„Sie ist verängstigt“Anwalt spricht erstmals über Attendorn-Mutter

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Ein Luftbild zeigt Attendorn von oben.

In der Innenstadt von Attendorn, 900 Meter vom Rathaus entfernt, wurde das acht Jahre alte Mädchen fast ihr gesamtes Leben lang festgehalten.

Erstmals spricht der Anwalt der Mutter, die ihre Tochter fast deren gesamtes Leben in ihrem Haus in Attendorn versteckt gehalten haben soll. Er sagt: „Wir haben es mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind liebt“

Im Fall des mutmaßlich jahrelang festgehaltenen Mädchens aus Attendorn hat sich jetzt erstmals der Anwalt der beschuldigten Mutter zu Wort gemeldet. Demnach hat ihr vor allem die Medienpräsenz vor Ort sehr zugesetzt. „Die Art und Weise wie das Haus belagert wurde, hat sie verängstigt“, sagte Peter Endemann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Seine Mandantin sei eine normale Frau ohne psychische Beeinträchtigung. „Wir haben es hier mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind liebt.“ Zuerst hatte die „Westfalenpost“ berichtet. Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt gegen die Mutter und die Großeltern wegen Misshandlung Schutzbefohlener und Freiheitsberaubung. Zu einem Vernehmungstermin sind sie nicht erschienen.

Der Frau wird vorgeworfen, ihre heute acht Jahre alte Tochter nahezu deren ganzes Leben lang im Haus der Großeltern in Attendorn versteckt gehalten zu haben. Nach bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft konnte sich das Mädchen im Haus zwar frei bewegen, hatte aber keinen Kontakt zur Außenwelt, besuchte weder Kita noch Schule, war sozial isoliert.

Es dauerte fast sieben Jahre, bis die Lüge auffiel

Den Behörden hatte sie während eines Sorgerechtsstreits mit dem Vater im Jahre 2015 mitgeteilt, nach Italien umziehen zu wollen und auch eine Adresse hinterlassen. Allerdings dauerte es fast sieben Jahre, bis die Lüge auffiel. Ein durch das Jugendamt gestelltes Amtshilfeersuchen im Sommer 2022 hatte schließlich ergeben, dass Mutter und Kind nie in Italien wohnten. Am 23. September dieses Jahres durchsuchte die Polizei das Haus der Großeltern in Attendorn und fand das Mädchen. Es lebt seither bei einer Pflegefamilie und erhält psychologische Unterstützung.

Der Kindsvater hatte der Mutter nach der Befreiung des Mädchens über seinen Anwalt schwere Vorwürfe gemacht. Die beiden hatten sich nach der Geburt der gemeinsamen Tochter getrennt. Wenige Monate später habe sie ihm plötzlich den Umgang verweigert, Nachrichten und Anrufe nicht mehr beantwortet, und sei dann angeblich nach Italien verzogen. Der Vater ging vor Gericht, das ihm im Februar 2016 das geteilte Sorgerecht zusprach. Zu diesem Zeitpunkt aber waren Mutter und Tochter offenbar längst abgetaucht.

„Diese Sicht der Dinge ist sehr einseitig“, sagte Endemann dieser Zeitung. „Aber aus gutem Grund werden wir uns an dieser Schlammschlacht nicht beteiligen.“ Auch zu den Motiven der Mutter wollte sich der Anwalt mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern. Man werde zu gegebener Zeit eine ausführliche Stellungnahme abgeben. Zunächst aber müsse er Einblick in die Ermittlungsakte nehmen, die er nächste Woche erwarte, sagte Endemann.

Durch den Fall ist auch das zuständige Jugendamt in die Kritik geraten. Bereits im Oktober 2020 war dort der erste anonyme Hinweis eingegangen, der auf den wahren Aufenthaltsort von Mutter und Kind hindeutete. Bis zum Sommer 2022 folgten weitere anonyme Brief und Anrufe. Die Mitarbeitenden gingen den Hinweisen zwar nach, sprachen auch mehrmals an der Haustür mit den Großeltern, ließen sich aber immer wieder abwimmeln.

Polizei lehnte Hausdurchsuchung ab

Eine Kontaktaufnahme mit dem Vater des Mädchens scheiterte, weil er nach Angaben des Jugendamts auf einen Brief nicht antwortete und bei einem persönlichen Besuch nicht angetroffen wurde. Im Oktober 2021 lehnte die Polizei eine Hausdurchsuchung auf Anfrage des Amts ab. Laut eines Gedächtnisprotokolls einer Polizeibeamtin seien die damals angegebenen Informationen unzureichend gewesen.

Erst der Anruf eines Ehepaars aus der Region, das sich mit Namen zu erkennen gab, brachte das Amt dazu, bei den italienischen Behörden nachzufragen. Ob das Jugendamt viel früher und entschiedener hätte eingreifen müssen, ist Gegenstand der Ermittlungen. Die Vernehmung der zuständigen Mitarbeitenden ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft in den kommenden Wochen geplant.

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