Leserbriefe zu Aktionen von KlimaaktivistenStraftaten oder legitimer Protest?

Jugendliche Klimaaktivisten posieren in Rom vor einem Gemälde von Vincent von Gogh, das sie mit Erbsensuppe beschmiert haben.
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Wut auf „Ökoterroristen“ berechtigt
Der Beitrag von Stefan Stosch zu Protestaktionen von Klimaaktivisten am Montag vergangener Woche in Berlin ist mehr als zynisch. Die Berliner Polizei hat bereits in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass durch die Straßensperren der selbst ernannten Klimaaktivisten Einsatz- und Rettungsfahrzeuge blockiert werden. Am Montag hat sich diese Warnung bewahrheitet.
Die Berliner Feuerwehr konnte aufgrund der Straßensperre nur sehr zeitverzögert mit schwerem Gerät zu einer Unfallstelle gelangen, wo eine Fahrradfahrerin unter einem Lkw eingeklemmt wurde. Die Fahrradfahrerin ist im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Die Wut auf diese „Ökoterroristen“ ist nicht scheinheilig, sie ist berechtigt. Wer dafür Verständnis zeigt, nimmt derartige Schreckensszenarien billigend in Kauf.Dietmar Dickersbach Troisdorf
Gefährdungspotenzial der Protestaktionen wird übertrieben
Nicht die Klimaaktivisten haben die Radfahrerin in Berlin überrollt, sondern ein Lkw. Dass vielen Firmen 1500 Euro für eine Kameranachrüstung ihrer Lkw zu viel sind und sie eher den Tod eines Menschen in Kauf nehmen, wird dabei nicht thematisiert. Die Kölner Polizei „schult“ häufig und medienwirksam Radfahrer und Radfahrerinnen zum toten Winkel bei Lkw, statt den Druck auf Firmen zu erhöhen, ihre Lkw sicherer zu machen. Günter Hotes Köln
Protest berechtigt, Protestformen strittig
Ich danke Stefan Stosch für seinen Kommentar. Er stellt die aktuelle Aufregung um die Protestform der „Letzten Generation“ ganz unaufgeregt in den richtigen Zusammenhang. Allein der angeregte Perspektivwechsel hilft schon, die Diskussion auf den eigentlichen Kern zu lenken. Vielleicht ist es nur Zufall, dass der Kommentar von Judith von Plato zu den Kita-Schließungen auf derselben Seite mit „Im Nachhinein schlauer“ überschrieben ist. Das mag für die Coronakrise auch stimmen, für die Klimakrise trifft es allerdings definitiv nicht zu! Wir Alten wissen das und deshalb können wir dem Vorwurf der Scheinheiligkeit durchaus zustimmen.
Und Herr Stosch hebt mit seinem Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2020 nicht nur auf die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ab. Er entlässt damit auch die heutigen Entscheider nicht aus der Verantwortung. Genau deshalb unterstützen die „Grannies for Future Köln“ seit 2019 die Bewegung „Fridays for Future“. Gerade auch, weil wir schon in den 70er- und 80er-Jahren zu den Aktivisten und Aktivistinnen gehörten, die Gudrun Hentges im Interview derselben Ausgabe erwähnt. „Junge Menschen haben ein höheres Maß an Sensibilität“ lautet die Überschrift dazu.
Die Wut, die aus dieser großen Sensibilität für die existenzielle Bedrohung der gesamten Menschheit erwächst, ist jedenfalls besser begründet als die Wut über die Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“. Dennoch muss man die Frage der Wirkung solcher Aktionen ernst nehmen. Diese Diskussion führen wir auch bei uns und haben dazu unterschiedliche Positionen.Dieter Gehringer Grannies for Future Köln
Versagen der Politik beim Klimaschutz rechtfertigt Proteste
Herr Stosch beschreibt es in seinem Leitartikel richtig: Wir erleben mit den Klimaaktivisten einen massiven Generationenkonflikt, wie es ihn in diesem Ausmaß vielleicht zuletzt bei den 68er-Studentenprotesten gegeben hat. Nur: Damals ging es eher um die Vergangenheit und Gegenwart, heute um die Zukunft! Wir müssen heute handeln, um künftige Probleme abzuwenden oder zumindest abzuschwächen.
Der Weltklimarat hat es in seinem aktuellen Bericht auf den Punkt gebracht: „Ohne eine sofortige, rasche und umfassende Reduktion der Treibhausgasemissionen wird eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C nicht einzuhalten sein.“ Je geringer die Reduktion der Emissionen ausfällt, desto größer werden die Klimarisiken.
Das erfordert einen Bewusstseinswandel und eine große Bereitschaft zur Veränderung – das bedeutet auch Verzicht auf manch liebgewonnene Annehmlichkeiten. Die Protestierenden merken: Im Moment versagt die Politik beim Thema Klimaschutz (fast) auf ganzer Linie. Deswegen muss der Protest hart bleiben, denn ja: Es ist auch unsere Sache.Thomas Kesseler-Lauterkorn Köln
Deutschland engagiert sich im Klimaschutz – wozu die Proteste?
Niemand, der bei Sinnen ist, leugnet den Klimawandel. Niemand, der bei Sinnen ist, würde bestreiten, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen das derzeit Menschenmögliche unternimmt, um den Klimawandel zu bekämpfen. Dieser Kampf gegen den Klimawandel muss jedoch gelingen, ohne eine Volkswirtschaft wie die deutsche zugrunde zu richten.
Dies haben die jungen, von Sturm und Drang erfüllten Klimaaktivisten noch nicht verstanden oder wollen es nicht verstehen. Und Redakteur Stefan Stosch auch nicht. Statt die von der Rettung der Welt durch Deutschland beseelten jungen Leute in den Arm zu nehmen und zu beruhigen, beteiligt sich der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Hochkochen der Debatte.Günter Grießbach Bedburg
Protestaktionen auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen ausweiten
Ich wohne an der Gesamtschule in Köln-Holweide und erlebe an jedem Schultag, wie Jugendliche der „Letzten Generation“ von der „vorletzten Generation“ mit dem Auto zur Schule gebracht werden. Da sich direkt neben der Schule auch ein Kindergarten befindet und viele dieser Kinder ebenfalls mit Auto gebracht werden, erlebe ich jeden Tag reichliche An- und Abfahrten.
Ich schlage vor, auch an dieser Zufahrtsstraße eine Protestaktion mit Ankleben auf dem Asphalt durchzuführen. Die „Letzte Generation“ könnte damit darauf aufmerksam machen, dass CO2-Reduktion auch in den eigenen Reihen notwendig ist und durch Verzicht auf das Auto ein Beispiel für andere Generationen gegeben wird. Ich weiß, dass an anderen Schulen ähnliche Verkehrszustände herrschen und auch dort sollte man über Anklebe-Aktionen nachdenken.Bernhard Saalfeld Köln
Proteste der Klimaaktivisten sind Straftaten
Irre Extremisten kleben sich auf Straßen fest, schänden Kunstwerke und gefährden Menschenleben. Das sind keine Aktivisten, sondern Straftäter, die leider nicht oder viel zu milde bestraft werden. Und im Leitartikel des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wird Leuten, die das verurteilen, vom Autor Scheinheiligkeit unterstellt.Alfred Pick Bad Münstereifel
„Protestierende machen das nicht zum Vergnügen“
Hurra, Menschen, die unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit auf das Versagen von Politik und Gesellschaft hinweisen, sind auch nicht die Guten, wie komfortabel! Viele Menschen schaffen es immer noch, einen unglaublichen Abstand zur Realität und ihrem Teil der Verantwortung daran zu erhalten. Menschen, die sich auf kalte Straßen setzen, auf Augenhöhe zu bedrohlich großen Motorhauben und sich am Straßenbelag ankleben, also nicht mehr wegkönnen, machen das nicht zum Vergnügen. Die Verzweiflung, die diesen Aktionen zugrunde liegt, ist durch Wissenschaft und den UN-Generalsekretär bestätigt.
Offensichtlich ist es nicht Absicht der Aktivisten, Radfahrer oder sonst wen zu gefährden. Folgte man der Logik, den Aktivisten die Verantwortung zu übertragen für Ereignisse, an deren Ende jemand nicht oder zu spät Hilfe erhält, würde die Möglichkeit für viele Protestformen sehr eingeschränkt. Auch ein Demonstrationszug kann die Anfahrtszeit für Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge verlängern, übrigens auch ein Karnevalszug. Protest muss verantwortlich gestaltet werden, aber ein Legitimationsproblem hat der Protest angesichts dieser Missstände nicht. Sascha Gajewski-Schneck Bergisch Gladbach