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Leserbriefe zum „Titan“-UnglückMediale Aufmerksamkeit übertrieben?

Lesezeit 5 Minuten
Das Tauchboot „Titan “schwebt im Wasser, nah unter der Wasseroberfläche.

Die „Titan“ bot zahlungskräftigen Kunden Tauchfahrten zum Wrack der „Titanic“ an. 

Leser vergleichen die Medienberichterstattung im Fall des Tauchboot-Unglücks im Nordatlantik und der Flüchtlingsboot-Katastrophe im Mittelmeer. 

Gefährliche Grenzgänge – Leitartikel von Imre Grimm (21.6.)

„Titan“- und Flüchtlingsboot-Unglück: Moralischen Kompass neu justieren

Die internationale Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft für und die Berichterstattung über die in einem Spielzeug-U-Boot verunglückten fünf superreichen Adrenalin-Junkies, die sich im Bemühen um öffentliche Anerkennung und Bewunderung, wissentlich und freiwillig in Lebensgefahr begeben haben, steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft und Berichterstattung über die 500 – in Worten: fünfhundert! – Flüchtlinge, die man unter den Augen der Weltbevölkerung und der Küstenwache vor Griechenlands Küste hat ertrinken lassen.

Deren Bemühen, sich, von unermesslicher Not getrieben, in letzter Hoffnung bessere Lebensumstände zu verschaffen, ist kaum zehn Zeilen wert! Liegt es an der kaum zu überbietenden Offensichtlichkeit, dass einem ein solches Missverhältnis nicht in der ersten Sekunde ins Auge fällt? Oder sind wir bereits so abgestumpft gegenüber dem Schicksal der vom Leben Benachteiligten? Wie auch immer, das sollte den Medien und uns allen Anlass sein, unseren moralischen Kompass neu zu justieren. Norbert Lenze Köln

Mediale Aufmerksamkeit für „Titan“-Unglück übertrieben

Bin ich die einzige Leserin, die den nicht nachlassenden, allgegenwärtigen medialen Hype in Fernsehen, Radio, Internet und Zeitung um das verunglückte Tauchboot „Titan“ vollkommen überzogen findet?Was ist passiert? Vier sehr reiche Menschen zahlen freiwillig, aus rein privatem Interesse und in Kenntnis des Risikos jeweils eine Viertelmillion Euro (!) für eine Tauchfahrt zu einem Tiefseefriedhof, zahlen für ein „Abenteuer“ ohne jeden erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen, an dem die Firmeneigentümer in Summe eine ganze Million verdient haben. Wird dieses Geld jetzt eigentlich für die Kosten der Suchaktion genutzt?

Eine Randnotiz hätte mehr als gereicht. Besser noch, man hätte dieses Geschehen behandelt wie den viel zitierten Sack Reis in China
Erika Sander-Kaftan

Das Motiv der Firmenbetreiber: ein sehr lukratives Geschäft. Das Motiv der Zahlenden: Langeweile im Luxusleben? Der ultimative Kick? Kein Plan für eine sinnstiftende Verwendung des angehäuften Reichtums?Warum, frage ich mich, wird dieses Ereignis medial mit solcher Bedeutung, solcher Wichtigkeit aufgeblasen? Was ist der Informationswert einer solchen Nachricht für die Allgemeinheit?

Und vor allem: Welche Wertvorstellungen werden den Nachrichtenkonsumenten und -konsumentinnen durch den großen Raum, der diesem Ereignis gewährt wird, vermittelt? Eine Randnotiz hätte mehr als gereicht. Besser noch, man hätte dieses Geschehen behandelt wie den viel zitierten Sack Reis in China. Erika Sander-Kaftan Köln

Flüchtlingsboot- und „Titan“-Unglück: Messen mit unterschiedlichen Maßstäben?

Da entscheiden sich reiche Menschen, sich in eine Art Tauchboot einschließen zu lassen, um einen Blick auf das Wrack der Titanic zu werfen. Sie geraten in Gefahr und sind tagelang unauffindbar – bei schwindendem Sauerstoff. Zig Schiffe sind unterwegs, um sie zu retten. Natürlich sollen Menschenleben gerettet werden – aber bitte immer und ohne Unterschiede. Für das Flüchtlingsboot vor Griechenland blieb massive Hilfe aus. Werden diese Toten geborgen? Darüber habe ich noch nichts gelesen. Angelica Klein Köln

„Titan“-Unglück: Kein vergleichbarer Rettungsaufwand für Flüchtlinge im Mittelmeer

500 Emigranten ertrinken vor ein paar Tagen im Mittelmeer, die vor Krieg, bitterer Armut und Unterdrückung durch grausamste Bedingungen geflohen sind. Fünf Luxus-Abenteurer geraten in Seenot während einer Sightseeingtour zur „Titanic“. Eine der größten Rettungsaktionen in der Geschichte wird gestartet – nein, nicht um die 500 Flüchtlinge zu retten, die schon vorher ein trauriges Dasein führten, sondern für die fünf Milliardäre und Millionäre, die freiwillig ein Vermögen investiert haben, um die gesunkene „Titanic“ anzusehen und sich dadurch inspirieren zu lassen.

Jeden Tag von neuem das Leid aller anderen Menschen bewusst, gleich und gerecht wahrnehmen und danach handeln
Enrico W. Arndt

Wie viele Nachrichtenagenturen haben die Schicksale von Angehörigen der 500 geflüchteten Familien öffentlich gemacht? Und wie dramatisch wird das Leid der fünf U-Boot-Fahrer in der Presse zelebriert? Welche Anzahl von Leben hätten mit diesem Aufwand wohl im Mittelmeer gerettet werden können? Es mangelt uns nicht an Wissen und Möglichkeiten, aber vielleicht daran, jeden Tag von neuem das Leid aller anderen Menschen bewusst, gleich und gerecht wahrzunehmen und danach zu handeln. Enrico W. Arndt Heidelberg

Flüchtlingsboot- und „Titan“-Unglück nicht vergleichbar

Mir erschließt sich der Vergleich der medialen Aufmerksamkeit für die zwei schrecklichen, beschriebenen Unglücke nicht. Und auch nicht die Wertung des Autors Imre Grimm zur medialen Aufmerksamkeit. Beide Ereignisse fanden sich gleichermaßen auf allen Titelseiten der Tageszeitungen und sind nicht miteinander zu vergleichen. Zutiefst erschreckend finde ich, von „Ersaufen“ zu sprechen. Das ist eine tiefe Respektlosigkeit gegenüber den Opfern und eine sprachliche Entgleisung im Zusammenhang mit einer solchen menschlichen Tragödie.Jutta Troost Köln

Wenig Mitleid für „Titan“-Opfer

Herzlichen Dank und Anerkennung, Imre Grimm, für Ihren Kommentar „Vertraue keiner Technik blind“. Ihren Ausführungen könnte man noch hinzufügen, dass die Tauchaktion in keiner Weise Positives für die Menschheit zum Ziele hatte. Es ging ausschließlich ums Geschäft des Veranstalters, um den Nervenkitzel der Taucher und nachfolgend um die bewundernden Blicke für Leute, die mit ihrem vielen Geld offenbar nichts Sinnvolleres anzufangen wissen. Hans Peter Schmitz Bergisch Gladbach

„Titan“-Unglück: Zu hohe Risikobereitschaft

Angesichts der Tragödie der „Titan“, für die Menschen mal eben 250.000 Euro übrig hatten, um sich „touristisch“ in unsinnige Gefahren zu begeben – demnächst wohl auch noch als „Reisende“ zum Mond oder gar Mars – fielen mir spontan zwei Schiller-Zitate ein: „Da unten aber ist’s fürchterlich, und der Mensch versuche die Götter nicht“ aus dem Gedicht „Der Taucher“ und „Mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten, und das Unglück schreitet schnell“ aus dem Gedicht „Die Glocke“. In diesem Fall waren es Millisekunden! Und man komme mir nicht mit „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“: Es gibt Ziele, die gefahrloser, erreichbarer, lohnender sind. Dr. Wieland Schmidt Köln