„An jedem Bahnhof“Fiebersaft ausverkauft – Spott über Vorschlag zu „Medikamenten-Flohmarkt“

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Fiebersäfte für Kinder, links mit dem Wirkstoff Paracetamol, rechts mit dem Wirkstoff Ibuprofen

Fiebersäfte für Kinder, links mit dem Wirkstoff Paracetamol, rechts mit dem Wirkstoff Ibuprofen

In Deutschland ist derzeit nur schwer an Medikamente zu kommen, insbesondere Fiebersaft für Kinder ist rar. Ein Vorschlag des Ärztepräsidenten stößt aber auch nicht auf Gegenliebe.

In Deutschland ist die Lage im Gesundheitswesen derzeit angespannt. Einige Krankenhäuser sind wegen der Krankheitswelle und fehlenden Personals an ihren Kapazitätsgrenzen. Insbesondere bei Kinderkliniken ist die Lage teilweise dramatisch. Neben Corona- und Grippefällen führt vor allem das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) zu schweren Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen.

Aber auch, wenn die Situation mit den erkrankten Kindern noch nicht so schlimm ist, dass sie ins Krankenhaus müssen, gibt es derzeit Probleme in vielen Familien, denn es fehlt an geeigneten Medikamenten. Verschiedene Arzneien sind derzeit nicht verfügbar, insbesondere bei Fiebersäften gibt es Lieferengpässe. Anders als Erwachsene können kleine Kinder noch keine Tabletten schlucken und sind auf diese Mittel angewiesen. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte.

Zu den Problemen kommt es wegen unterbrochener Lieferketten, vor allem die Abhängigkeit von der Produktion in Billiglohn-Ländern wie China oder Indien wird als schwierig erachtet.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt will „Flohmärkte“ für Medikamente

Um den Engpässen zu begegnen, hatte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am Wochenende angeregt, sich im Familien- und Freundeskreis mit Medikamenten auszuhelfen. Er hatte dem „Tagesspiegel“ gesagt: „Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“

Das Stichwort von den Flohmärkten fiel Reinhardt schnell auf die Füße. Insbesondere Apotheken widersprachen Reinhardt heftig. Sie warnten vor der Abgabe bereits verfallener Medikamente. „So treibt man Menschen in gefährliche Arzneimitteleinnahmen, löst aber keine Lieferengpässe“, erklärte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Gabriele Regina Overwiening. Auch der Präsident der Bundesapothekerkammer, Thomas Benkert, zeigte sich schockiert von dem Vorschlag. „Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel“, sagte er.

Die Bundesärztekammer ruderte am Montag zurück und präzisierte, dass nur nicht-verschreibungspflichtige, originalverpackte Arzneimittel gemeint gewesen seien. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung warnte auf ihrem Twitter-Kanal unterdessen genau davor.

KBV-Chef Andreas Gassen spielte den Ball an das Bundesgesundheitsministerium zurück und forderte Maßnahmen von Karl Lauterbach wie zu Beginn der Corona-Pandemie, als auf dem Weltmarkt knappe Materialien wie Masken und Schutzkleidung schnell beschafft werden mussten.

Twitter-User spotten über „Medikamentenflohmarkt“

In den sozialen Netzwerken macht der Hashtag #medikamentenflohmarkt die Runde. „Einen #Flohmarkt für #Medikamente? Den gibt's doch an jedem Bahnhof..“, schreibt ein User bei Twitter. Der Vorschlag sei ein Armutszeugnis für ein Land, in dem man jahrelang Pharmazie studieren müsse, um eine Apotheke betreiben zu dürfen.

Andere User wollen ihre uralten Drogen-Fundstücke an den Meistbietenden versteigern. Auch andere Tauschgeschäfte werden angeboten: „Biete Asthmaspray, Cortison, Opiate, Herz- und Blutdrucktabletten und Spritzen zur Thromboseprophylaxe. Suche irgendwas gegen schlechte Laune“, schreibt eine Twitter-Nutzerin.

Auch diese Idee erscheint in der Weihnachtszeit sinnvoll:

Ärzte weisen darauf hin, dass sie selbst überhaupt keine angebrochenen Arzneimittel abgeben dürfen. Es sei absurd, dass nun Laien dazu aufgefordert würden: „Bekomme ab und zu von Patienten nicht mehr benötigte Restpackungen von noch nicht abgelaufenen Medikamenten. Aber selbst intakte Blisterstreifen darf ich nicht abgeben. Könnten ja manipuliert sein.. Kann man sich nicht ausdenken“, schreibt Hausarzt Michael Gurr. Auch vom Bundesgesundheitsministerium kam inzwischen Ablehnung zu dem Vorstoß von Reinhardt. Der Vorschlag der Bundesärztekammer ziele „nicht auf gesetzliches Handeln“ ab, sagte eine Sprecherin.

Für eine temporäre Lösung zumindest des Problems des fehlenden Fiebersafts könnten die Apotheken sorgen: Mit zermörserten Tabletten und Sirup können Pharmazeuten selber Fiebersaft herstellen. (mit dpa)

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