Am 11. Juli beginnt der Prozess gegen Christina Block und ihren Lebensgefährten, Gerhard Delling. Die Anklage zeigt, wie brutal die Täter vorgingen.
Prozess gegen Steakhouse-ErbinChristina Block und die Entführung ihrer Kinder: „Werden sie mich hassen?“

Steakhouse-Erbin Christina Block: Die Anklage wirft ihr schwere Kindesentziehung vor - sie selbst bestreitet das. .
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Niemand soll die Kinder sehen. Als sich am 1. Januar 2024 um 0.16 Uhr am Hafen des Ortes Grasten in Dänemark ein SUV der Marke Citroën DS7 in Bewegung setzt, um Richtung Deutschland zu rasen, sind von außen nur drei schwarz gekleidete Männer zu erkennen. Doch mit an Bord, in den Fußraum gezwängt und gewaltsam niedergehalten, sind auch ein 13-jähriges Mädchen und ihr zehnjähriger Bruder: Marie und Paul.
Etwa eine halbe Stunde zuvor, kurz vor Mitternacht, waren die beiden mit ihrem Vater, Stephan Hensel, zum Wasser gegangen, um sich das Feuerwerk anzusehen. Was ihnen dann widerfuhr, erfüllt alle Kriterien eines Albtraums.
Eine Gruppe maskierter Männer reißt den Vater zu Boden und schlägt auf ihn ein, während die Kinder in das Auto gezerrt werden. Marie und Paul fürchten in diesem Moment um sein Leben - und um ihr eigenes: Die 13-Jährige hat Angst, dass ihr Bruder in der Enge des Fußraums unter ihr ersticken könnte. So berichtet sie es später den Ermittlern.
Der Zehnjährige drückt den Notfallknopf
Im Auto schlägt Marie mit ihrem Smartphone nach einem der Entführer. Der reißt es ihr aus der Hand und wirft es aus dem Fenster. Die Polizei wird es später auf dem Zebrastreifen in der Ortsmitte von Krusa finden, nur wenige hundert Meter vor der deutschen Grenze. Die Entführer kleben ihr laut der Anklage nach diesem Zwischenfall Tape über den Mund, damit sie nicht mehr sprechen kann, und fesseln sie an den Händen.
Ihr Bruder Paul drückt im Auto einen Notrufknopf, den ihm die Lebensgefährtin seines Vaters vor dem Verlassen des Hauses um den Hals gehängt hatte. Deshalb gibt es eine Aufzeichnung dessen, was bis zur dänischen Grenze im Inneren zu hören ist. Englische Gesprächsfetzen, Fahrtgeräusche. Die Entführer sagen den Kindern, dass sie sie zur Mutter bringen werden. Die Kinder entgegnen, dass sie da nicht hinwollten, sondern dass sie zurück zum Vater möchten - von dem sie in diesem Moment nicht mal wissen, ob er noch lebt.
Paul und Marie heißen in Wirklichkeit anders, die Namen sind zu ihrem Schutz geändert. Ihre Entführung ist der Extrempunkt eines Sorgerechtsstreits, wie es ihn in Deutschland zu Tausenden gibt. In diesem Fall jedoch hat er zu einem schweren Verbrechen geführt.
Sieben Angeklagte
Wenn am 11. Juli vor dem Landgericht Hamburg der Prozess beginnt, geht es um schwere Kindesentziehung, schwere Misshandlung Schutzbefohlener und gefährliche Körperverletzung. Die Hauptangeklagte ist die Mutter der Kinder, die 52-jährige Christina Block, die Tochter des Gründers der Steakhouse-Kette, Eugen Block.
Mit ihr stehen sechs weitere Personen vor Gericht, darunter ein Israeli, der an der Entführung selbst beteiligt gewesen sein soll, ein früherer Beamter des Landeskriminalamts Hamburg und der Lebensgefährte von Christina Block, der frühere ARD-Sportmoderator Gerhard Delling. Ihn hat die Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe angeklagt. Wobei das Landgericht in seinem Eröffnungsbeschluss erklärt, dass auch eine Mittäterschaft infrage kommt.
Zum Ungewöhnlichen in diesem Verfahren dürfte gehören, dass auch die Kinder öffentlich aussagen wollen. Das Verfahren findet vor der Jugendschutzkammer statt. Seiner Mandantin sei es wichtig, dass die Zuhörer nicht ausgeschlossen würden, sagt der bekannte Göttinger Opferanwalt Steffen Hörning, der in diesem Prozess die Interessen der inzwischen 14-jährigen Marie vertritt: „Sie will erzählen, was sie in dieser Nacht durchlitten hat - und sie möchte, dass alle hören, was ihr angetan wurde.“ Dies, so Hörning, wird auch nach Ansicht von Maries Psychologin ein wichtiger Baustein für die Verarbeitung der schrecklichen Geschehnisse in der Silvesternacht sein.
Doch, wenn die Anklage zutrifft: Was treibt eine Mutter dazu, eine solche Tat in Auftrag zu geben, ihren Kindern all dies zuzumuten - und zu glauben, dass sie damit am Ende auch durchkommt?
Der Vater bringt die Kinder nicht zurück
Christina Block und Stephan Hensel heiraten 2005. Sie bekommen vier Kinder - das jüngste, Paul, im Jahr 2013. Nach der Scheidung 2018 übernehmen sie zunächst gemeinsam das Sorgerecht, auch über den Aufenthalt bestimmen sie zusammen. Der Vater zieht zu seiner neuen Partnerin nach Dänemark, die meiste Zeit verbringen die Kinder bei der Mutter in Hamburg.
Im Juli 2021 zieht allerdings die älteste Tochter auf eigenen Wunsch zum Vater. Einen Monat später bringt dieser die beiden jüngeren Kinder nach einem Wochenende bei ihm in Dänemark, entgegen der Vereinbarung, nicht wieder nach Hamburg. Marie habe Angst vor ihrer Mutter und wolle nicht zurück, die Kinder berichten von herrischem Verhalten und auch Gewalt ihrer Mutter, vor allem gegenüber dem jüngsten Sohn. „Bis zur Klärung der Sachverhalte“, schreibt Stephan Hensel seiner Ex-Frau, würden die Kinder bei ihm in Dänemark bleiben.
Aber es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Mutter dies als großes Unrecht empfindet.
Kontakt zu israelischer Sicherheitsfirma
Im Oktober 2021 erteilt das Hanseatische Oberlandesgericht der Mutter das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht. Zwei Jahre später erhebt die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage gegen den Vater und dessen neue Ehefrau wegen der Entziehung Minderjähriger. Doch die dänischen Behörden setzen die deutschen Beschlüsse nicht um - und erklären, dass es für die Kinder besser wäre, beim Vater zu bleiben.
Christina Block ist nicht bereit, das hinzunehmen - davon geht die Staatsanwaltschaft jedenfalls in der Anklage aus. Bereits Anfang 2023, fast ein Jahr vor der Entführung, beschließt sie demnach, die Kinder auf eigene Faust zurückzuholen - notfalls auch mit Gewalt. Eine Schlüsselrolle kommt laut der Anklage Andreas C. zu, Anwalt, langjähriger Vertrauter der Block-Familie und Aufsichtsratsvorsitzender der familieneigenen Elysée-Hotelgruppe. Gemeinsam, so die Erkenntnisse der Ermittler, hätten sie Kontakte zu einer israelischen Sicherheitsfirma geknüpft.

Unternehmerin Christina Block (l) mit ihrem Vater und Firmengründer Eugen Block (Archivbild)
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Von Februar 2023 logieren dann regelmäßig ungewöhnliche Gäste im Grand Elysée an der Rothenbaumchaussee, dem Fünf-Sterne-Hotel nahe dem Bahnhof Dammtor. Im Buchungssystem tauchen sie als „George Smith“, „Doris White“, „George Blue“ oder „Albert Green“ auf - tatsächlich jedoch handelt es sich laut Erkenntnissen der Ermittler um Israelis, die in den nächsten Monaten die Entführung der beiden Kinder aus Dänemark akribisch vorbereiten sollen.
Hotelkosten von 221.000 Euro
Die Konditionen ihres Aufenthalts sind jedenfalls äußerst generös. Übernachtung, Minibar, Roomservice, Gesamtkosten von 221.710,70 Euro: Alles geht aufs Haus. Für die Ankläger ein Beleg, aus welchem Grund sich die Gruppe in Hamburg aufhält - und auf wessen Wunsch.
Am Silvesterabend 2023, um 20.06 Uhr, bricht die Gruppe mit zwei Fahrzeugen, dem Citroën DS7 und einem Mercedes, vom Grand Elysée Richtung Dänemark auf.
Ungefähr zu dieser Zeit beginnt in dem Hotel der Ball, auf dem Christina Block und Gerhard Delling den Jahreswechsel feiern wollen.
Nach dem Überfall im Hafen von Grasten bringen die Entführer die Kinder zu Fuß in einem Waldstück über die Grenze nach Deutschland. Doch Marie und Paul wehren sich. Der Junge drückt noch insgesamt achtmal den Notrufknopf. Marie klammert sich an einen Baum. Sie seien nicht böse zu Kindern, erklären die Entführer den beiden. Aber sie könnten sie auch töten, wenn sie nicht gehorchten. So sagen es Marie und Paul später der Polizei.
Die Großmutter soll es gewesen sein
Auf der deutschen Seite wartet auf die Täter ein Wohnmobil, ein Fiat Ducato. Darin bringen sie die Kinder zu einem Bauernhof in Baden-Württemberg, deren Besitzern sie vorspiegeln, sie hätten den Jungen und das Mädchen mit der Polizei vor ihrem pädophilen Vater gerettet. Die Mutter fährt am Neujahrstag mit dem Zug nach Süddeutschland. Als die Kinder sie am nächsten Tag wiedersehen, erklären sie ihr, dass sie zurück zum Vater wollen.
Oder kann es auch anders gewesen sein? Wäre es möglich, dass nicht sie, Christina Block, hinter der Entführung steckt?
Sie selbst bestreitet jedenfalls jede Beteiligung an der Entführung - und präsentiert der Polizei in einer schriftlichen Erklärung eine andere Version: Ihre Mutter habe ohne jede Rücksprache den Auftrag erteilt. Als Großmutter habe sie es nicht ertragen, von ihren Enkelkindern so lange getrennt zu sein. Sie selbst, Christina Block, habe er erst am Neujahrsmorgen von der Entführung erfahren.
Oma soll es also gewesen sein.
Die Großmutter kann sich gegen diesen Vorwurf allerdings nicht mehr wehren. Sie ist im Juli 2023 verstorben, im Alter von 82 Jahren.
Spontanes Geständnis an der Tür
Die Ermittler halten von dieser Version allerdings nichts. Dass die Täter ein halbes Jahr nach dem Tod der Auftraggeberin die Entführung im Alleingang durchziehen, erscheint ihnen weltfremd. Außerdem gibt es keinen Hinweis darauf, dass Christa Block mit der israelischen Firma überhaupt in Kontakt stand.
Ich mache eine Rückführung, er macht eine Entführung.
Glaubwürdiger erscheint der Staatsanwaltschaft, was Christina Block spontan sagte, als nach ihrer Rückkehr mit den Kindern nach Hamburg am 3. Januar 2023 die Polizei vor ihrer Tür stand. Sie könne die Kinder niemandem entzogen haben, schließlich habe sie das Sorgerecht. Wörtlich soll sie gesagt haben: „Ich mache eine Rückführung, er macht eine Entführung.“
Das wäre, aus ihrer Sicht, zumindest nachvollziehbar. Die Ermittler werten den Satz als teilweises Geständnis.
Auch eine Nachricht auf dem Handy ihres Lebensgefährten, die sie ihr zurechnen, sehen die Ermittler als belastend.
„Ja, war alles richtig“, schrieb sie demnach an Neujahr um 13.35 Uhr an Gerhard Delling, „werden sie mich hassen?“
Delling streitet Vorwürfe ab
Auch der frühere ARD-Fußballexperte Delling will erst an Neujahr 2024 von der Entführung erfahren haben. Nachrichten auf seinem Smartphone zeigen laut der Anklage jedoch, dass der 66-Jährige schon Wochen zuvor mit der israelischen Koordinatorin in Kontakt stand. Zudem soll Delling die Reise seiner Lebensgefährtin zu den Kindern organisiert haben. Auch er streitet jedoch jegliche Beteiligung ab. „Sachlich und rechtlich unzutreffend“ nennt sein Anwalt David Rieks die Vorwürfe. „Wir werden diesen mit Nachdruck und umfänglich entgegentreten.“
Das Ziel, mit ihren Kindern wieder zusammenzuleben, hat Christina Block jedenfalls nicht erreicht. Am 5. Januar 2024 spricht das Hanseatische Oberlandesgericht dem Vater Stephan Hensel in einer einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht für Paul und Marie zu. Am selben Tag bringt die Polizei sie wieder zu ihm. In Dänemark hat ihm ein Gericht das alleinige Sorgerecht erteilt. Mit einer Verfassungsbeschwerde dagegen ist Christina Block im Mai vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Verfolgungsängste und Schlaflosigkeit
Den Schaden aber haben bis heute vor allem: die Kinder.
Die heute 14-jährige Marie leidet unter Verfolgungsängsten, Schlaflosigkeit und ist in therapeutischer Behandlung. Der elfjährige Paul fürchtet sich vor fremden Männern und traut sich nicht mehr, alleine zu schlafen. Bis heute prägt ihr Leben die Angst, dass alles noch einmal geschehen könnte.
„Es handelt sich hier um eine schwere Straftat. Alle, die daran nachweislich beteiligt waren, müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Maries Anwalt, der erfahrene Opferrechtler Steffen Hörning. „Das ist der Wunsch der Kinder.“