„Wie man einen Menschen bestattet, hat damit zu tun, wie man den Menschen sieht“, schreibt Theologe und Psychiater Dr. Manfred Lütz in einem Gastbeitrag über neue Bestattungsregeln.
Manfred LützVaters Asche auf dem Kaminsims

Eine Urne mit der Asche eines Verstorbenen steht bei einem Bestatter neben einer Kerze und einer Engelsfigur. (Symbolbild)
Copyright: Patrick Seeger/dpa
November ist der Totengedenkmonat. Die Katholiken starten mit Allerseelen am 2. November, wofür sie tags zuvor an Allerheiligen die Gräber vorbereiten. Der Staat begeht kurz darauf den Volkstrauertag, und dann ist da noch der Totensonntag der Protestanten, der in diesem Jahr auf den 23. November fällt.
Doch neuerdings gerät mit dem traditionellen Gedenken etwas ins Rutschen. Im Oktober hat das Land Rheinland-Pfalz seine Beerdigungsordnung „liberalisiert“. Liberalisierung ist ja eigentlich immer gut. Jedenfalls klingt es danach: fortschrittlich, modern. Doch stimmt das auch für die Regelungen des kleinen, verschlafenen Bundeslands zu Totenruhe? Nach der Entscheidung des Landtags in Mainz darf man mit dem verblichenen Vater künftig so ziemlich alles machen. Man kann ihn aschegeworden auf den Kaminsims stellen, ihn im Garten verbuddeln oder vielleicht sogar zusammen mit Heroin schnupfen, wie Keith Richard es vor Jahren makabrer Weise von sich berichtete.
Rheinland-Pfalz liberalisiert Bestattungen und löst Debatte über Menschenwürde aus
In Nordrhein-Westfalen gibt es immerhin noch gewisse Beschränkungen. Es herrscht grundsätzlich „Friedhofszwang“, aber diese Regeln könnten vielleicht auch bald dem Trend zum Opfer fallen. Und warum eigentlich nicht? Spontan wird wahrscheinlich jeder denken, dass ein Befreiungsschlag wie in Rheinland-Pfalz super ist, weil der Staat den Leuten in einem so ganz persönlichen Bereich möglichst überhaupt nichts vorschreiben sollte. Dass es für die bisherigen Bestattungsvorschriften möglicherweise gute Gründe gegeben haben könnte, kommt vielen überhaupt nicht in den Sinn.
Alles zum Thema Römisch-katholische Kirche
- Manfred Lütz Vaters Asche auf dem Kaminsims
- Bandenkriminalität Entführung Hunderter Kinder schockiert Nigeria – 50 Kindern gelingt die Flucht
- Inhaftierte Belarus: Lukaschenko begnadigt 31 Ukrainer
- Spekulationen um Ehe-Aus JD Vance spricht über Differenzen – Ehefrau ohne Ehering gesichtet
- Versteigerung Auktion: Kamera von Ex-Papst bringt 6,5 Millionen Euro
- Bandenkriminalität 303 Kinder aus katholischer Schule in Nigeria entführt

Dr. Manfred Lütz ist Theologe, Psychiater und Psychotherapeut. Das Bild zeigt ihn bei einer Lesung aus seinem Buch „Der Sinn des Lebens“. (Archivbild)
Copyright: Imago/ Karl Banski / FUNKE Foto Services
Wie man einen Menschen bestattet, das hat auch etwas damit zu tun, wie man den Menschen sieht. Schätzt man einen Hässlichen höher ein als eine schöne Orchidee, einen widerwärtigen Querulanten höher als einen süßen Koalabären oder einen schrumpeligen Alten höher als einen eleganten Gepard? Die Frage stellt sich, seit es Menschen gibt. Aber seit wann gibt es überhaupt Menschen? Wie können Archäologen feststellen, ob es sich bei irgendwelchen uralten Knochen noch um eine affenähnliche Vorform des Menschen handelt oder doch schon um den Homo sapiens sapiens?
„Die reine Privatisierung nimmt den Umgang mit Toten aus der Gemeinschaft heraus“
Damit sind wir wieder mitten in Rheinland-Pfalz. Denn von der Spezies Mensch gehen Archäologen bei einem „Tier“ aus, das seinesgleichen bestattet. Um da den griechischen Philosophen Aristoteles (384 bis 322 vor Christus) zu zitieren, der den Menschen als „animal rationale“ bezeichnete, als „vernünftiges Tier“. Unsere ersten Urahnen müssen im Kontakt miteinander irgendwann erstmals das Gefühl bekommen haben, dass da etwas existiert, was nicht einfach mit dem Tod aus und vorbei ist. Es gab also in der Geschichte der Menschheit beim Umgang mit menschlichen Leichen schon immer eine respektvolle Scheu, die sich in unterschiedlichen Riten äußerte.
Gewiss könnte auch die väterliche Asche auf dem Kaminsims vom Respekt vor dem Vater künden. Doch die reine Privatisierung nimmt den Umgang mit toten Menschen aus der gemeinschaftlichen Erfahrung heraus, wie sie in gesellschaftlich eingebürgerten Ritualen zum Ausdruck kommt. Der Mensch ist ein soziales Wesen, ohne Gemeinschaft könnte er gar nicht existieren. „Ich möchte eines Tages nicht auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein“, dieser oft gehörte Spruch klingt rücksichtsvoll, in Wirklichkeit tendiert eine solche Haltung zur Menschenverachtung. Denn während jemand das sagt, ist er selbst ja angeblich nicht auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen – der Behinderte in der Nachbarschaft, die alte Frau oben im Haus, das Kind der alleinerziehenden Mutter aber sehr wohl.
Wer mit der Asche Schabernack treibt, riskiert Respektlosigkeit gegenüber den Lebenden
In Wirklichkeit ist dieser Satz auch ganz falsch, denn jeder Mensch ist auf die Hilfe anderer angewiesen. Sie, liebe Leser, könnten diesen Text nicht lesen, wenn es nicht Redakteurinnen, Drucker und Kioskverkäuferinnen gäbe. Am Anfang des Lebens ist man etwas mehr auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen, am Ende des Lebens auch wieder – und in der Mitte kann man denen am Anfang und am Ende helfen. Das nennt man Menschlichkeit.
„Die Würde des Menschen ist antastbar“, das war vor Jahren der Titel eines Buches. Es artikulierte die Sorge, dass Behinderte, Alte, Kranke und andere Menschen, die nicht im Licht stehen, immer weniger als gleichberechtigte Menschen respektiert würden; dass ihnen der gesellschaftliche Schutz immer mehr entzogen werden könnte. Und da wird die Bestattungskultur dann doch wichtig. Wenn man nämlich mit der Asche von Menschen jeden beliebigen Schabernack treiben kann, dann mag man auch mit lebenden Menschen respektloser umgehen.
Die Kriegsgräberfürsorge gemahnt mit liebevoller Pflege der Gräber von namenlosen oder längst vergessenen Gefallenen an die Würde auch dieser Menschen, die eben nicht bloß „Kanonenfutter“ gewesen sein sollten. Der Auschwitzüberlebende Jehuda Bacon erzählte mir einmal, dass er sich nach dem Erlebnis der Entmenschlichung in Auschwitz, wo er im Winter die Asche der ermordeten Juden auf die vereisten Gehwege streuen musste, an feierliche Beerdigungen erst wieder gewöhnen musste. Ist es da wirklich ein Fortschritt, wenn der Gesellschaft der Umgang mit toten Menschen gleichgültig wird?
Von unserem Autor erschien 2024 der Band „Der Sinn des Lebens“. Mit einem Geleitwort von Elke Heidenreich, Verlag Kösel, 30 Euro.

