Kolumne zur WMFans in der Schweigespirale

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Das gemeinsame ARD-ZDF-WM-Studio für die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar auf dem Gelände des Zweiten auf dem Mainzer Lerchenberg.

Blick in das TV-Studio von ARD und ZDF zur Weltmeisterschaft in Katar.

Die Kritik an der WM in Katar führt dazu, dass viele Fußball-Fans nur heimlich die Spiele im Fernsehen verfolgen. Doch so entstehen Schweigespiralen. Und das Gefühl, nicht für seine Meinung einstehen zu können, hat fatale Folgen.

Diese WM schaut man besser heimlich. Zumindest fühlt es sich für eingefleischte Fußballfans zurzeit so an. Wer zugibt, dass er ein Spiel der umstrittenen Fußballweltmeisterschaft in Katar anschaut, wird schräg angeschaut. Für Millionen Menschen ist das ein Anlass, zwar nicht auf Fußball zu verzichten, aber durchaus auf das Gespräch darüber. Wenn Menschen ihre eigentliche Position oder Überzeugung nicht vortragen, weil sie das Gefühl haben, mit ihrer Position in der Minderheit zu sein, dann ist das der Anfang einer Schweigespirale.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann hat die gleichnamige Theorie dazu entwickelt. Sie bemerkte, dass Menschen im Alltag stets so etwas Ähnliches wie Sozialforschung betreiben. Sie beobachten, was andere in ihrem Umfeld und in den Medien öffentlich als Meinung vortragen und überprüfen daran, welche Meinung die Mehrheit hat. Wenn man selbst mit seiner Meinung in der Mehrheit ist, dann trägt man diese laut vor. Wähnt man sich in der Minderheit, dann schweigt man lieber.

In der Folge kommt es wie bei einer Spirale dazu, dass immer mehr von der Mehrheitsmeinung und immer weniger von der Minderheitsmeinung vorgetragen wird. Die Kritik an dieser WM war und ist in den vergangenen Wochen überdeutlich zu hören: Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Katar, Kritik am Austragungszeitraum in der dunklen Jahreszeit, Kritik an gekühlten Stadien mitten im Klimawandel, Kritik an Arbeitsbedingungen beim Stadionbau mit Hunderten Toten.

Wer Spiele schaut, macht es eher heimlich

Fast jeden Tag kann man in den Medien sehen, hören und lesen, was alles falsch ist an der WM im Wüstenstaat. In der Folge liegen die Deutschlandfahnen als Ladenhüter in den Regalen. Wer hängt sich schon eine Fahne an den Balkon, wenn er damit rechnen muss, von den Nachbarn als gewissen- oder skrupellos kritisiert zu werden? Auch die Fußballkneipen bleiben leer.

Wer WM-Spiele schaut, macht es eher heimlich. Das alles bedingt zweierlei: Erstens kommt es durch die beständige Kritik tatsächlich dazu, dass immer weniger Menschen etwas von der WM halten, wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelte. 56 Prozent der Deutschen finden es mittlerweile „klar falsch“, dass die WM in Katar überhaupt stattfindet. Nur noch vier Prozent finden es „klar gut“.

Ein fatales Gefühl

Der Rest liegt dazwischen. Sprich, die Schweigespirale, die zur immer größeren Dominanz einer Meinung führt, dreht sich auch hier. Zweitens verstärkt sich bei denjenigen, die trotzdem jetzt gerade gerne Fußball schauen und gerne über Fußball sprechen, das Gefühl, sie könnten dafür nicht mehr einstehen. Dieses Gefühl aber ist fatal.

Es drängt Menschen gefühlt an den Rand der Gesellschaft, die sich eben noch ganz in deren Mitte fühlten. Für mich ist das alles ein Dilemma: Ich bin, was diese Weltmeisterschaft betrifft, mit meiner Meinung gerade auf der Seite der Mehrheit.

Ich finde die WM in Katar nicht gut, und ich möchte das auch laut sagen können. Gleichzeitig möchte ich Menschen ermutigen, die anderer Meinung sind, das ebenso klar sagen. Also: Wenn Sie sich für die Spiele in Katar begeistern, sprechen Sie es gerne aus! Auf gute Diskussion!

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