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Nudel-Omas sind Youtube-HitDie Pasta Grannies zeigen ihre alten Rezepte

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Großmütter in Aktion

Rom – Die Frau sieht aus wie eine italienische Bilderbuch-Großmutter. Klein, rundlich, dunkler Kittel, geblümte Schürze, weißer Dutt, zerfurchtes Gesicht. Sie steht am Küchentisch, blickt in die Kamera und verkündet feierlich, dass sie jetzt den Teig für „Maccarones de ungia“ zubereiten wird – um dann verlegen, halb schelmisch zur Seite zu schielen und zu fragen: „Und jetzt, was muss ich sagen?“. „Ihren Namen“, antwortet jemand aus dem Off. „Mein Name? Giuseppa. Giuseppa Porcu. Kann ich jetzt anfangen?“

Dann beginnt die freundliche alte Dame, Hartweizenmehl und Wasser zu mischen, den Teigballen durchzukneten und mit dem Nudelholz zu bearbeiten, mit einer Kraft und Wucht, die man ihr nicht zugetraut hätte. Geschickt formen ihre runzlingen Hände daraus hauchdünne Miniatur-Nudelkringel – die Maccarones de ungia, Fingernagel-Pasta, Spezialität ihres Heimatorts Ozieri auf der Insel Sardinien. Serviert werden sie am Ende mit ebenfalls hausgemachtem Tomaten-Sugo und Pecorino-Käse. Schon der Anblick ist köstlich.

Mit 97 Jahren auf Youtube

Das vierminütige Youtube-Video, für das die inzwischen 97 Jahre alte Giuseppa Porcu zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben vor einer Kamera stand, haben sich schon fast 200 000 Menschen angeschaut. Es ist auf dem Kanal „Pasta Grannies“ zu finden, einem Projekt der in Italien lebenden Britin Vicky Bennison. „Nudel-Omas“, so müsste man es wohl übersetzen.

Die Videos zeigen, wie ältere Frauen aus verschiedenen Regionen Italiens traditionelle Pasta-Gerichte zubereiten. Nicht nur die üblichen Spaghetti, Maccheroni, Fettuccine oder Ravioli. Es gibt unendlich viele Formen und Rezepte für hausgemachte Pasta zwischen Venetien und Sizilien. Ob Pici, Bigoli, Panzerotti, Cavati, Cestini, Manicotti, Cappelletti, Raschiatelli oder Strangozzi, die Aufzählung könnte lange fortgesetzt werden. Manche haben so kuriose Namen wie Strozzapreti – Pfarrer-Würger – oder Ciecamariti – Ehemänner-Blender.

Solche Pasta-Sorten findet man nicht im Supermarkt-Regal. Für manche braucht es eine ausgeklügelte Technik. Seit Generationen gaben Großmütter und Mütter ihr Wissen und Können an Töchter und Enkelinnen weiter. Doch das jahrhundertealte Küchenhandwerk droht auszusterben. Junge Italienerinnen werfen heutzutage lieber Nudeln von Barilla und anderen großen Marken in den Kochtopf.

Die 60 Jahre alte Vicky Bennison, die früher für Hilfsorganisationen in Entwicklungsländern arbeitete und dann anfing, Artikel über Essen und Trinken zu schreiben, pendelt seit 14 Jahren zwischen London und Italien. In der Region Marken, nahe Cingoli, haben sie und ihr Mann ein Haus. Essen ist in Italien immer ein Gesprächsthema, ob unter Freunden, mit Nachbarn oder mit Wildfremden.

Arche Noah für Pasta

Irgendwann sei ihr dabei aufgefallen, dass nur noch die alten Frauen die Pasta selbst machen, erzählt Bennison. Die jungen berufstätigen Frauen haben gar keine Zeit für die aufwändige Prozedur. Vielen Traditionsgerichten droht so das Vergessen. Bennison fand das traurig. „Das muss doch jemand festhalten, dachte ich.“

Sie entdeckte ihre Mission: Sie beschloss, nach Großmüttern zu suchen und sie beim Zubereiten ihrer Spezialitäten filmisch zu verewigen. „Eine Art Arche Noah der italienischen Pasta-Techniken“, nennt sie das. Das Projekt startete vor fünf Jahren. Inzwischen versammelt die Video-Galerie bereits 270 kochende Großmütter. Aus den anfangs 60 Abonnenten auf Youtube sind 430 000 geworden. Auch auf Instagram haben die Omas schon 200 000 Follower.

Anhand der Statistiken sei zu sehen, dass die Videos bei jungen Leuten zwischen 25 und 35 Jahren am besten ankommen, sagt Vicky Bennison. Auch viele Männer sind darunter. Vor kurzem ist nun ein englisches Kochbuch mit den Pasta-Grannies-Rezepten erschienen. Ab Februar wird es auf Deutsch erhältlich sein.

Den großen Erfolg erklärt sich Bennison damit, dass es nicht nur um die Gerichte geht, sondern auch um die Großmütter dahinter. „Jeder liebt schließlich seine Oma“, sagt sie. Und ihre „Grannies“ seien Frauen voller Charakter und Humor, mit interessanten Geschichten. Giuseppa Porcu zum Beispiel fertigte als Schneiderin traditionelle sardische Gewänder an. Ihre Arbeit war ihr so wichtig, dass sie nicht heiraten wollte. Erst mit Mitte 30 sagte sie schließlich doch noch Ja – ungewöhnlich spät für eine Frau in den 50er Jahren, zumal auf Sardinien.

Nudelrezepte aus Kalabrien fehlen noch

Um die Protagonistinnen zu finden, reisen Bennison und eine italienische Mitarbeiterin durch ländliche Gegenden. Sie fragen bei Bürgermeistern oder auf Essens-Festivals nach kochenden Großmüttern und überhaupt bei allen, mit denen sie ins Gespräch kommen. Die Sammlung ist noch lange nicht abgeschlossen. Regionen wie Kalabrien, Molise, Friaul oder Südtirol fehlen noch völlig.

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Inzwischen melden sich Verwandte geeigneter Kandidatinnen von selbst – oft allerdings, ohne die Großmütter vorher gefragt zu haben. Die sind meistens schüchtern. „Ich finde es gut, sie mal in den Mittelpunkt zu schubsen“, sagt Bennison. Die Leistung älterer Frauen müsse gewürdigt werden.

Giuseppa war mit ihren 97 Jahren lange die Älteste der „Pasta Grannies“. Inzwischen ist sie überholt worden. Letizia, eine ehemalige Lehrerin aus der Nähe von Trapani in Sizilien, ist drei Jahre älter. Das sieht man der eleganten Dame keinesfalls an. Die bewundernswert fitte Hundertjährige schreibt noch Gedichte, malt - und macht natürlich nach wie vor ihre Nudeln selbst. Kein Wunder, sagt Vicky Bennison. „Wenn man einmal weiß, was gute Pasta ist, wird man wählerisch.“