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AttraktionBernstein-Sammler stürmen Kaliningrad

Lesezeit 4 Minuten

Bernstein

Moskau – In Kaliningrad ist das Bernsteinfieber ausgebrochen. Die Stürme zum Jahresbeginn über der Ostsee haben riesige Mengen des Schmucksteins an den Strand gespült. Touristen und Einheimische sind auf der Bernsteinsuche.

Aber auch Dutzende professioneller und halbprofessioneller Bernsteinsammler sind unterwegs. Sie stürzen sich im Neoprenanzug und mit einem Kescher bewaffnet in die stürmische See, um im Tang am Grund nach Bernstein zu fischen. Von den hohen Wellen lassen sie sich dabei nicht abschrecken – versprechen doch gerade sie den reichsten Fang.

Mit bis zu 25 Meter pro Sekunde raste der Wind über die Ostsee auf die Küstenstadt Pionerski in der Enklave Kaliningrad. Zeitweilig fiel in der Kleinstadt wegen des Sturms sogar der Strom aus. Doch die Bewohner wurden für die Unannehmlichkeiten reichlich entschädigt: Der Wind wirbelte nämlich auch den Ostseeboden gewaltig auf – und schwemmte so einen wahren Schatz an Land.

Die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad ist Bernsteinland. 40 Millionen Jahre lagert der Bernstein hier schon in der „Blauen Erde“, einem blaugrauen Lehm vermischt mit Glaukonit und anderen Silikaten. Gebildet hat er sich als Baumharz in den großen Wäldern, die einst das Baltikum bedeckten, ehe sie vom eindringenden Wasser überflutet wurden. Bernstein gibt es auch anderswo, aber nirgends so viel wie hier: 90 Prozent der weltweiten Reserven lagern im Gebiet Kaliningrad. Als das ostpreußische Samland nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion fiel, wurde die Ortschaft Palmnicken, Zentrum des industriellen Bernsteinabbaus, in Jantarny (zu deutsch Bernstein) umbenannt.

Sammeln trotz Verboten

Zu Hochzeiten, in den 60er und 70er Jahren, förderte die Fabrik stattliche 800 Tonnen in der Saison aus dem Boden, im vergangenen Jahr waren es immer noch 250 Tonnen. Seit Jahrhunderten sammeln daneben – teilweise sich über Verbote hinweg setzend – Strandläufer die Steine ein. Ein Großteil der fossilen Schätze lagert dabei unter Wasser. Immer wieder spülen Stürme etwas an Land und sorgen für Freude bei den Bernsteinsuchern. Aber auch für langjährige Strandbesucher, wie Natalja war der Januar-Sturm etwas Besonderes: „Wir kommen gewöhnlich hier nach Pionerski und gewöhnlich ist der Auswurf nahe dem Pier. Es gab eine gute Ausbeute am 30. August, aber nicht so eine. Das ist das erste Mal“, sagte die Touristin dem russischen Fernsehen. Ein bisschen Übung braucht man aber schon, die zunächst unscheinbaren Steinchen als Bernstein zu erkennen. Reich werden können die Hobby-Sammler mit den Fundstücken am Strand eigentlich nicht. An Land gespült werden in der Regel kleinere Steine, die größeren bleiben unter Wasser.

Der Wert eines Bernsteins hängt von vielen Faktoren ab, die wichtigsten sind aber Größe, Form und ob ein Insekt oder ein Pflanzenteil eingeschlossen ist. Für ein etwa faustgroßes Stück Bernstein – rund 250 Gramm schwer – zahlt der Käufer in einem Kaliningrader Geschäft rund 150 000 Rubel (entspricht derzeit etwa 2000 Euro). Der Bernsteintaucher bekommt davon weniger als die Hälfte, der Rest ist Marge der „Bisnesmeny“, wie sich die Kaste der neureichen Geschäftsmänner in Russland nennt.

Die Geschäfte sind, wie so vieles in Russland, nur halblegal, denn eigentlich ist Bernstein als Bodenschatz im staatlichen Besitz.

Für den Abbau und das gewerbliche Sammeln ist eine Lizenz nötig, die die meisten nicht besitzen. In den 90er Jahren war der Bernsteinschmuggel in der russischen Ostsee-Exklave weit verbreitet, eine regelrechte Mafia hatte sich darum gebildet. Reich werden konnte nur, wer an der Spitze saß, die Bernsteinstecher und -taucher wurden oft mit Wodka abgespeist.

Inzwischen ist die staatliche Kontrolle stärker, doch ausgerottet ist der Schmuggel mit den „Tränen der Götter“, wie Ovid den Schmuckstein einst nannte, nicht. So nahm die Polizei erst am vergangenen Wochenende 30 illegale Bernsteinstecher fest, die in einer alten Mine versucht hatten, den Rohstoff mit einer Motorpumpe aus dem Boden zu fördern. Den Touristen droht aber kein Ungemach. Die Sammler am Strand werde die Polizei nicht behelligen, versicherte die Sprecherin der Behörde, Swetlana Postawnitschnaja.