der Politik?

Ich erwarte, dass Politik eine Dynamik in ihrer zeitlichen Dimension versteht. Schaut, was da gerade passiert und sich klar macht, dass wir in Zeiten der Ungewissheit auf wissenschaftlichen Sachverstand angewiesen sind. In anderen Zeiten kann jeder Politiker gerne nach seinem Bauchgefühl handeln. Aber wir sehen zurzeit weltweit ähnliche Muster. In den USA etwa wird Anthony Fauci von Trump diskreditiert. Das ist kein gutes Beispiel für eine aufgeklärte Gesellschaft.

Wie kann man da gegensteuern?

Ich glaube, man kann es drehen durch klare, wahrhaftige Kommunikation. Ein Politiker muss sich trauen zu sagen, dass es eine Scheißsituation ist, die allen weh tut, aber dass dieser Weg die bessere Option ist. Aber dafür muss man es verstehen und es den normalen Bürgern übersetzen. Gerade auch, weil wir in Zeiten von Fake News in einem Nebel an Desinformation stehen. Momentan erleben wir einen Lackmustest der Politik, der den Unterschied offenbart zwischen einer populistischen Politik, die sich lediglich am Gefühl der Bürger orientiert, und aufgeklärter Führung, die sich gerade in Zeiten der Unsicherheit an Fakten orientiert, auch wenn diese unbequem zu vermitteln sind, und dabei das Wohl der Menschen in den Vordergrund stellt.

Das Gespräch führte Anne Burgmer

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