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LesermeinungenSPD-Manifest: Glaubwürdige Friedensinitiative oder Realitätsverweigerung?

Lesezeit 8 Minuten
Rolf Mützenich (l.) und Norbert Walter-Borjans stehen vor einem rotgründigen Hintergrund. Walter-Borjans hat ein Mikrofon in der Hand und spricht, Mützenich hört zu.

Rolf Mützenich (l.) und Norbert Walter-Borjans gehören zu den Unterzeichnern des SPD-Manifests für „Friedenssicherung in Europa“

Das Friedens-Manifest der SPD entfacht Kontroversen – auch unter Leserinnen und Lesern.

Das Manifest zur „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ von prominenten SPD-Mitgliedern wie Rolf Mützenich, Ralf Stegner und Norbert Walter-Borjans, das zu einer „Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung“ gegenüber Russland aufruft, hat zum Streit innerhalb der SPD geführt. Die Meinungen von Leserinnen und Leser über die Aussagen des Manifests reichen von „gutgläubig“ und realitätsfremd über „irrelevant“ bis zu ernstzunehmender Friedensinitiative.

SPD-Manifest realitätsfern: Russland nicht zu Friedensgesprächen bereit

Leider erinnert das jetzt von einigen Politikern der SPD vorgestellte „Manifest für Friedenssicherung“ nicht nur dem Namen, sondern auch dem Inhalt nach an das im Februar 2023 von Sahra Wagenknecht und anderen veröffentlichte „Manifest für Frieden“. Boris Pistorius wirft den Autoren zu Recht „Realitätsverweigerung“ vor. Wenn diese dagegen halten, es sei nicht realistisch, von Russland zu erwarten, dass es die besetzten Gebiete der Ukraine zurückgibt, so haben beide recht.

Beide Seiten schätzen also die Realität richtig ein, Pistorius bezieht sich allerdings richtigerweise auf die Gegenwart und die augenblickliche Lage und nicht auf die Zukunft, wie die Autoren des Manifests. Wenn diese davon ausgehen, dass Russland seine Expansion mit imperialen Ideen nicht zurücknimmt und sie im Gegenteil sogar fortsetzt, sollten sie bedenken, dass wir zu einem Russland, das eine solche Politik verfolgt, keine gedeihlichen Beziehungen entwickeln können.

Deswegen müssen wir in erster Linie der Aggression Russlands entgegentreten. Welche Beziehungen wir zu Russland nach Kriegsende haben werden, kann jetzt noch kein Thema sein. Ernst-Wilhelm Rietschel Köln

Verhandlungen mit Russland: „Je früher, desto besser“

Im „Manifest“ ist die Rede davon, „notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen“. Was soll daran falsch sein? Selbst mit einem Kriegsverbrecher müssen irgendwann Verhandlungen geführt werden. Je früher, desto besser. Der Fortgang des Krieges kostet tausende vermeidbare Tote und Verwundete auf beiden Seiten.

Friedensfähigkeit gehört zum Wesenskern der Sozialdemokratie. Die veröffentlichte Meinung und auch die der meisten zurzeit in der SPD Verantwortung tragenden Köpfe, allen voran Verteidigungsminister Pistorius, scheinen nur den Weg der Konfrontation zu kennen und sind somit mitverantwortlich für die Eskalation und Verlängerung des Krieges. Bernd Pniewski Köln

Unterzeichner des SPD-Manifests: Geschichtsvergessen

Seit mehr als drei Jahren führt Russland mit Putin als oberstem Kriegsverbrecher und seiner weiteren Entourage um Medwedew, Lawrow, Peskow einen Angriffskrieg gegen die Ukraine – mitten in Europa. Die Herren Stegner, Mützenich und die anderen Unterzeichner des „Manifests“ entblöden sich nicht, eine Annäherung an Putins Russland zu fordern! Die Unterzeichner sollten ihre Argumente in Moskau auf dem Roten Platz und im Kreml vorbringen und den dringend benötigten Friedensprozess ankurbeln.

Jedwede Verhandlungen sind bisher an der maximalen Forderung Russlands – Kapitulation der Ukraine – gescheitert
Berend Neuen

Allerdings sind jedwede Verhandlungen bisher an der maximalen Forderung Russlands – „Kapitulation der Ukraine“ – gescheitert. Die Unterzeichner des „SPD-Manifests“ erscheinen mir völlig geschichtsvergessen, gerade als Deutsche. Der Schwerstkriegsverbrecher und Massenmörder Adolf Hitler konnte nur durch eine konzertierte Aktion aller freien Länder dieser Welt gestoppt werden. Und davon profitieren wir heute noch – es lebe unsere Freiheit in Deutschland. Berend Neuen Köln

SPD-Manifest: Friedensinitiative eine Chance geben

Das Friedens-Manifest aus SPD-Kreisen mit vielen Unterstützern verdient weite Verbreitung. Eine Diskussionskultur zu fördern, die auch die von der großen Linie abweichenden Initiativen und Gedankenansätze zulässt und wertschätzt, hat aus meiner Sicht oberste Priorität. Angesichts einer sehr prekären Weltlage sollte jede Friedensinitiative seriös ausgewertet und ihre Chance ausgelotet werden, um zu einer neuen europäischen und globalen Sicherheitsordnung beizutragen. Julia Lang Neunkirchen-Seelscheid

Verfasser des SPD-Manifests gutgläubig und realitätsfern

Danke für den deutlichen Leitartikel von Can Merey. Ich bin auch für Friedensverhandlungen und für eine Waffenruhe. Aber hinterfragen die Verfasser des Manifests nicht, wer im Grundsatz beides nicht will und auch so handelt? Sind es die Europäer oder die Ukrainer? Nein, es ist Putin in seinem Großmachtstreben. Man muss nur Putins Reden und seine veröffentlichten Aufsätze lesen, um zu erfahren, was er mit der Ukraine vorhat:

Die Ukraine muss vom Kiewer „Nazi-Regime“ befreit und einer totalen Säuberung unterzogen werden. Zwischen Soldaten und Zivilisten ist nicht zu unterscheiden. Die Elite muss eliminiert, die Bevölkerung bestraft und ent-ukrainisiert werden. Sehen die gutgläubigen Verfasser des Manifests nicht, dass Putin in seinem Angriffskrieg dabei ist, seine Ziele durchzusetzen? Wann liefert der Westen endlich die Waffen, die die Ukraine benötigt, um sich gegen die jede Nacht stattfindenden Drohnen- und Raketenangriffe auf die Zivilbevölkerung zu schützen? Albrecht Aurand Köln

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, spricht vor diversen Mikrofonen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnete das Manifest von SPD-Parteikollegen als „Realitätsverweigerung“.

SPD-Manifest: Gespräche sind weiterer Konfrontation vorzuziehen

Für Can Merey scheint offenkundig: Mit Russland kann man nicht verhandeln, denn Russland will die Kapitulation der Ukraine. Was aber will die Ukraine, unterstützt von Europa? Die Kapitulation Russlands? Wo ist die Ukraine bereit, sich zu bewegen? Davon höre ich nichts. Wie soll es aber dann weitergehen? Weiter Waffen einsetzen und weiteres Sterben, mit der Hoffnung auf die Kapitulation Russlands? Welch ein Unsinn, da ist mir das Manifest der SPD tausendmal lieber, weil realistischer. Bruno Eickholt Köln

SPD-Manifest bringt Sachlichkeit in die aufgeheizte Rüstungsdebatte

Niemand wird bestreiten, dass sich die Sicherheitslage in Europa tiefgreifend verändert hat. Die in den Raum geworfenen Zahlen von 3, 5, 4 oder sogar 5 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts, die für die Rüstung ausgegeben werden sollen, scheinen mir aber maßlos und nicht auf einer vernunftbasierten Analyse der tatsächlichen Bedrohung zu beruhen.

Insofern ist das „Abrüstungsmanifest“ prominenter Sozialdemokraten ein diskussionswürdiger Beitrag, wie wieder etwas Augenmaß und Sachlichkeit in die aufgeheizte Diskussion gebracht werden kann. Auch wenn sich Nato und Russland derzeit scheinbar hoffnungslos verkeilt haben – irgendwann werden sie schon aus nacktem Eigeninteresse wieder miteinander reden müssen. Uwe Hass Köln

„Um Menschenleben zu retten, auch mit dem Teufel reden“

An welchen Stellen hat Politik nicht mehr friedenssichernd gehandelt, sodass wir uns heute in einem solchen Zustand von Angst und Ressourcenvernichtung – denn nichts anderes ist Krieg – befinden? Solche Diskussionen sind wichtiger als das Planen von Bunkern, die uns im Endeffekt sowieso nicht mehr helfen werden. Vielleicht hilft das Manifest der SPD-Mitglieder dazu, sich dieser Frage endlich zu stellen. Denn ohne dieses Wissen können wir nicht umsteuern.

Und ohne eine Auseinandersetzung um den richtigen Weg zum Frieden werden wir wahrscheinlich den falschen wählen. Und wenn das alles nichts hilft, dann sei an die Worte eines kolumbianischen Bischofs, der in die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla eingebunden war, erinnert: Wenn es auch nur ein Menschenleben rettet, dann rede ich auch mit dem Teufel. Michael Liß Sankt Augustin

SPD-Friedens-Manifest: Viel Lärm um nichts

Da schreiben einige, in ihrer Partei bedeutungs- und einflusslose Politiker ihre Überlegungen zu einer Konfliktlösung zwischen Russland und der Ukraine auf. Die Forderungen dieser Politiker sind angesichts des Desinteresses Putins an einer Kompromisslösung irrelevant und widersprechen auch der Ansicht des überwiegenden Teils der Bevölkerung.

Da die in der Regierung vertretenen Politiker der SPD den Inhalt des Manifests nicht im Geringsten teilen, erscheint mir der Untertitel des Artikels von Can Merey: „Das perfide Papier aus der SPD hintertreibt die Politik der Bundesregierung und schadet dem deutschen Interesse“ übertrieben. Hier wird ein Problem hochgeschrieben, das in Wirklichkeit keins ist. Schon in der nächsten Woche wird die Aufregung darüber vergessen sein! Wilfried Merg Leverkusen

Dank an Rolf Mützenich: Spirale der Gewalt stoppen

Ich danke Herrn Mützenich für den Mut, dieses Manifest zu veröffentlichen. Mit großer Sorge beobachten ich und viele Freunde, Mitbürger und Mitbürgerinnen die rasante Entwicklung einer Politik zur „Kriegstüchtigkeit“. Es ist unfassbar, mit wem auf dieser Welt gesprochen wird, wie Syrien, und mit wem nicht. Wir wollen diese Politik nicht. Wir Mütter werden unsere Söhne, Männer und auch Töchter nicht einem Krieg opfern, der vermeidbar ist.

Sich für Frieden und gegen weitere Eskalation einzusetzen ist der einzig menschliche Weg
Stephanie Schütz

Warum so sehr in Richtung Eskalation gedrängt wird, ist genau zu analysieren. Hier gilt es die Frage zu beantworten, die Cicero bereits 80 vor Christus stellte: Cui bono? Wem nützt es? Es werden nicht die ukrainischen, russischen und europäischen Bürger sein, die bereits zwei Weltkriege erleiden mussten. Schicken diejenigen, die diese Eskalation vorantreiben, ihre Söhne an die Front? Sicher nicht, das war noch nie so. Es muss alles getan werden, um diese Spirale der Gewalt zu stoppen. Krieg ist nie alternativlos. Sich für Frieden und gegen weitere Eskalation einzusetzen ist der einzig menschliche Weg. Stephanie Schütz Köln

SPD-Manifest: Statt Konfrontation mehr Annäherung wagen

Da gibt es Menschen in der SPD, die sich trauen, ihren Blick auf das Handeln und Denken unserer Politiker zu erweitern, von einer überwiegend einseitigen Sicht der Demonstration der Stärke und Kriegsvorbereitungen zu mehr diplomatischer Annäherung an Russland. Ob das nun eine Verkennung der Realität ist, müsste bewiesen werden. Aber: Die Realität des Krieges von Russland gegen die Ukraine ist erschreckend.

Es kann aber nicht darum gehen, sich einfach einer sogenannten Realität anzupassen – Realitäten sind auch veränderbar und nicht nur durch Gewalt. Das hat auch schon in der Politik Mauern einstürzen lassen! Perfide ist es, den Verfassern des Manifestes zu unterstellen, sie würden einen Gegensatz provozieren zwischen der „Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen“ und den „berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität“ Interessierten. Gemeint ist wohl die derzeitige Politik. Die Verfasser des sogenannten Manifestes sprechen aber von „Verknüpfung“. Hat Can Merey das in seinem Kommentar übersehen? Edeltraud Nölkensmeier Köln